Ein Scherbenhaufen

Es gibt Bücher, die schnüren einem die Kehle zu. Nicht, weil sie so gruselig sind oder die Spannung bei der Verbrecherjagd ins Unermessliche getrieben wird. Das sind nicht meine Genres. Nein, die Bücher, die ich meine, sind so wahrhaftig, dass es einen einfach umhaut. So ein Buch ist Jenny Offills Roman "Amt für Mutmaßungen". Er ist bereits vielgepriesen. Nun kommt von mir ein weiteres Loblied hinzu.

Zum Kauf verleitet hat mich der Titel. Ich wollte einfach wissen, was dahinter steckt: Ein Paar, das sich einst Liebesbriefe schrieb und als Absender Amt für Mutmaßungen verwendete. Das Paar ist inzwischen verheiratet und hat eine Tochter. Und er geht fremd. Das ist der Moment, in dem alles zersplittert, in dem das Herz der Ich-Erzählerin zerbricht und sie in die distanzierte dritte Person wechselt. Fortan spricht sie nur noch von sich als die Frau. Und ihr Mann, den sie bis dahin liebevoll mit Du angeredet hat, wird zu dem Mann.

Offill lässt ihre Figur ihre Geschichte nicht stringent erzählen, sie gewährt dem Leser quasi einen Blick in den Kopf der Hintergegangenen. Ihr Roman ist keine chronologische Erzählung, sondern besteht aus Bruchstücken, aus einzelnen Anekdoten, er gleicht einem Gedankenstrom. Fragmente, Erinnerungen, abgespeichertes Wissen strömen auf den Leser ein, allmählich ergibt sich ein Bild. Offensichtlich war die namenlose Ich-Erzählerin ganz glücklich mit ihrem Leben, es nagte etwas an ihr, dass sie mit ihrem zweiten Roman nicht vorankam, sie zweifelte auch immer mal wieder an ihrem Ghostwriter-Engagement für einen Möchtegernastronauten, woran sie aber nicht zweifelt, sind ihre Tochter und ihr Mann. Man schließt sie ins Herz, ist ganz bei ihr, wenn sie ihr plärrendes Baby in die Drogerie schiebt, weil es sich dort endlich beruhigt. Die Tochter, diese kleine anfangs viel schreiende Wunder, verändert das Gefüge. Sie wird zur wichtigesten Person, zum Mittelpunkt. Ein möglicher Auslöser für die Affäre des Mannes? Eine Frage, die unbeantwortet bleibt. Vielleicht, weil der Auslöser keine Rolle spielt, es einfach keine Rechtfertigung für diesen Vertrauensbruch gibt.

Ebenso still und unaufgeregt, wie Offill ihre Protagonistin von ihrem Leben bis zu dieser Zäsur erzählen lässt, geht es weiter. Markiert wird der Bruch nur durch Distanz, auf die Offills Figur zu sich selbst geht. Das ist das Besondere an diesem Ehebruch-Roman. Er kommt aus ohne das dröhnende Unwetter, ohne die dramatische Aufwärtsspirale. Dabei verschweigt sie nicht das innere Drama, doch das ist eben nicht laut und polternd. Die Frau ist unter Schock, im Schwebezustand. Sie steht neben sich, denn die Gewissheit ihrer Liebe, die Gewissheit ihres Wir-gehören-zusammen-Gefühls hat sich als Trugschluss entpuppt. Wie es Offill gelingt, dieses Schockzustand einzufangen, ist ganz große Kunst und schnürt einem die Kehle ab.

Jenny Offill, Amt für Mutmaßungen, Deutsche Verlags-Anstalt

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