Nein, Peter Erfurts spannungsgeladener Abenteuerroman führt zurück in das Afghanistan der 1920er Jahre, als König Amanullah mit behutsamen Reformen versuchte, sein Land vom Mittelalter und gerade erst überwundener britischer Kolonialherrschaft in die Gegenwart seiner Zeit zu führen. Für viele Afghanen gilt übrigens heute die Königszeit zwischen 1919 bis 1974 als glückliche Zeit, trotz auch damals vorhandener Zwiste. Solch ein Zwist zwischen königlichen Reformen und reaktionärem Mullah-Widerstand bildet den Hintergrund der erzählten fiktiven Geschichte.
Die Helden sind zwischen 16 und 18 Jahre jung: Mohammed Durrani, Paschtune und Sohn eines nicht begüterten Dorfoberhauptes aus königlichem Geschlecht, und Afzal Younus, Sohn eines zu Reichtum gekommenen turkmenischen Pferdehändlers. Beide Jungen betrachten sich trotz unterschiedlicher Herkunft als Freunde. Beide eint ein Wunsch, sich als Reiter für das traditionelle Reiterspiel Buzkashi ausbilden zu lassen, um danach beim nationalen Wettkampf vor dem König Ruhm und Ehre zu gewinnen. Beide werden deshalb von ihren Vätern nach Masar-i-Scharif geschickt, um dort die entsprechende rund zweijährige Ausbildung zu durchlaufen. Doch in dieser Zeit geht eher unmerklich die Freundschaft der beiden Jungen in die Brüche, denn Afzal ist von Ehrgeiz zerfressen und will den ihm überlegenen Mohammed ausstechen. Vor der Prüfung für die Aufstellung der Provinzmannschaft durchtrennt Afzal unbemerkt Mohammeds Sattelgurt, so daß dieser - obwohl bis dahin bester Kandidat - schließlich stürzt und ausscheidet. Nicht nur Mohammed und sein Vater vermuten einen Sabotageakt, doch keiner kann diesen beweisen. Afzal wird anstelle von Mohammed nominiert. Doch der Besitzer des Reitstalls trifft eine weise Entscheidung; Mohammed darf dennoch und zwar als Ersatzreiter mit auf die Reise in die Hauptstadt gehen.
Die Reise führt über die schroffen Gipfel des Hindukusch und soll sich bald als überaus gefährlich erweisen. Die Karawane wird von aufrüherischen, königsfeindlichen Banditen überfallen. Während Mohammed tapfer kämpft, hat sich der großmäulige Afzal vor lauter Feigheit verkrochen. Als das offenbar wird, stoßen die Reiter den Feigling aus ihren Reihen und Mohammed wird nun doch vollwertiges Mannschaftsmitglied. Afzal gerät zunächst aus ihrem Blickfeld.
In Kabul wird dann die Mannschaft aus Masar-i-Scharif zwar nicht Sieger, wohl aber brilliert der junge Mohammed als bester Einzelkämpfer und wird vom König mit einer Standarte und dem Ehrentitel Khan ausgezeichnet. Nach einigen Tagen geht es zurück in die heimatliche Provinz, aber diesmal auf einem scheinbar ungefährlicheren Weg. Auf ihrer Reise werden die Reiter erneut von den Banditen überfallen. Groß ist die Überraschung, als sie in einem der Anführer den verräterischen Afzal erkennen müssen. Dieser raubt nicht nur Mohammeds Standarte, sondern tötet darüber hinaus auch noch den Mannschaftsführer, seinen eigenen Onkel.
Nach der Rückkehr ins Heimatdorf beratschlagt Mohammed sich mit seinem Vater, wie er am besten den Verräter bestrafen kann. Zu Mohammeds Überraschung erscheint eines Tages auch Afzals Vater, bittet um Entschuldigung für dessen Untaten und bestärkt Mohammed in seinen Plänen. Denn Afzal habe doch auch die Ehre der eigenen Familie tödlich verletzt und müsse daher seiner Strafe zugeführt werden.
Nun beginnt Mohammeds Suche nach Afzal, die ihn bis nach Nuristan führt. Überall auf seinem Wege stößt er auf Afzals Spuren: Mord, Raub, aufrührerische und prahlerische Lügenreden, sogar Vergewaltigungen. Und als Afzal gewahr wird, daß Mohammed ihm dicht auf den Fersen ist, läßt er es an verleumderischer Hetze gegen der früheren Freund nicht fehlen… Und immer wieder gelingt es Afzal, sich mit Heimtücke und Hinterlist aus der Schlinge zu ziehen. Doch Mohammed gibt nicht auf. Zumal er sich in Nuristan in eine junge Frau verliebt hat, die ebenfalls ein Opfer des verlogenen und brutalen Afzal geworden ist. Auch sie will Rache… Was auf dieser Spurensuche im einzelnen geschieht, das soll aber hier nicht weiter ausgeführt werden.
Wird es Mohammed gelingen, Afzal zu stellen und ihn seiner Strafe zuzuführen? Das bleibt zunächst offen. Und dem für das Jahr 2015 angekündigten Folgeband “Die Rose von Nuristan” vorbehalten.
Dieses Buch ist fürwahr ein echter Abenteuerroman, spannend erzählt und voller überraschender Wendungen und Entwicklungen. Und es ist keineswegs nur für jugendliche Leser geeignet, sondern eigentlich für jedes Alter.
Dieses Buch ist aber mehr als nur ein Abenteuerroman, denn es macht den Leser auch mit der Geschichte, den einzelnen Ethnien, ihren Sitten und Gebräuchen, den geltenden Moralgesetzen der einzelnen Stammesgesellschaften vertraut. Die Nationenbildung hatte damals erst begonnen und ist heute immer noch nicht abgeschlossen. Und so hilft das Buch auch, heutiges Geschehen in diesem Lande etwas besser zu verstehen, das seit 35 Jahre unter einem blutigem Bürgerkrieg und ausländischer Invasion und Besatzung leidet. Damals wie heute geht es um gesellschaftlichen Fortschritt, um den Kampf zwischen Modernisierern aus den städtischen Oberschichten und reaktionären Stammesführern und ebenso reaktionären klerikalen Hetzern, den Mullahs. Leidtragende einst wie heute waren und sind die einfachen Leute. Damals im Bürgerkrieg von 1928/29 trugen dazu noch rivalisierende Prinzen zum Scheitern des Königs bei.
Und noch eines soll unbedingt erwähnt werden. Peter Erfurt versteht es nicht nur, menschliche Leidenschaften, wie Haß und Neid, sondern auch sonstiges zwischenmenschliches Verhalten lebensecht zu beschreiben. Hier sollen nur die orienttypische blumenreiche Sprache untereinander und gegenüber Respektpersonen oder das Feilschen auf dem Markt erwähnt sein, oder aber Inhalte priesterlicher Haßpredigten. Gleiches gilt für überaus anschauliche Beschreibungen der Landschaften und des alten Kabul, der Königlichen Familie oder der Turnierkämpfe.
Löblich ist nicht zuletzt das beigefügte Sachwortverzeichnis.
Dieses sehr gut und voller Empathie geschriebene zweite Buch des Buntstein-Verlages (Buntstein - das ist wirklich Understatment!) ist rundum gelungen und darf deshalb durchaus als Edelstein bezeichnet werden. Der Rezensent empfiehlt es gerne weiter und ist selbst überaus gespannt auf die Fortsetzung.
Siegfried R. Krebs
Peter Erfurt: Der Reiter des Königs. Roman. 156 S. Klappenbroschur. Buntstein-Verlag. München 2014. 9,99 Euro. ISBN 978–3–95669–023–5
Erstveröffentlichung Freigeist Weimar