Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ladengeschäft einem Online-Überweisungsbetrug erliegt, ist ziemlich gering. Nicht das ich darüber klagen möchte, Ladengeschäfte haben es bei sinkenden Umsätzen derzeit schwer genug, aber mit der Digitalisierung von Prozessen steigt auch das Sicherheitsrisiko. Und dafür oder dagegen kann man irgendwie noch nicht viel unternehmen. Inzwischen werden auch „Daten entführt“ und dafür wird ein Lösegeld gefordert. Im Sinne von „gebt mir 50.000 Euro oder eure Daten werden umgebracht“. Inzwischen kann man auch DDoS Atacken viel günstiger kaufen.
Aber zurück zu unserem “einfachem” Fall, in dem jedoch geschickt agiert wurde, da hier ein Lösegeld von uns quasi freiwillig überwiesen wurde.
Im Jahr 2011 haben wir Waren bei unserem Lieferanten in HongKong eingekauft. Eine größere Firma hatte uns beauftragt den Bio-USB Stick in einer größeren Stückzahl zu bedrucken. Warum Bio? Weil die Hülle dieses USB Sticks vollständig aus biologisch abbaubarem PET besteht, dass in diesem Fall aus Zuckerrohr gewonnen wird. Ein halb-ökologisches Produkt (wie viele unserer Produkte), aber ein schönes Produkt, da es ein Stück Plastik ersetzt. Und wenn man bedenkt, wie viele USB Sticks aus Plastik hergestellt werden, wäre es wunderbar, könnte man diese Menge etwas reduzieren. Jedoch haben wir diesen USB Stick bereits aus unserem Vireo-Sortiment genommen, da die Nachfrage im Vireo Shop selbst gering war. Nur noch bei Vireopromo, unserem Promotion-Ableger für Werbezwecke, bieten wir diesen USB Stick noch an. Es war das allererste Vireo-Produkt, das ich kurz nach meiner Gewerbeanmeldung im November 2009 verkauft habe. Die Umsätze waren in Einzelstücken nicht sehr erfolgreich, ehrlich gesagt fast vernichtend, aber dennoch emotional: es waren eben die ersten Umsätze. Viele Leute schrieben mir auf Ebay, was für ein verrücktes Produkt dies doch sei.
Zurück zur Kommunikation mit dem Hersteller. So wie immer, teilte uns nach dem aushandeln der Konditionen unser Produzent die Bankverbindung mit. Ich überwies den genannten Betrag. Danach teilte mir der Hersteller mit, dass er mir die falsche Bankverbindung mitteilte. Mit Hilfe der Bank holte ich den Betrag noch im rechten Moment zurück und musste ca. 100€ Gebühren bezahlen. Der Bio-USB Stick Fabrikant teilte mir eine neue Bankverbindung mit.
Es war jedoch eine schwedische Bankverbindung. Ich fragte unseren Hersteller warum er uns eine schwedische Bankverbindung schickt und warum die alte nicht mehr aktiv ist? Er meinte, dass sei wegen der Steuer. Ich zögerte und antwortete zwei Tage nicht. Der Hersteller zuckte sich nicht. Ich fragte erneut nach, warum der Inhaber des Kontos nicht der Gleiche war. Spätestens hier wurde ich stutzig. Aber auch dies ist in Asien üblich (anderer Kontoinhaber). Es wurde mir bestätigt, dass doch alles ok sei und das Muster fertig sei. Unser Auftraggeber fragte nach ob die 500 USB Sticks bereits im Druck sind. Meine Zweifel waren wie weggeblasen und ich sah Dollarzeichen auf mich zukommen. Ich überwies erneut.
Ein paar Tage später wollte ich mich versichern ob der Betrag angekommen sei. Wir kommunizierten über Skype. Das ist üblich mit asiatischen Herstellern. Per Telefon ist die Kommunikation eher mittelmäßig oder sagen wir äußerst anstrengend. Viele schreiben besseres Englisch (auch wenn man einige blumige Ausdrücke deuten muss), als sie sprechen.
Wir schrieben uns also in Skype. Und ich musste feststellen, dass der Betrag nicht angekommen ist. Ich überprüfte dies mit der Bank. Der Betrag ging lange raus. Was war das los? Wer hatte sich zwischen unsere Kommunikation geschaltet? Wurden wir gehackt?
Als Empfänger meines digitalen Überweisungsbeleg stand nur “Marian O.”. Ich recherchierte mehr schlecht als Recht (ohne Nachnamen schier unmöglich). Und wendete mich schließlich an die Nordea Bank in Schweden, an die die Überweisung ging. Nach eins, zwei erfolglosen Versuchen im Call-Center, fand ich eine weitere Nummer einer Abteilung im Internet. Ich rief an und schilderte meinen Fall und das ich natürlich mein Geld zurück möchte. Ich fühlte mich wie ein kleiner, betrogener, agressiver Otto-Normal-Verbraucher, der ganz unten an der Rezeption steht und wild fuchtelnd sein verdammtes GELD zurück möchte. Es half nichts.
Ich ging zur lokalen Polizei. Es klang für den Sachbearbeiter natürlich alles etwas unwirklich. Ich fragte mich, ob da Interpol was machen kann? Der Betrag wäre nicht der Rede wert. Einige Wochen später meldete sich die schwedische Polizei bei uns. Aha, die Kommunikation funktioniert, dachte ich mir. Ich musste alles noch einmal schildern, natürlich.
Wenige Zeit später erstattete mir die Saalesparkasse den fehlenden Betrag aus einem Sicherungsfond zurück. Ich verehrte die Sparkasse. Hatte ich Glück gehabt. Unserem Konto ging es nicht besonders gut. Das waren noch die Zeiten ohne Kontokorrent, alles war sehr sehr knapp kalkuliert. Es war, als hätte ich im Lotto gewonnen. Nein, besser.
Danach passierte fast vier Jahre überhaupt nichts. Aus heiterem Himmel bekam ich vor vier Wochen einen Anruf. Ob ich denn zur Verhandlung ins Amtsgericht nach Vänersborg kommen würde? Wie bitte? Verhandlung, Amtsgericht? Eine Stunde später hatte ich zufällig auch die schriftliche Einladung in den Händen. Ich sollte nach Schweden um im Prozess als Zeuge auszusagen. Aussagen, bei einem digitalen Überweisungsbetrug? Warum um Himmelswillen,…aber warum denn nicht? Es drohte ein Ordnungsgeld, wenn ich nicht kommen würde. Und schließlich bezahlte der schwedische Staat alles. Von der schönen Zugreise über Hamburg, Kopenhagen, Malmö und Göteborg bis hin zum Hotel und dem Rückflug über Berlin.
Angekommen im kleinen Vänersborg (20.000 Einwohner) hatte die schwedische Justiz ein kleines Hotel Namens „Strand Hotell“ gebucht. Ich sah zwar keinen Strand, aber auf der gleichen Straße war das Gericht, wie praktisch. Im Gericht angekommen, wurde ich auch recht zügig zur Verhandlung aufgerufen. Zu aller-erst musste ich jedoch meinen Übersetzer verstehen, der mir an meine Seite gesetzt wurde. Zwischendurch fragte er mich, ob ich ihn eigentlich verstehe, aber da war der Prozess schon längst im Gange. Der war lustig, es gab ja auch keine Alternative. Alles musste offiziell auf schwedisch behandelt werden. Er erzählte mir später, dass er mal bei einem Prozess eines deutschen Autobauers war, wo angeblich alle beteiligten Deutsche waren. Er hatte eine Menge zu tun, alles musste auf schwedisch übersetzt werden. Das Übersetzte wurde vielleicht gar nicht geprüft. Ich musste mich jedenfalls unheimlich konzentrieren, aber nach den ersten Nachfragen ging es dann. Er war ein netter Gesell.
Und da saß ich nun, in einem schwedischen Gericht, machte meine präzise Aussage in (einfachem!) Deutsch, weil danach wurde dies ja auf schwedisch und dann dem Angeklagten auf englisch übersetzt, da dieser kein schwedisch sprach. Es war wahrscheinlich ein Einwanderer afrikanischer Herkunft. Ich hörte ihn kein Wort sprechen, aber er hörte mir aufmerksam zu.
Nach meiner Aussage gab es eine Pause. Die Staatsanwältin meinte dann noch, das ich kein Einzelfall wäre. Sie hätten international agiert, von den USA bis Australien gäbe es hunderte Geschädigte, nur mit einem Bruchteil hätten Sie sich befasst, aber davon wurden gleich drei Detusche eingeladen. Die Schweden waren sich vielleicht sicher, dass wir kommen. Reiselustig und Gerechtigkeitsorientiert, das passt. Danach verbrachte ich noch einen Tag im schönen Göteborg. Dem schwedischen Staat bin ich für solch eine Gerechtigkeit übrigens sehr dankbar. Auch wenn man einiges an Arbeitszeit verliert. Es war ein weiteres schönes Abenteuer in meiner Selbständigkeit, aber währenddessen passierte bereits das zweite Abenteuer. Gern verwende ich mich auch für andere Abenteuer, aber bitte nur mit schönen Begegnungen. Der schwedischen Dame im Gericht überreichte ich eine Flasche Fläminger Jagd. Ich war mir unsicher, ob ein alkoholhaltiges Getränk als Geschenk im GERICHT gut ankommt. Als Sie sagte, dass Sie leider nicht auf Arbeit trinken kann, wußte ich, es ist gut angekommen. Tak Sverige! Danke Schweden! Es war besonders.
Vor dem Gericht in Vänersborg, Schweden.