Ein Satz mit x...

Ich habe es kommen sehen. Schon gestern gegen späten Nachmittag zogen dunkle Wolken über Thessaloníki hinweg. Ich hatte das Wochenende damit zugebracht mich beim Internationalen Short Film Festival davon zu überzeugen, dass Griechen keine guten Filme machen und der französische Humor nicht mein Humor ist. Nachdem es Samstag tatsächlich recht erheiternd war, dem kleinen Kino-Fest beizuwohnen, blieb das Programm für Sonntag eine Enttäuschung. Ich war in extrem kultureller Stimmung, hatte mein Intellektuellen-Gesicht dabei und meinen Zeigefinger perfekt waagerecht unter der Nase platziert – gerade so, dass es aussah, als wäre ich sehr konzentriert und mental voll da. Es war dunkel. Also hat keiner meine Anstrengungen zu würdigen gewusst. Lange durchgehalten habe ich es ohnehin nicht, weil ab 20 Uhr jemand in sehr depressiver Stimmung war und das mit der Auswahl der gezeigten Kurzfilme treffend untermauert hat. Das Wort kurz ist dann auch nicht mehr ganz so treffend, wenn ein Werk aus dem Iran an die 30 Minuten geht und im Groben davon handelt, dass ein unmotivierter Typ mit seinem Motorrad durch Schlammwege fährt, um Post auszuteilen. Manchmal bin ich vielleicht einfach nicht klug genug. Es wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn der Film nicht ohnehin eingerahmt gewesen wäre von weiteren Werken, die aus Gründen der Ästhetik auf Dialoge verzichtet haben. Es starben grundsätzlich alle zum Schluss und ich stellte überrascht fest, dass ich das nicht schade fand. Im Gegenteil.
Das Unheil war also nah. Heute dann blieb ich dem Unheil zunächst fern und kam ein wenig später zur Schule. Nikos war froh, dass überhaupt wer kam – wir waren nämlich nur zu viert. Also, schwupps mit der anderen Klasse zusammen einen griechischen Film geguckt. Ich war natürlich hell auf begeistert, immerhin war ich ja gerade erst großer Fan geworden von der griechischen Filmkunst. War also wie erwartet nicht so spitze. Mein Examen war dafür nicht so schlecht. Immerhin eine 8.8 von 10. Damit kann man nach Hause kommen.
Im Anschluss direkt zur Uni, zum offiziellen Meeting der English ERASMUS students. War ich natürlich ziemlich aufgeregt, weil da endlich die Studenten kommen sollten, die hier mit mir studieren. War nett, aber irgendwie waren nicht so viele da und ich mochte die Professoren lieber, als die Studenten. Muss ja nichts schlechtes heißen. Freitag geht es dann los und bis dahin muss ich mich hier erstmal um alles kümmern. Immatrikulation, Ausweise, Unterschriften, Learning Agreement. Nicht so ein Spaß.
Für Nervenkitzel hat dann ein freundlicher Gypsy im Bus gesorgt, der mir mein Portemonnaie gemopst hat. Ich habe niemanden beobachtet, vielleicht war ich auch nur dämlich und habe es fallen lassen irgendwo. Das wäre allerdings ziemlich dämlich. Da ist es wahrscheinlicher, dass jemand von der Regierung versucht hat die Staatskasse zu füllen. Man weiß es nicht. Ich war mit Regina auf dem Weg zum Aristoteles Platz, um ihr die Stadt zu zeigen. Das hatte sich dann erledigt. Regina hatte schon nach der Wohnheimsbesichtigung genug. Da kam ein kleiner Ausflug in die örtliche Polizeistation gerade recht. Ich war sehr froh, dass sie mich begleitet hat, weil im Wartebereich des Flurs ein älterer Mann damit beschäftigt war seine Mitmenschen, ja vor allem die Polizei, zu beschimpfen. Ich hätte gerne gewusst worum es ging, aber ich fürchte selbst mit Kenntnis der griechischen Sprache hätte ich nicht viel verstanden. Hier in Griechenland wird alles über die Lautstärke geregelt. Das haben auch die Hunde verstanden. Wenn ich also nicht gerade davon wach werde, dass draußen, fünf Stockwerke tiefer ein Grieche aus Leibeskräften die Straße entlang brüllt, übernehmen das die Hunde. Immer wieder gerne um 1 Uhr nachts mit vollem Einsatz aller Streitkräfte. Wenn man sich dann in der Einschlafphase bewusst darauf konzentriert dem unterschiedlichen Bellen eine Hunderasse zuzuordnen, stehen die Chancen auf Schlaf gar nicht mal so schlecht.
Die Chancen auf mein Portemonnaie stehen da schlechter. Das fand der diensthabende Polizist aber gar nicht. Er war recht optimistisch, dass meine Geldbörse wieder auftaucht. Dann nur noch als Börse. Ohne Geld. Aber immerhin vielleicht mit Papieren. Vielleicht war er auch nur so gut drauf, weil nebenher der Fernseher lief und er während des Gespräches Telefonate vom Privathandy entgegen nahm. Das gehört nämlich hier zum guten Ton. Niemand würde einen Anrufer warten lassen. Nicht in der Bank, nicht auf dem Revier. Er notierte sich meine Daten und überreichte mir feierlich einen Schmierzettel mit der Nummer der Polizei. Ich hab herzhaft gelacht. Draußen erst. Das ist für uns Deutsche unvorstellbar, dass du auf der Polizei einen abgerissenen Zettel bekommst mit einer Nummer drauf, wo einfach POLICE drunter steht. Ich fühle mich jetzt jedenfalls sicher. Falls jemand die Nummer braucht – ich hab Kontakte.
Jetzt heißt es also erst einmal abwarten, ob ich vielleicht Glück habe und mein geliebtes Portemonnaie wieder auftaucht. Das wäre schön. Aber man weiß ja nie. So lange habe ich keine Identität. Und ein fröhlicher Gypsy läuft draußen rum und ist vielleicht schon auf dem Weg nach Deutschland. Man weiß es nicht. Kann gut sein, dass sich da ein griechischer Auswanderer besonders gut rasiert hat und selbst Mama und Papa nicht merken, dass das nicht ihre Tochter ist, die da früher als erwartet zurück gekehrt ist.


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