Kurz nach Feierabend ging es mal wieder um Fußball. Der übliche Zeitvertreib der Männer am Arbeitsplatz. Und dass ich den FC Bayern München verabscheue und mich über eine baldige Niederlage im Europapokal freuen würde, wissen sie alle.
»Komischer Bayer bist du - freust dich, wenn die verlieren«, spöttelte einer und versuchte sich bayerisch anzuhören.
»Dabei sollte jemand wie du, der dem anderen Verein in München anhängt, doch ein Interesse am Wohl der Bayern haben. Das tut der Stadt gut und den Menschen in der Region auch. Und den Sechzgern!«
Man muss als jemand, der die Bayern immer verachtet hat, also neuerdings für die Bayern sein, weil deren Erfolg ökonomisch wertvoll ist. Meine Güte, dachte ich mir, was ist nur aus der Passion der Leute von heute geworden? Ökonomisch denkend bis in den Zeitvertreib hinein.
»Das sind ja auch Arbeitsplätze, die so ein erfolgreicher Verein entstehen lässt«, fügte Norbert hinzu.
»Ja. Komm, zahl deine Rechnungen bitte nicht mehr und stabilisiere so Arbeitsplätze der Inkasso-Industrie. Sei so gut.«
Einer grinste nach diesem Einwand. Die anderen nuckelten am Kaffee und sprachen von der Eintracht und vom FC Bayern.
Ich ging dann heim. Mich drückte ein Text und wenn ich denn nicht gleich rausließ, würde er mir im Hirn steckenbleiben und meine Verdauung belasten.
Daheim angelangt musste ich zuerst mal auf die Schüssel. Ich hasse es, wenn der Schiss vor dem Schrieb kommt. Aber das kann man schlecht ändern. Ich nahm den Willemsen mit aufs Klo. Las dort weiter in seinem außerordentlich lesenswerten Buch »Das Hohe Haus«. Darüber wird noch zu berichten sein. Ich stolperte über eine Passage, in der eine Parlamentarierin über die »Kultur- und Kreativwirtschaft« redet und sie als »eine der wichtigsten Zukunftsressourcen in unserem Land« bezeichnet. Daher heiße es, in Kulturschaffende zu investieren, »um so Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft auch in Zukunft zu erhalten«. Willemsen macht sich auch so seine Gedanken dazu und schreibt: »Auch hier wird deutlich: Die Frage der Zukunft ist synonym für Rendite. Flankiert von einer Ökonomisierung aller Lebensbereiche, gibt der Zustand der Wirtschaft die Idee dessen vor, was Zukunft ist. Ja, selbst auf kulturellen Gebiet setzt man auf Wachstum und Gewinnmaximierung. Warum nicht auf Beständigkeit oder Vergangenheit?«
Ist das Leben insgesamt nur noch als Profit denkbar? Dass die Leute im Bundestag gar nicht mehr anders können, als so zu ticken, muss man wohl verschmerzen. Diese Leute kommen ja nicht raus. Stubenhocker entwickeln sich manchmal komisch. Dass aber normale Typen mit dieser Logik vom Profit argumentieren, das macht doch nachdenklich. Die Berieselung vieler Jahre hat Wirkung gezeigt. Leben ist kein Akt zwischen verschiedenen Schauplätzen mehr, in dem verschiedene Grundprinzipien walten, sondern das Grundprinzip ist nun überall dasselbe. So gestattet man der Justiz eben nicht mehr die Prinzipien »Strafe« und »Sühne« - sie werden durch eine »profitablere Wahrnehmung« ersetzt. »Gerechtigkeit« muss sich wieder lohnen! Und was sich nicht rechnet scheint unhaltbar zu sein.
Nachdem ich abgedrückt hatte versuchte ich mich an einem Text, landete dann aber über Umwege bei einem Artikel über die »Pisa«-Studie. Ich sondierte auch die Kommentare, die mitteilsame Leute drunter angebracht hatten. Da ging es ganz schnell wieder um Geld und ob das Geld auch dort, wo man es fordert, wirklich Nutzen abwerfen würde. Mancher wollte mal wieder »unsere Kinder fit für den Arbeitsmarkt machen«. Ein anderes Bildungsideal scheint es gar nicht mehr zu geben. Dabei gehen die Kinder doch nicht zur Schule, um dann mal fit für einen Arbeitgeber zu sein, sondern um etwas zu erfahren, Wissen zu sammeln, um für sich selbst fit zu sein. Das hat auch etwas mit Würde zu tun. Aber Würde ist ohnehin so ein Begriff, der sich so schlecht ökonomisch deuten lässt.
Wieder mal so ein Tag, an dem mir das Leben nur als Profit begegnete. Als dann mein Kind abends beim Essen erzählte, dass sie mit der Halbwüchsigen von gegenüber nicht mehr befreundet sein will, weil sie ständig Ärger macht und es seine Ausführungen mit »Was habe ich davon?« beendete, da war das Maß voll.
»Wenn sie dich nervt - gut. Dann bin ich froh. Die bereitete dir bislang nur Kummer. Aber was du davon haben solltest, das verstehe ich nicht.«
»Bringt mir ja nichts«, antwortete sie nun »ausführlicher«.
Ich schaute es etwas ratlos an und kaute auf den Reis herum.
»Freundschaften geht man nicht ein, damit sie einem was bringen. Und man beendet sie nicht, weil sie einem nichts bringen.«
»Weiß ich doch, Papa.«
»Und warum sagst du das dann so?«
So weit haben wir es gebracht. Selbst Zwischenmenschliches wird nach Mehrwert sondiert und der Nutzen hochgerechnet.
»Entweder man mag sich oder man mag sich nicht. Das ist die Grundlage für Freundschaft.«
Fast hatte ich nun den Drang, meinem Kind diese Freundschaft wieder einzureden. Aber dieses Mädchen von gegenüber ist ja nicht ohne, wiegelt ständig Kinder gegeneinander auf und erpresst überall Anerkennung. Armes Ding eigentlich.
»Mensch, Papa, ich weiß das doch. Und ich mag sie nicht, also bringt mir das nichts.«
Auch wieder wahr.
Ich ging an diesem Tag früh zu Bett. Ich war geschafft und wollte mehr von der Nacht haben. Eine Stunde Schlafprofit rausholen. Gewinn machen. Einen Überschuss erschlafen. Meine Kosten nicht durch Wachsein erhöhen und meinen Nutzen schlafend mehren. Es sollte ein Bombengeschäft sein. Aber ich erwachte abgekämpft und matt. War immer noch müde. Was hat mir das frühe Zubettgehen gebracht? Damit hatte ich nichts gewonnen. Nur einen weiteren Tag in der Profitlastigkeit. Aber wenigstens war ich heute kraftlos genug, die ganze Profit-Rhetorik zu überhören.
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