Ein Star wird man nicht von heute auf morgen

Das Wiener Kindertheater gastiert bis zum 20. September mit den „Schlimmen Buben aus der Schule“ von Johann Nepomuk Nestroy im Muth. Eindrücke von einem Probentag mit ungefähr 50 Kindern und Jugendlichen, die die Bühne lieben.

„Alle ruhig und herhören!“ Mit lauter Stimme verschafft sich Sylvia Rotter inmitten einer aufgekratzten Kinderschar Gehör. „Ich möchte, dass ihr jetzt alle gut aufpasst. Was wir jetzt machen ist wichtig und wir dürfen keine Zeit verlieren!“ Die Schauspielerin, die ihr Studium an der Royal Academy of Dramatic Arts in London absolvierte, ist die Leiterin des Wiener Kindertheaters, das alljährlich eine neue Produktion auf die Bühne stellt. Heuer sind es „Die schlimmen Buben in der Schule“ von Nestroy. Kinder und Jugendliche von 5 bis 18 Jahren machen dabei mit, nicht nach Altersklassen getrennt, sondern in einer einzigen Gruppe. Das verlangt Einfühlungsvermögen, aber auch Disziplin von der Leitung und Rücksichtnahme und gegenseitige Hilfestellung vom Schauspielnachwuchs selbst.

Geprobt wird das ganze Jahr über im 3. Bezirk. Am Wochenende vor Schulbeginn geht es dann in die Intensivphase. Gespielt wird mit zwei kompletten Besetzungen, dem Kindertheater gehören aber insgesamt ungefähr 100 Kinder an. Klarerweise gibt es eine Fluktuation, deswegen werden auch jedes Jahr neue Kinder aufgenommen. Ziel ist es, klassisches Repertoire so früh wie möglich zu vermitteln und Freude am Spiel und vor allem an der Sprache zu wecken. Anmelden kann sich, wer Lust zum Spielen hat, aber auch weiß, dass man dafür zu den Kursen und Proben kommen muss.

„Du bist noch immer zu wenig verständlich! Mach die Daumenübung zu Hause so oft du kannst!“ Rotter kommentiert einen kurzen Probenauftritt und zeigt einem Jungen während sie dies sagt, wie er beim Sprechenüben den Daumen in den Mund nehmen soll. Eine Probe funktioniert bei Kindern gleich wie bei Erwachsenen. Ausgestattet mit Skripten wird beobachtet, wie die Theaterleiterin mit Petrica Voicu auf der Bühne kurze Szenenausschnitte nachstellt. Wer sich unsicher ist, macht Notizen, um nichts zu vergessen. Voicu kommt aus Polen und hat sowohl hier in Wien aber auch in seinem Heimatland die Aufgabe, den Kindern und Jugendlichen eine bühnenreife Körpersprache beizubringen.

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„When Franz pushes your head it´s up to you to move it left and right!“ Petrica, wie ihn auch die Kinder nennen dürfen, spricht Englisch, was für niemanden der Schülerinnen und Schüler ein Problem bedeutet. Er zieht sich an seinem eigenen Schopf und wackelt mit dem Kopf hin und her. Als Schauspieler, Lehrer und Regisseur in Personalunion hilft er bei den Produktionen in Wien und ist auch in Rumänien für die Theaterprojekte zuständig. „Try to look like this!“ ermuntert er einen Buben und schon verzieht er nach einem Puffer, den er sich selbst zufügte, schmerzvoll das Gesicht. „Wampel, when you are very angry speak with closed teeth!“ „So, das machen wir jetzt alle, nicht nur die Wampels!“, motiviert Rotter die aufmerksame Truppe und schon sind die Mädchen und Burschen von den Sitzen aufgestanden und zischeln sich bei geschlossenem Gebiss furchterregend an. Auf diese Art und Weise schlüpft jeder einmal in jede Rolle und bekommt so ein besseres Verständnis dafür. Die verblüffendste Beobachtung ist, dass sich der Altersunterschied der Kinder nicht auf die Gruppendynamik auswirkt. Wenn eine Szene noch nicht sitzt, helfen sich alle gegenseitig. „Du, ihr habt euch in die falsche Richtung gedreht!“, oder „wir müssen am Schluss alle gleichzeitig von der Bank springen!“ – die Korrekturen erfolgen nicht nur von der Theaterleiterin, sondern werden von den Probenden auch untereinander durchgeführt.

Das Wiener Kindertheater, das bereits seit 21 Jahren besteht, hat drei Ableger in Polen. Involviert sind die Städte Bukarest, Oradea und Kluj. Es gibt sowohl Gastspiele, als auch einen regen kulturellen Austausch zwischen den Lehrenden. Julia Meinx zeichnet für die musikalische Ausbildung verantwortlich und begleitet die kurzen Couplets am Klavier. „Großartig, wirklich großartig, du bist ein richtiges Talent. Extrem musikalisch, das hat mir sehr gut gefallen“, wird ein Mädchen nach ihrem Auftritt gelobt. Dass ein solcher Ansporn strahlende Augen hervorruft, versteht sich von selbst. Wenn eine Leistung gut war, dann wird sie von der Theaterregisseurin auch dementsprechend honoriert. Die Kinder können selbst sehr gut zwischen schlechten und guten Auftritten unterscheiden, sehen auch selbst die unterschiedlichen Begabungen. Je authentischer hier Lob und Tadel verteilt werden, je gerechter die Statements sind, umso mehr Akzeptanz finden diese auch beim Schauspielnachwuchs.

„Diejenigen, die bei der Premiere spielen, gehen bitte umziehen und schminken. Die anderen rasch, rasch auf die Bühne, wir sind bereits 12 Minuten zu spät!“ In wenigen Augenblicken leert sich der Zuschauerraum im Muth, in dem sich bis dahin die Kinder beider Besetzungen befunden haben. Während die einen intensiv weiter proben, fassen die anderen ihre Kostüme aus. Wie die Großen gehen sie damit in die Garderobenräume, um sich umzuziehen und anschließend aufs Schminken zu warten. „Das letzte Mal hatte ich eine grüne Hose, die hat super gepasst!“ „Na, dann nehmen wir die wieder, wenn du das sagst, wird das schon stimmen.“ Die Garderobiere holt aus einem Stapel gefalteter Hosen eine grüne heraus und schon ist einer der „schlimmen Buben“ sichtbar zufrieden.

Beim ersten Gesamtdurchlauf in Kostüm und Maske ist die Überraschung groß. Da gibt es echte Talente, sowohl unter den Volksschulkindern als auch unter jenen, die bald maturieren. Peter Petersil wird von Antonia Fulmek, einem zarten, kleinen weiblichen Dreikäsehoch mit roter Perücke dargestellt. Herzerfrischend, wie sie den Lehrer Wampl mit verstellter Stimme an der Nase herumführt. Unglaublich, wie stimmgewaltig, ausdrucksstark und selbstbewusst sich Franz-Josef Ertl-Egger als Willibald präsentiert. Zum Staunen, wie professionell Clara Wolfram in die Rolle von Franz dem Schulaufseher schlüpft. Als schlankes, groß gewachsenes Mädchen spielt sie diesen in einer Hosenrolle. Da sitzt jede Geste, jede Mimik und an der Artikulation gibt es auch nichts auszusetzen. Zum Brüllen, mit wie viel Dummheit Jakob Loudon seinen Stanislaus angelegt hat. Sind das die neuen Stars von morgen?

Das gemeinsame Arbeiten in einer Gruppe, die Erfahrungen rund um eine Theaterproduktion, das Stehen im Rampenlicht, der Applaus, aber auch die vielen, vielen Probenstunden sind prägende Ereignisse. Die eine oder der andere wird vielleicht wirklich einmal Schauspiel studieren. Für alle aber, egal welchen Beruf sie einmal ergreifen werden, bedeutet das Mitmachen eine Schule fürs Leben.

Link zum Wiener Kindertheater hier

Link zum Muth hier


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