Ein Sommer auf der Alm

Roland hatte sich entschlossen, auch im Sommer 2015 ein kurzes Intermezzo auf einer Alm in der Schweiz einzuschieben. Bereits im September 2014 hatte er sich dafür die Alp Soliva bei Disentis im Kanton Graubünden in der Schweiz ausgesucht. Mehr als 100 Jungkühe und vier Esel sollten seine zu betreuenden Schützlinge sein. Logisch ging es dabei auch ums liebe Geld, denn die Schweizer zahlen ihre Hirten, Senner und Sennerinnen sehr gut. Seit Jahren schon kommen für diese nicht immer romantische Arbeit zahlreiche Südtiroler, Deutsche und Italiener in die Schweiz, um diese Schweizer Tradition fortzusetzen und einen ganz speziellen Sommer auf der Alm zu verbringen.
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Roland hatte sich bereits vor mehr als 30 Jahren für diese Art “Ausstieg” entschieden, damals waren es fünf Sommer hintereinander, die er als Hirte, als Senner, als Käser und so weiter verbrachte. Im Laufe seines Lebens hatte es ihn auch später immer wieder in die Berge gelockt, einmal betrieben wir gar zwei Sommer lang einen Almaufschank und dann vier Jahre lang ein Bergrestaurant auf mehr als 2000 Metern Höhe. Das Leben zog uns hinaus in die Welt und wieder zurück und dann definitiv nach Thailand. Dort haben wir seit fast einem Jahr eine Bungalowanlage gepachtet. Roland indes hatte sich Plan B zurechtgelegt und die Option offenlassen, einen weiteren Alpsommer in der Schweiz zu verbringen. Und nach Coras Tod im März 2015, und der unsagbaren Verzweiflung, die für uns beide dann folgte, war es zumindest für Roland schlichtweg “die Rettung”. Von allem Abstand zu bekommen, in Ruhe seinen Alpsommer zu verbringen und sich in die Natur zurückzuziehen.

Cora war unsere alles geliebte Hündin gewesen, die auf Koh Chang, unserer Insel in Thailand, zu Tode gefahren wurde. Wir hatten Cora mitgebracht in unser neues Leben. Eigentlich sollte sie im Sommer mit auf die Alm. Nun war alles anders gekommen, Cora lag begraben im Garten unseres “Boonya Resorts” und der Schmerz fraß sich in unser verwundetes Herz. Nichtsdestotrotz war es für Roland gut hinauf zu gehen in seine geliebten Berge und eine Auszeit von der Welt da unten zu haben.

Anfang Juni 2015 war es soweit. Und eine Überraschung wartete daheim bereits auf ihn. Es sollte einen neuen Hund geben. Shiela sollte Roland in die Schweiz begleiten. Die einjährige Hündin hatte ich über den Tierschutz gefunden, sie suchte eine neue Heimat und sie entpuppte sich als wahrer Schatz. Shiela ist ruhig, gelassen, ähnelt Cora sehr, auch im Charakter und liebte Roland auf Anhieb abgöttisch. Und er sie. In der Schweiz wartete bereits alles auf die beiden. Genaugenommen 105 Jungrinder und vier Esel, sowie eine etwas aufgeregte Alminteressentschaft, die Roland nicht ganz eindeutig erklärt hatte, dass es auf der Alp Soliva weder eine Zufahrt noch Strom gab.

Irgendwie waren diese Tatsachen in den Gesprächen wohl untergegangen. Roland konnte es Recht sein. So schleppte er seine Lebensmittel vorerst gut 20 Minuten bis zur ersten Hütte auf rund 1800 Metern Höhe und später noch einmal eine Stunde höher auf 2000 Meter. “So viel gerannt wie in diesem Alpsommer bin ich schon lange nicht mehr“, teilte er mir per Whats App in Thailand mit. Bei meinem Besuche Ende August konnte ich mich dann höchstpersönlich und körperlich davon überzeugen. Entsprechend erschlankt begegnete mir mein Traummann dann auch nach fast vier Monaten bei unserem Wiedersehen. Shiela war ihm dabei immer treue Begleiterin in all den Wochen und Monaten, die gesegnet waren von einer sechswöchigen Schönwetterperiode. Es gibt auf einer Alm nichts Schöneres als gutes Wetter. Doch auch Regentage und kalte Winde folgten, und sie machen das Leben auf diesen Höhen ganz schön anstrengend für Mensch und Tier.

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Die Schönwetterperiode aber brachte nicht nur Gutes. Viele Tiere wurden von der “Gamsblindheit” befallen, eine heimtückische Augenkrankheit, die von den Tausenden und Abertausenden Fliegen übertragen wird, die sich heuer auf allen Almen tummelten. “Wir mussten fünf Kälber ins Tal fliegen lassen, sie hatten einen weißen Film vor den Augen und konnten nichts mehr sehen“, berichtet Roland. Gottlob ist die Krankheit heilbar, und nach ein paar Wochen durften die Tiere ihre Sommerfrische wieder fortsetzen.

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Rudel von Gemsen bevölkerten oft das Hochplateau auf der Oberalp “Soliva“, Steinadler und Falken kreisten ihre Runden und Heerscharen von Murmeltieren machten sich bereits im Hochsommer für den Winter fit. “Es gibt nichts Schöneres als am Abend hier oben zu sitzen und still die Natur zu beobachten“, sinniert Roland. Als Einsiedler will er nicht bezeichnet werden, es sei vielmehr ein Aufatmen von der Hektik der Welt dort unten, ein sich Zurückziehen und Erholen von den Jahren des Lebens. Wer aber glaubt, dass ein Älplerleben einzig ein romantischer Rückzug bedeutet, der täuscht sich. Ein guter Hirte schaut täglich mehrmals nach seinen Tieren, verarztet sie wenn nötig und errichtet Zäune, um den Tieren die größtmögliche Sicherheit zu geben im oft sehr steilem Gelände. “Ich mag Tiere sehr gerne, so ist es mir auch bei den Rindern wichtig, dass es ihnen hier oben so gut wie möglich geht“, sagt Roland ganz ohne Romantik.

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Sein Tag beginnt um 7 Uhr früh und endet gegen 9 Uhr abends. Man steht praktisch fast mit den Tieren auf und geht mit den Tieren schlafen. Als er noch Milchkühe betreute, sah der Tag freilich ganz anders aus. Aufstehen um vier Uhr früh, in den Stall treiben, melken, Milch absahnen, Käsen, Restmilch mit der Pipeline ins Tal senden, Kühe auf die Weide, Frühstücken gegen 9 Uhr, dann nach den Tieren sehen, gegen 15 Uhr diese wieder in den Stall treiben und dasselbe Spiel vom Morgen wiederholen. “Da habe ich es jetzt schon etwas gemütlicher“, lacht Roland.

Dennoch geben immer die Tiere den Rhythmus des Alpsommers vor. Sie sind die Hauptdarsteller und der Hirte richtet sich nach ihnen. Er zieht mit den Tieren weiter und schaut wo saftigeres Gras wächst, bleibt meist den ganzen Tag draußen, egal welche Witterung es gibt, nimmt sich für unterwegs eine kleine Mahlzeit mit und kehrt normalerweise erst gegen Abend in seine meist karg eingerichtete Hütte zurück. Sowohl die untere Solivaalm als auch die obere haben weder eine Zufahrt noch Strom. Ein kleiner Agregator und Sonnenplatten helfen für den Notfall, doch große Sprünge sind damit nicht möglich. Das Handy-Aufladen einmal am Tag, etwas Radiohören, das war es dann gewesen. Wer mehr braucht, tut sich hier oben schwer. Doch braucht man mehr?

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Die Verbindung zur Familie, ja die ist wichtig und etwas Verbindung zur Welt. Alles andere wäre schon wieder Stress. Und wer braucht den schon hier oben? Ab und zu gab es auch Besuche von den Nachbaralmen oder der Revierjäger schaute vorbei. Einmal kam eine Einladung einer Bauernfamilie aus dem Dorf zum Mittagessen. Das war köstlich und wird sehr geschätzt. Das waren die Highlights des Sommers. Ach ja: Einmal kam eine Schäferin mit ihren 800 Schafen vorbei und erzählte von ihrem aufregenden Leben in den Bergen. Und Hirte Jan aus Deutschland, der auf der Nachbaralm schafft, kam auch öfters oder sie besuchten sich gegenseitig.

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Rolands treue Begleiterin Shiela indes war immer und überall dabei. Niemals hätte sie ihr neues Herrele auch nur eine Sekunde aus den Augen gelassen. “Wir haben einen wunderbaren Sommer verbracht, den ich niemals missen möchte“, sagt Roland. Jetzt sei er wieder gerüstet für ein paar Monate “verrückte” Welt da unten.


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