3.Dezember 2011, Studentenleben am European College of Liberal Arts, Berlin, Museum Hamburger Bahnhof, Andy Warhol,Zeichentrickfilme-Abend
EIN TAG EINER STUDENTIN DES ECLA IN BERLIN
Hallo! Ich heiße Julia, bin 24 Jahre. Ich komme aus der ukrainischen Stadt Sumy, lebte die letzten 7 Jahren in Kiew, und zur Zeit studiere ich an einer kleinen privaten Uni European College of Liberal Arts in Berlin. Sowohl meine Uni, als auch die Stadt liebe ich sehr! Ich möchte Euch meinen Alltag am 3.Dezember 2012 zeigen. Obwohl, so alltäglich war der Tag doch nicht – die Freitage sind bei uns ziemlich entspannt, und so erwarten mich heute nur zwei Vorlesungen und einige private Angelegenheiten.
1)Faszinierend – ich wache ohne Wecker auf. Obwohl das nichts Gutes verheißt, denn ich bin eine Eule und wenn ich von alleine wach geworden bin, dann heißt das, dass ich schon spät dran bin. Der Morgen ist nicht meine Zeit. Leider. Das Erste, was ich nach dem Aufwachen beobachte ist diese Wand mit Postkarten von meinen lieben Freunden und Plakate über unterschiedlichen Veranstaltungen, die ich mal besuchen sollte.
2) Ich stehe träge auf und mache das Bett. Ich wohne in einem Zimmer mit einem tollen Mädel, Deana. Schon vor etwa drei Stunden ist sie in die Vorlesungen gegangen und danach fährt sie zu ihren Eltern, die hier in Berlin leben. Schade, dass Ihr sie nicht sehen werdet – sie ist hübsch.
3) Ich mache die Fenster auf. Wie traurig, ein grauer ekelhafter Regentag. Vermutlich zahlen wir jetzt dafür, dass der Herbst so sonnig und warm war. Das Gebäude gegenüber ist das zweite von drei Wohnheimgebäuden. Meins sieht in etwa genauso aus.
4) Schleppend laufe ich ins Bad. Das Einzige nicht erfreuliche an diesem Wohnheim ist die Dusche im ersten Stockwerk (mein Zimmer liegt in der dritten Etage). In anderen Wohnheimen unserer Uni befinden sich die Badezimmer auf jeder Etage oder sogar im Zimmer. Ist aber nicht schlimm, wir haben riesige Fenster bis zum Boden :-)
5) Guten Tag! Das bin ich – die Morgenfrau, die traurige in Shorts.
6) Die traurige Frau in Shorts geht ins Bad. Im Bad ist keiner da, alle beschäftigen sich schon mit nutzbringenden Tätigkeiten, ich dagegen fange erst an, mich in einen Menschen zu verwandeln.
7) Und bei dieser gar nicht so leichten Aufgabe hilft mir Body Butter. Sie erweckt mich in Sekundenschnelle zum Leben!
8) Ich gehe hinauf ins Zimmer und schaue heute zum ersten Mal auf die Uhr. Oh oh, meine Straßenbahn kommt in weniger als einer Stunde. Das heißt eine vollwertige Mahlzeit fällt aus – das ist schlecht und das erste Mal seit zwei Monaten, dass ich meinen Mittagessen verpasse. Wir haben bei uns in der Uni eine gute Verpflegung. Mein an regelmäßige Mahlzeiten gewöhnter Organismus wird mich für den Rest des Tages hassen.
9) Flüchtig, in aller Eile schaue ich nach der Post. Juhu, wir haben heute einen Zeichentrickfilme-Abend. Da werde ich unbedingt hingehen.
10) Ich prüfe die Verkehrszeiten – ob es irgendwelche Änderungen gab. Heute habe ich eine Veranstaltung im Museum Hamburger Bahnhof. Die Seite der BVG - eine tolle Erfindung der Menschheit – stellt mir einen Verkehrsplan zusammen.
11) Facebook erfreut mich: eine liebe Freundin von mir bekam meine Postkarte. Juhu! Ich bin ein Postkarten-Junkie und schicke sie tonnenweise ab.
12) Jetzt bleibt es nur eine Frauenmaske aufzutragen, sich anzuziehen und - los geht’s.
13)Mein orangefarbener Stahlpferd bleibt einsam vor dem Wohnheim stehen. Verzeih mir, mein Freund. Bis heute Abend!
14) Nach drei Minuten bin ich neben unserer Cafeteria. Was für ein grauer Tag heute.
15) In der Kantine gibt es - wie immer - sehr viele Leckereien, nur habe ich keine Zeit dafür. Ich bettle beim Stefan, unseren Chef-Koch, nach meiner Lunch-Box (als Studentin mit Veranstaltungen außerhalb des Campus habe ich darauf Anspruch) und flüchte. Die Lunch-Box besteht aus einem Croissant, einem Brot mit Wurst und einer Orange – das sind all die Sachen, die ich normaler Weise nicht esse. Aber was soll‘s, heute unterwegs muss das sein.
16) Unterwegs mache ich schnell ein paar Fotos von unserem Bezirk. Der heißt Pankow. Eine sehr ruhige und stille Gegend.
17) Auf dem Weg springe ich beim Zeitungsladen vorbei. Ich brauche eine neue Monatskarte für 53 Euro. 50 Euro erstattet mir die Uni.
18) Ich bin an der Bushaltestelle. 12:36 kam meine Straßenbahn mit einem mir nett winkenden Fahrer.
19) In der Straßenbahn traf ich auf zwei meine Kommilitoninnen: Ira aus Odessa (auf dem Foto) und Asja, eine Amerikanerin russischer Herkunft. Wir fahren in einer kleinen Russisch sprachigen Runde :-) Ira ist eine sehr fleißige Studentin und liest gerade „Iliada“, die sie bis Montag durch haben muss.
20) Der öffentliche Verkehr ist wie eine Uhr. Am Hackeschen Markt steigen wir in die S-Bahn um.
21) Hier hat die S-Bahn Ira und Asja eingeholt :-)
22)In der S-Bahn denkt Ira über etwas nach. Der Mann vermutlich auch. Ich merke, dass mir das Fotografieren in „Orten öffentlichen Lebens“ unangenehm ist.
23) Wir sind am Hauptbahnhof angekommen. Das Museum Hamburger Bahnhof befindet sich hier in der Nähe. In Berlin sieht man schon überall die Weihnachtslichter.
24) So sieht der Hauptbahnhof von außen aus. Man sagt, dass die Kosten dafür enorm waren. Mir gefällt es hier. Mir gefällt noch fast alles in Berlin.
25) So, und das ist der Hamburger Bahnhof. Das ist eine tolle Idee, ein Bahnhof in ein Museum umzubauen. Hier findet man eine spannende Sammlung der modernen Kunst wieder (die ich nicht mag, ich bin eher für Renaissance, sie ist aber trotzdem interessant).
26) Am Eingang treffen wir auf diese Schönheit.
27) Unsere Gruppe ist vollständig. 13:30. Das Thema heißt Representation (ja, wir studieren auf Englisch). Im Grunde genommen ist das die Kunstgeschichte. In der Mitte steht unsere Dozentin Aya Soika – ein guter Mensch und eine Spezialistin.
28) Meine amerikanische Kommilitonin Paris hält einen Vortrag über das Schaffen von Robert Rauschenberg, dessen Kunstwerk wir vor uns haben.
29) Die Präsentation ist sehr gut. Alle sind sehr aufmerksam.
30) Nichtsdestotrotz: die moderne Kunst ist die moderne Kunst.
31) Andy Warhol. Pop-Art ist überaus Pop-Art.
32) Über Andy Warhol und sein Werk trägt Chatlin aus Estland vor. Sie hat ein spezielles thematisches Mao-T-Shirt.
33) Eineinhalb Stunden dieser Veranstaltung verfliegen wie in einer Minute. Auf den Weg zum Ausgang passieren wir ein Café von Sarah Wiener – einer bekannten TV-Kochin und Show-Woman, die unbeliebt bei unserem Chef-Koch ist. Man sagt, dieses Cafe wäre sehr glamourös. Ich weiß nicht, da war ich noch nie.
34)15:00 Uhr. Mein Kommilitone Gram und ich habe die nächste Veranstaltung in 45 Min. in der Uni. Aya schlägt sehr freundlich vor, uns mit dem Auto mitzunehmen. Wir warten auf sie auf einem Parkplatz vor dem Museum und beobachten dabei die Reichstagskuppel.
35) Sein eigenes Auto zu haben ist natürlich viel bequemer als mit dem öffentlichem Verkehr zu fahren. Aber nicht immer schneller. Wir gerieten in einen Stau. Und als wir dann in der Uni angekommen sind, lief die Vorlesung schon seit 15 min. Es war 16:00 Uhr. In den Fluren war es leer. Alle sind in den Vorlesungsräumen.
36) Ich springe in den Vorlesungsraum ein. Dort ging es schon heiß her. Das ist meine Lieblingsveranstaltung. „Outsiders“ ist eine Vorlesung über die Außenseiter in den Kino-Filmen. Wir schauen uns die Filme an und diskutieren über die Sozialaspekte, die die Hauptfiguren dazu gebracht haben, Außenseiter zu werden, über die Techniken, die im Film genutzt werden usw. Gestern sahen wir „The Legend of 1900“. Heute trägt Irina aus Rumänien eine Analyse dieses Films vor. Ich habe mein Referat zum Film „Taxi Driver“ von Scorsese schon ein paar Wochen hinter mir. Also, Irina trägt vor, und ich sitze ruhig da und esse unterm Tisch meine Orange.
37) Nach der Veranstaltung sehen wir uns die Pinnwand mit Anzeigen an. Heute gibt es eine wichtige Nachricht –unsere Uni kommt unter die Leitung des amerikanischen Bard College. Diese Veränderung bleibt für mich ohne Folgen, weil ich hier für ein Jahr bin, aber nicht für viele unserer Bachelors.
38) 17:15, bis zum Abendessen (und für mich Mittagsessen, tja) bleibt noch etwa eine Stunde. Ich gehe zum Administrationsgebäude unserer Uni, gleich gegenüber, um die 50 Euro für die Fahrkarte erstattet zu bekommen.
39) Erfolgreich das Geld beschlagnahmt, kehre ich in das Wohnheim zurück (7 Min. zu Fuß) und auf dem Weg in den dritten Stockwerk schaue ich in dem sogenannten Common room vorbei. Das ist ein Gemeinschaftsraum, wo wir Partys feiern J Juhu, der Tannenbaum ist da, die Stühle stehen – am Sonntag, den 4.Dezember wird hier ein Weihnachtsauftritt unseres Chors stattfinden (ja, bis Weihnachten ist es noch etwas Zeit, aber der Plan gestattet keine anderen Terminmöglichkeiten). Ich bin auch beim Chor dabei, ich habe einen nervig-leisen Mezzo. Am Sonntag wird’s lustig!
40) Es bleibt noch Zeit bis zum Abendessen,
41) … und ich gehe ins Internet. Dort auf der Uniseite stelle ich fest, dass mein Foto mit einem Gastprofessor, der bei uns letzten Woche war, veröffentlicht wurde. Das Foto ist gewöhnungsbedürftig, aber das ist wenigstens ein kleiner geleisteter Beitrag von mir zu unserem Uni-Leben.
42) Noch sehe ich wie ein Mensch aus. Ich mache feierlich ein Foto von mir mit der Webscam. Salut, das bin ich :-)
43) Ich packe meine Sportsachen für das Fitness-Center zusammen. Anstatt von einem Abonnement, habe ich meinen Studierendenausweis – unsere Uni hat einen Vertrag mit dem Fitnessclub in der Nähe abgeschlossen, und somit können alle unsere Studenten dort kostenlos trainieren.
44) Ich hole mein Fahrrad und komme endlich in die Kantine. Meine erste vollwertige Mahlzeit für heute. Das ist schrecklich. Dafür ist es hier feierlich und gemütlich.
45) Meine Kommilitonen sind schon dabei zu essen.
46) "Art-Installation"
47) Nach dem Abendessen kehre ich in den Verlesungssaal zurück, wo auf uns Euch schon bekannte Irina wartet. Sie ist Organisatorin der Zeichentrickfilme-Abende. Wir werden uns von ihr ausgesuchte Zeichentrickfilme anschauen.
48) Wenn man beachtet, dass unsere Uni aktuell etwas über 50 Studenten hat, ist der heutige Abend ziemlich voll.
49) Die Zeichentrickfilme gingen von 19:30 bis 21:15. Gleich danach fahre ich trainieren. Draußen ist es dunkel. Am Parkplatz für die Fahrräder ist es leer. Obwohl, hier ist es immer menschenleer.
50) Meine Kamera habe ich zum Trainieren nicht mitgenommen. Wie es sich später herausstellte, sehr unbedacht. Heute waren nur der Fitnessclub-Mitarbeiter und ich da. Fast mein privater Trainigsraum J 22:30 sind meine sportliche Aktivitäten zu Ende.
51) Hier ist der Waschbrettbauch meiner Träume! Nee, eigentlich ist er das noch nicht.. Und das Gesicht wirkt erschreckt.
52) Im guten Tempo fahre ich nach Hause. Dort erwarten mich eine Dusche und abendliche kosmetischen Prozeduren.
53) Vorm Schlafengehen beschließe ich meine Vokalpartien zu wiederholen. Singen tue ich immer noch miserabel, aber wenigstens kann ich Noten lesen. Ja, wir singen hauptsächlich Gospels. Unser Repertoire stellt unser Chorleiter zusammen. So begeistert bin ich davon nicht, aber Hauptsache ich singe, und was – das ist eine Nebensächlichkeit. So langsam unter Noten falle ich in den Schlaf:-)
Autor: Julia http://liya-r-g-b.livejournal.com/