Das Vorhaben des Bundesarbeitsministeriums, aufstockendes Arbeitslosengeld II für Selbstständige zu streichen, ist nicht nur ein Akt gegen die Grundsicherung kleinunternehmerischen Engagements - es ist gleichwohl ein gezielter Anschlag auf die Kunst.
Etwas über 14.000 Euro nehmen Künstler im Schnitt ein. Sagt die Künstlersozialkasse, die sich auf Zahlen derer stützt, die bei ihr versichert sind. Dabei ist zu konkretisieren, dass Künstler, die jünger als dreißig Jahre sind, durchschnittlich etwas mehr als 10.000 Euro einnehmen. Das sind wiederum Zahlen, die alle Künstler umfassen, in den jeweiligen Sparten sieht es anders aus: junge Musiker nehmen jährlich nicht mal 9.500, junge darstellende Künstler nicht mal 8.500 Euro ein. Großkotze der Kunst sind jene aus dem Bereich Wort - das sind Schriftsteller, Dichter, Bühnen- und Filmautoren, Lektoren, (Bild-)Journalisten und einige andere Berufe mehr. Im Durchschnitt nehmen sie jährlich 17.500 Euro ein, wobei die Ü30 des Bereiches Wort auch lediglich auf etwas mehr als 14.000 Euro kommt.
C. Spitzweg, Armer Poet in der Dachkammer
Wir sprechen hier vom Einkommen, nicht vom Gewinn - wir sprechen quasi vom Brutto des Künstlers. Und es ist der Gewinn, nicht das Einkommen, der auch für das Jobcenter maßgeblich ist, wenn der Künstler dort vorstellig wird, um seine Bezüge aufzustocken. Die Zahlen der KSK lassen ahnen, dass dort nicht wenige vorsprechen. Will man die Abdeckung der Grundsicherung mittels Arbeitslosengeld II für Selbstständige streichen, so betrifft das besonders die Künstler. Gestrichen werden nicht die Leistungen nach SGB II für Künstler, gestrichen wird die Kunst, wird der Künstler selbst. Denn der meldete dann seinen Freiberuf ab, um Existenzsicherung beziehen zu können. Von was soll er sonst leben?Aufträge aus dem Ärmel schütteln kann er sich nicht - so funktioniert eine künstlerische Laufbahn nicht. Und was, wenn er doch mal Einnahmen erzielt, trotz Abmeldung als Künstler? Wenn er die seinem Jobcenter vorlegt? Unterstellt man ihm dann, wieder selbstständig zu sein? Streicht man ihm den Regelsatz zusammen? Der Künstler soll schweigen, soll ruhen - wer Arbeitslosengeld II bezieht, so will man dem Bezieher begreiflich machen, der hat keine Kunst zu fabrizieren. Nach dem Bewilligungsbescheid ein Gedicht zu schreiben, ist gefährlich!
Man könnte frech behaupten, dass dieser geplante Steich von der Leyens auf die Medienkampagne gegen Johannes Ponader, Geschäftsführer der Piratenpartei, zurückzuführen ist. Der ist Schauspieler und Theaterpädagoge und gab vor einiger Zeit zu, sein wenig üppiges Salär mit Hartz IV aufzustocken. Ein Aufschrei ging durch das Feuilleton. Einen Schmarotzer nannte man ihn; soll er halt mehr Aufträge annehmen, hieß es zynisch. Gerade so, als lägen die auf der Straße herum. Oder besser noch, er solle richtiger Arbeit nachgehen, etwas Gescheites tun, körperlich - Blut, Schweiß und Tränen. Nützlich sein... Die übliche calvinistische Verächtlichkeit gegenüber Schöngeistigkeit und Ästhetik, die keinen pekuniären Wert abwirft - jedenfalls keinen großen, keinen vermögenden pekuniären Wert. Eine Einstellung, die sich immer latent gehalten hat, die aber nun irgendwie zum Abschluss kommen soll.
Sicherlich, kürzlich noch schrieb unter anderem die geschätzte Julie Zeh, dass es in diesem Land eine extreme Künstlerfreundlichkeit gibt; sie sprach von Stipendien, von der Künstlersozialkasse und etwaigen Fonds. Alles richtig. Aber die Grundhaltung zur Kunst ist damit doch nicht erklärt. Man schätzt sie ja, man findet sie wichtig - aber der, der sie macht, der sie formt und singt, der soll verdammt nochmal so davon leben können, dass die Allgemeinheit für ihn nicht einspringen muß. Die Künstlerfreundlichkeit ist hierzulande doch bestenfalls die Freundlichkeit gegenüber Künstlern, die es geschafft haben, von ihrer Kunst zu leben; es ist die Freundlichkeit gegenüber gutsituierten Künstlern, die Freundlichkeit gegenüber Künstlereliten. Wie man Ponader angriff, hat doch gezeigt, wie man den Kunstschaffenden sieht, wenn er nicht von seiner Arbeit leben kann; hat gezeigt, um wieviel schlimmer man es wertet, wenn dazu noch politisches Engagement kommt. Von der Leyen will der Selbstständigkeit generell ans Leder - sie trifft damit aber verstärkt die Kunst. Haben Sie schon mal den mitleidigen und oft despektierlichen Blick gesehen, den man zugeworfen bekommt, wenn man auf die Frage, was man denn tue, mit Schreiben! antwortet? Und davon kann man leben?
Es gibt ein kulturelles Bedürfnis des Menschen. Künstler befriedigen dieses. In Zeiten geilen Geizes ist es Usus, allerlei Bedürfnisse möglichst billig, vielleicht sogar gratis befriedigt bekommen zu wollen. Den Künstler trifft diese Sparwut eher als den Metzger. Aber irgendjemand muß diese kulturelle Arbeit doch trotzdem leisten. Sie ist existenziell für den Menschen, für seine eigene Wahrnehmung, für die Verarbeitung der Welt, wie sie sich ihm zeigt. Kunst schafft Reize, Impulse, bildet die Welt in verdichteter, komprimierter Form so ab, dass sie wahrhaftig und manchmal sogar wahrhaftiger wird, dass sie auf einen hin und wieder ästhetischen Kern geschrumpft wird, auf einen, der Erklärungen liefert. Das muß doch jemand tun! Ist die Forderung, man solle sich richtige Arbeit suchen, nicht ein Hohn? Ist das etwa keine richtige Arbeit, etwa keine wichtige Arbeit?
"Ich bin oft arbeitslos und weiß dann nicht, wovon ich die Miete bezahlen soll. Ich bin froh, überhaupt noch Arbeit zu bekommen, muss nehmen, was ich kriegen kann. Es ist schwer, davon zu leben", sagte die Schauspielerin Silvia Seidel in einem Interview. Zugejubelt haben sie ihr in den Achtzigerjahren; mittlerweile ist sie tot - Freitod, nachdem sie vorher regelmäßig ihren Frust in Alkohol konserviert hat. Das war eine Frau, die schon früh ganz oben war - und dennoch war sie oft arbeitslos, dennoch hatte sie Existenzängste. Das ist das Los so vieler Künstler - und das soll nun noch verschärft werden, setzt sich die Absicht von der Leyens durch. Ganz schön bezeichnend, wenn zeitgleich in Zeitungen zu lesen ist, dass der Selbstständigkeit, eben auch der künstlerischen Selbstständigkeit das Aufstocken verboten werden soll und dass eine Schauspielerin, die von Existenzängsten getrieben war, die ihre oftmalige Arbeitslosigkeit beklagte, sich das Leben nahm. Makaber ist das! Und eigentlich paradox - diese Paradoxie immer wieder herauszuarbeiten, das ist die Aufgabe der Kunst. Der Journalismus schafft das nicht, kann er nicht, ist nicht seine Aufgabe - schon gar nicht, wenn er zum Schönalismus wird, der publizistisch zu schönen hat, was so unschön ist.
Es trifft ja nicht nur Künstler!, wird man nun einwenden. Stimmt. Auch um die anderen Kleinunternehmer ist es schade - schade um sie als Menschen, deren Vision dahinschmilzt oder sie selbst, wenn sie dennoch Kleinunternehmer bleiben, der zu wenig zum Leben hat, der also Existenzsicherung bräuchte, die er nicht mehr kriegt. Aber Künstler trifft es überproportional - und es trifft sie nicht nur persönlich, sondern es trifft uns gesellschaftlich, trifft uns kulturell, macht nicht nur den Selbstständigen arm, sondern uns alle, läßt uns alle geistig, kulturell und schöngeistig verarmen. Vielleicht ist die Absicht nicht direkt, den künstlerischen Müßiggang, den die bürgerliche Mitte immer schon kritisierte, einzudämmen. Aber er ist so ein schönes Nebenprodukt der Forderung von der Leyens. Endlich bringt man sie weg von ihrer Berufung und steckt sie in einen Beruf. Endlich werden sie nützlich, können wir sie allgemein monetären Gründen wegen verzwecken.
Was hier geschieht, ist die Gleichschaltung des Menschen vor kapitalistischen Interessen. Die Kunst hat in einer Dystopie, wie sie die gleichgeschaltete Gesellschaft ist, keinen Platz - nur wenn sie satte Märkte erschließt. Dann kann der Künstler ja auch davon leben - dann ist er zwar immer noch ein suspekter Mensch, aber doch wenigstens ausreichend mit Geld ausgestattet, um seine Seltsamkeiten alimentieren zu lassen. Von der Leyens Forderung ist so viel mehr - sie ist ein Mordanschlag auf freie Kleinkunst!
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