EIN SYMPATHISCHES TRIO

Von Hillebel

Nach einer schwierigen Scheidung hat Angela endlich ihre Lebensfreude wiedergefunden. In einem Hamburgerrestaurant lernt sie ein sympathisches Trio kennen: Einen jungen Vater mit seinen kleinen Zwillingen …

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Angela strebte mit ihren Einkäufen dem Parkhochhaus zu, als unvermittelt der typische Geruch des Hamburgerrestaurants an der Ecke Heisshunger in ihr auslöste. Beinahe hätte sie gelacht: Mit fast fünfzig Jahren lief ihr bei dem Gedanken an ein mit Sesamkörnern bestreutes Hackfleischbrötchen und einer Tüte mit Pommes das Wasser im Mund zusammen. Hing es vielleicht damit zusammen, dass sie nach zwei schwierigen Jahren wieder Lust auf’s Leben bekam? Lust, neuen Menschen zu begegnen? Sie beschloss, ihre Einkäufe im Kofferraum zu verstauen und hier, umgeben von jungen Gesichtern, zu Mittag zu essen.

Mit dem Tablett in der Hand sah sie sich nach einem freien Platz um. Und entdeckte ihn an einem Tisch, an dem schon ein Mann mit zwei kleinen Kindern sass. Zwillinge, vermutete sie. “Darf ich mich zu ihnen setzen?” fragte sie.

“Selbstverständlich, ich bitte Sie.”Im selben Atemzug fuhr der leicht erschöpft wirkende junge Vater schon fort: “Nein, Tobias, auf deinen Pommes ist schon genug Ketchup. Auf deinen auch, Julchen. Ach jemine, wie ihr schon wieder ausseht!” Seufzend sah er auf die runden, mit Ketchup beschmierten Gesichtchen. “Kommen Sie ihnen nicht zu nahe, sie kleben”, warnte er Angela mit einem netten Lächeln und schaffte es nicht mehr, Tobias’ Hand abzufangen, die einige von Ketchup triefende Pommes mit einem Schlenker zum Mund führte: “Na prima, jetzt ist das Sweatshirt auch noch bekleckert!”

Angela lachte. Dann griff sie zu. Mit Hilfe der zum Glück reichlich vorhandenen Papierservietten säuberte sie zuerst die kleinen Hände, dann die Münder. Zuletzt das Sweatshirt: “Der Rest geht beim Waschen raus”, tröstete sie den geplagten Vater.

Die Zwillinge hatten friedlich die Prozedur über sich ergehen lassen, und der junge Mann fragte dankbar: “Sind Sie zufällig ein Engel?”

“Oh nein, ich bin im Gegenteil sehr irdisch.”

Er reichte ihr die Hand: “Ich heisse Stefan Bräuer und bin zur Zeit Strohwitwer. Meine Frau Valerie wurde von ihrer Bank für drei Monate nach Brasilien geschickt. Und dies sind unsere Zwillinge Tobias und Julia.”

“Angela Giese”, stellte sie sich ebenfalls vor. “Ich weiss wie das ist mit Kindern, selbst wenn meine Töchter nicht in doppelter Ausführung vorhanden waren. Heute sind sie erwachsen und aus dem Haus, nur wird es sicher noch eine Weile dauern, bis sie mich zur Oma machen.”

Er musterte sie ehrlich erstaunt: “Kaum zu glauben, dass sie schon erwachsene Kinder haben. Der Mann, der sie zur Frau hat, ist ein Glückspilz.”

“Der Mann, der mich zur Frau hatte, ist vor zwei Jahren einer Jüngeren begegnet. Inzwischen hat er sie geheiratet”, informierte sie ihn und lachte dabei, damit es nicht zu dramatisch klang.

“Na, solche dummen Männer gibt es ja.” Stephan betrachtete nachdenklich die Zwillinge, die jetzt manierlich ihre Pommes und panierten Fischstäbchen assen: “Es ist nicht zu fassen, wie gut sie sich plötzlich benehmen. Darf ich Sie zum Dank für diese ruhigen Minuten zu einer Tasse Espresso einladen?”

Angela fühlte sich wohl mit diesem sympatischen Trio: “Gern”, erwiderte sie herzlich.
Sie genoss das schwarze, duftende Getränkt, das er ihnen beiden geholt hatte. “Am nächsten Samstag feiern wir Tobias’ und Julchens dritten Geburtstag mit kleinen Gästen. Mir stehen schon gelinde gesagt die Haare zu Berge”, weihte er sie in seine Sorgen ein.

“Hilft Ihnen denn niemand?” fragte sie.

“Unser nettes au-pair-Mädchen liegt nach einer gottlob gut verlaufenden Blinddarmoperation im Krankenhaus. Zum Glück arbeite ich als Werbetexter zu Hause.”

“Soll ich kommen?” schlug sie spontan vor.

“Das würden Sie tun?” strahlte er sie an. “Wir wohnen Schubertstrasse 8, zweiter Stock. Natürlich bin ich auch da, und …”

Was das “und” zu bedeuten hatte, erfuhr sie nicht, denn Tobias verkündete: “Ich muss mal, Papa.”

“Ich auch”, echote Julia.

Stephan bekam einen roten Kopf: “Wieder ein Problem. Ich kann schlecht mit den beiden gleichzeitig gehen, und vor allem nicht mit Julia auf die Damentoilette.”

“Ich gehe mit Julia, und Sie mit Tobias”, entschied Angela.

Als sie wieder zurück waren, verabschiedete sie sich: “Ich muss jetzt gehen. Danke für den Kaffee.”

“Wir haben Ihnen zu danken. Bis Samstag, also?”

“Bis Samstag”, versprach sie.

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Am Samstag traf Angela gleichzeitig mit einem gutgekleideten Herrn an der Haustür ein. Er sah auf ihre Geschenktüten und schmunzelte: “Kindergeburtstag Bräuer?”

“Richtig.” Sie bemerkte seine eigenen, hübsch eingewickelten Päckchen. Bei dem Summton drückte er die Tür auf und liess ihr den Vortritt: “Mein Name ist Reinhard Bräuer, ich bin der Opa der Geburtstagskinder”, stellte er sich vor, während sie zum zweiten Stock hinaufgingen. Er sah gut aus mit seinem schwarzgrauen Haar und den blauen Augen, stellte sie fest. Sie nannte ebenfalls ihren Namen, und er verneigte sich leicht: “Aha, die Dame aus dem Hamburgerrestaurant. Mein Sohn hat mir von Ihnen erzählt. Er sprach von Ihnen wie von einem Wunderwesen.”

Oben versuchte Stephan den Kinderlärm zu übertönen, um sie einander vorzustellen.

“Bemüh’ dich nicht, Sohnemann, wir haben schon Bekanntschaft miteinander geschlossen”, unterbrach ihn sein Vater gutgelaunt.

Angela hatte jedem der Zwillinge zwei Handpuppen mitgebracht: “Nachher gibt’s eine Puppenvorstellung”, verkündete sie und hoffte, dass einer der Männer ihr dabei assistieren würde. Auch Reinhard Bräuers Geschenke lösten Begeisterung aus: Es waren zwei blitzende Kindertrompeten.

“Ein typisches Grossvatergeschenk”, meinte der Sohn und verdrehte die Augen.

Nachdem der Kakao ausgetrunken und der Geburtstagskuchen verputzt war, baute Angela mit Stephans Hilfe aus Stühlen und einer Decke ein kleines Theater auf. Sie hatte extra ein Stück für die vier Puppen geschrieben, und Reinhard übernahm mit sichtlichem Vergnügen den Part des Königs und des tapferen Prinzen, während Angela der Hexe und der schönen Prinzessin ihre Stimme lieh. Mucksmäuschenstill und gebannt lauschten die Kinder.

Nach dem magischen: “Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende” und dem stürmischen Applaus erhob Reinhard sich ächzend vom Schemel, auf dem er gesessen hatte, reichte Angela zum selben Zweck hilfreich die Hand und sagte nach einer Verneigung zum Publikum mit seiner schönsten tiefen Stimme, der Stimme des Königs, zu Angela: “Ich finde, wir haben das unsrige getan. Jetzt möchte ich Sie entführen und Sie, vielleicht nach einem Spaziergang im Park, zum Abendessen ausführen.”

“Macht es Ihnen nichts aus, jetzt Ihren Sohn allein zu lassen?” wollte Angela wissen.

“Überhaupt nicht”, schmunzelte er. “Glauben Sie mir, er wirkt zwar zeitweise etwas mitleiderregend in seiner frei gewählten Vaterrolle, aber er trug auch keinen Heiligenschein, als er das Alter dieser Rangen hatte. Er hat uns ganz schön auf Trab gehalten, seine Mutter und mich.”

“Geht nur”, beklagte sich Stephan, aber seine Augen lachten, als er die beiden zur Tür brachte. “Vielen Dank für alles, ihr wart wundervoll. Ich ruf dich morgen an, Papa, wenn ich dann noch am Leben bin. Jetzt wünsche ich euch viel Vergnügen, ihr habt’s euch redlich verdient.”

“Das will ich auch meinen”, gab sein Vater zurück.

Draussen blieb Angela stehen, weil plötzlich die altbekannte Panik in ihr aufstieg. Was machte sie hier mit diesem Mann, von dem sie kaum etwas wusste? Als hätte er ihre Gedanken erraten, sagte er ungewöhnlich ernst: “In unserem Alter sollte man ehrlich sein. Darf ich Ihnen ein Geständnis machen? Seit meine Frau vor vier Jahren gestorben ist, ist es das erste Mal, dass ich den Wunsch habe, mit einer Frau zusammenzusein, um sie besser kennenzulernen. Bis jetzt hätte ich mir nicht einmal vorstellen können, mit einer anderen Frau als Ruth auszugehen.”

“Es tut mir leid, dass Sie Ihre Frau verloren haben”, erwiderte sie betroffen.

Er sah die attraktive schlanke Frau mit den dunklen Haaren und den haselnussbrauen Augen lange an: “Stephan sagte mir, dass Sie geschieden sind?”

Überrascht stellte Angela fest, dass sie sich schon im nahen Park befanden, ihre Schritte hatten sie von ganz allein dorthin gelenkt. Das musste doch etwas zu bedeuten haben? Sie fühlte sich wohl mit diesem Mann, gestand sie sich ein. Warum sollte sie es ihm nicht zeigen, wie er es ihr gezeigt hatte? War dies nicht die Gelegenheit, die Ängste und Selbstzweifel, die ihr in letzter Zeit das Leben vergiftet hatten, endgültig über Bord zu werfen? Sie erzählte Reinhard Bräuer in wenigen Worten die Geschichte ihrer Ehe und Scheidung: “Ein klassischer Fall. Hugo und ich haben arm und jung geheiratet, wir haben uns geliebt, haben zusammen unsere beiden Töchter aufgezogen und es zu etwas gebracht. Dann hat er eine Jüngere kennengelernt. Vermutlich habe ich auch Fehler gemacht. Sicher war ich nicht aufmerksam genug, jedenfalls habe ich nichts kommen sehen, und das machte alles besonders schmerzlich.”

Angela erfuhr, dass Reinhard 53 Jahre alt und Architekt war: “Aber genau so gern wäre ich Schauspieler geworden.”

“Das habe ich während des Theaterstücks gemerkt. Es ist nicht einfach, vom Blatt abzulesen und gleichzeitig den Puppen Leben einzuhauchen.”

“Es war leicht bei dem ausgezeichneten Stück. Sind Sie Schriftstellerin?”

“Ich wäre es gern geworden”, lachte sie ihn an, “statt dessen übersetze ich aus dem Englischen, was andere schreiben.”

“Dazu gehört unbedingt eine schriftstellerische Begabung!”

Während des ausgezeichneten Essens fragte er plötzlich: “Reisen Sie gern, Frau Giese?”

“Für mein Leben gern, aber ich habe es schon lange nicht mehr getan”, rutschte es ihr heraus.

“Ich wollte schon immer gern im Mai nach Griechenland. Könnten Sie sich vorstellen, dass wir die Reise zusammen machen?”

“Warum nicht?” In diesem Augenblick wusste sie, dass sie sich in diesen warmherzigen, interessanten und kultivierten Mann verliebt hatte.

Als sie sich später vor ihrer Haustür voneinander verabschiedeten, bat er sie um ihre Telefonnummer, um sie gleich morgen anzurufen: “Ich möchte Sie nämlich so schnell wie möglich wiedersehen, Angela.”

An diesem Abend schlief sie glücklich ein. Das Leben schien erneut voller Verheissungen zu sein …

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Er rief weder am Sonntag, noch an den folgenden Tagen an. Angela war verzweifelt und zornig auf sich selbst. Sie hätte wissen müssen, dass alles nur auf eine neue Enttäuschung hinauslaufen würde. Nie hätte sie ihr so mühsam wiedererworbenes Gleichgewicht derart leichtfertig auf’s Spiel setzen dürfen. Diesmal war Schluss mit den Männern. Endgültig Schluss!

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Am Freitag Nachmittag trillerte ihr Handy. Es war Stephan: “Angela, grüss Sie, mein Vater hatte am Samstag nach Ihrem gemeinsamen Abend einen Unfall. Es sah ziemlich schlimm aus, deshalb wollte er nicht, dass ich Sie anrufe. Erst jetzt, nachdem die Ärzte mit Bestimmtheit sagen konnten, dass er sein Leben nicht als Krüppel beenden wird, würde er Sie für sein Leben gern sehen. Mögen Sie kommen?”

Nach dem eisigen Schreck strömte das Blut endlich wieder zu ihrem Herzen. Beschämt dachte sie an ihr Misstrauen, daran, dass sie wieder in Selbstmitleid versunken war. “Danke, Stephan, ich mache mich sofort auf den Weg!”

Nachdem sie den Namen des Krankenhauses und die Zimmernummer notiert hatte, fügte sie gespielt grimmig dazu: “Himmel, was werde ich Ihrem Vater einheizen!”

Aber als sie dann vor ihm stand und die Bandagen und das Zelt sah, unter dem sein operiertes Bein lag, fragte sie nur sanft: “Tut es sehr weh?”

“Es tat sehr weh, aber jetzt sind Sie ja da, Angela. Ein junger Schwachkopf hat mich auf dem Bürgersteig, fast vor meiner Haustür, brutal übergemangelt. Er hatte sie Gewalt über seinen Wagen verloren.”

Sie sprach ihm ihr Mitgefühl aus. Und fügte hinzu: “Ich habe Ihnen die ganzen Tage in Gedanken Unrecht getan. Weil Sie nicht anriefen, dachte ich, dass Sie mich nicht wiedersehen wollten. Dass Sie mich plötzlich, wie Hugo vor Ihnen, zu alt gefunden haben.”

“Erstens: Sie sind nicht alt. Schlagen Sie sich das sofort aus dem Kopf! Zweitens: Ich bin nicht Ihr Ex-Mann, und ich werde es nie sein. Und wenn Sie es zusätzlich beruhigt: Ich wüsste gar nicht, worüber ich mich jeden Tag mit einer Frau, die altersmäasig meine Tochter sein könnte, unterhalten sollte!” Seine Stimme klang sehr sanft und absolut aufrichtig.

“Trotzdem muss ich dir eins sagen”, meinte sie mit Tränen in den Augen: “Tu so etwas nie wieder, hörst du? Einfach nicht anrufen, wenn du es mir versprochen hast. Und Entschuldigungen lasse ich nicht gelten, in der Art: Ich will ihr keinen Krüppel zumuten. Du lebst, das allein zählt!” Sie errötete, weil ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie ihn geduzt hatte.

“Ich verspreche es dir, Angela”, sagte er ernst und seufzte dann: “Leider müssen wir jetzt unsere Griechenlandreise etwas verschieben.”

“Griechenland mit dir wird immer schön sein, ob im Mai oder später”, erwiderte sie leise und strich zärtlich über seine Hand. Dann beugte sie sich zu ihm hinunter und küsste ihn. Reinhard duftete nach exklusivem Rasierwasser.

“Das war überhaupt kein Kuss einer alten Frau”, neckte er sie, als sie beide wieder zu Atem gekommen waren.

“Du küsst auch nicht gerade wie ein Opa”, lächelte sie zurück und stellte fest, dass ihr Herz tatsächlich so stürmisch klopfte wie das eines jungen Mädchens …

ENDE