Ein Plädoyer für den freien, gemeinschaftlich finanzierten, demokratischen Rundfunk

Wieder einmal ist der öffentlich-rechtliche, gemeinsam finanzierte Rundfunk negativ in die Schlagzeilen geraten. Das liegt an einem Gutachten, das sich die ARD von der Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Wehling hat erstellen lassen. Ziel des Gutachtens, das etwas ungenau als Framing Manual bezeichnet wird, ist es, MitarbeiterInnen der ARD Kommunikationsstrategien an die Hand zu geben, die den Sinn und den Wert des von allen getragenen, freien und demokratischen Rundfunks vermitteln sollen. Es handelt sich dabei um ein internes Diskussionspapier, das anhand von Beispielen das sogenannte Framing verdeutlicht. Ein „Frame“ strukturiert und beeinflusst die Wahrnehmung der Realität auf eine dem Sprecher genehme Weise, indem Gefühle und Assoziationen mittransportiert werden. Wenn zum Beispiel von der Flüchtlingskrise, dem Asyltourismus oder der Lügenpresse gesprochen wird, werden Flüchtlinge mit einer heimischen Krise, einer Notlage verbunden, werden sie zum Problem herabgestuft. Die Lügenpresse suggeriert, dass Journalismus als Ganzes nicht mehr zu trauen ist, und beim Wort Asyltourismus verfallen wir dem Glauben, die Kriegsflüchtlinge aus Syrien wären in Luxusdampfern über das Mittelmeer geschippert, nur um es sich an unseren heimischen Gestaden gutgehen zu lassen. Wenn man statt von der Flüchtlingskrise zum Beispiel von einer gemeinsamen Herausforderung für alle Bürger unseres Landes gesprochen hätte, die es Hand in Hand zu bewältigen galt, hätte das ganz anders geklungen, wäre aber nicht weniger wahr gewesen.

Nun hat also die ARD sich eine solche Argumentationshilfe für ihre Außenwahrnehmung schreiben lassen. Sofort vielen die üblichen Rundfunkgegner über den Senderverbund her, bezichtigten ihn der beabsichtigten Manipulation und Gehirnwäsche, obwohl ihre aggressiven Kommentare selbst Tag für Tag nichts anderes im Sinn haben.

Ganz egal, wie man zu der Unfähigkeit der ARD steht, das interne Papier auch wirklich intern zu halten, möchte ich hier kurz begründen, warum ich ganz klar für die Beibehaltung unseres Rundfunksystems bin, und warum ich auch bereit bin, für dieses System zu zahlen.

Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten, den Rundfunk zu organisieren. Da wäre zunächst der privatrechtlich aufgebaute, kommerzorientierte, auf Profit ausgerichtete Rundfunk. Dieser Rundfunk bietet Programme an, für die man selbst als Mitglied einer Rundfunkorganisation zahlen muss, oder für die Werbeträger ihr Geld ausgeben. Damit ist dieser Rundfunk darauf angewiesen, das seine Programme massentauglich sind. Wenn zu wenige zuschauen oder zuhören, wird der Sender für die Werbeträger unattraktiv, bekommt weniger Geld und kann sein Programm nicht aufrecht erhalten. Gleichzeitig muss er mit so wenig Ressourcen wie möglich so viel Geld wie möglich machen, um dauerhaft gesichert seine Mitarbeiter bezahlen zu können und seine fortdauernde Existenz zu gewährleisten. Und schließlich wollen die Shareholder auch noch etwas an dem Sender verdienen, in den sie investiert haben. Aus all diesen Gründen ist zum Beispiel eine Nische für junge, noch unbekannte Dokumentarfilmer, für anspruchsvolle Kunstprojekte oder tiefgehende journalistische Recherchen unmöglich zu gewährleisten. Auch die Barrierefreiheit für Seh- und Hörbeeinträchtigte darf bei kommerziellen Sendern keine Rolle spielen, denn sie bringt nicht unmittelbar Geld, sondern verursacht objektiv vor allem Kosten. Das Angebot muss sich an der Mehrheit und der Masse orientieren, darf aber Minderheiten und Benachteiligte nicht berücksichtigen. Das alles ist völlig unabhängig von der Frage, wie man solche Sender bewertet, es ist schlicht der Konkurrenzkampf und der Zwang zur Profitmaximierung, der dieses Vorgehen notwendig macht.

Das zweite mögliche Modell ist der steuerfinanzierte Rundfunk. Dieser Rundfunk wäre nicht von Interessen großer Firmen und Privatrechtlicher Investoren abhängig, dafür aber von der Regierung und der sie tragenden Parlamentsmehrheit, die die Steuern festsetzt und somit auch jährlich im Haushalt entscheiden könnte, wieviel Geld der Rundfunk bekommt. Bei einem Haushaltsloch wäre die Versuchung groß, die Steuerzuwendung zu kürzen und damit einem unabhängigen Journalismus die Grundlage zu entziehen. Dasselbe gilt, wenn der Rundfunk der Regierung gegenüber zu kritisch wird. Radio und Fernsehen wären Staatsmedien, sie wären Eigentum des Staates und von der Regierungsmehrheit abhängig. Das kann funktionieren, birgt aber viele Verlockungen für Parteien und Minister, sich in die redaktionelle Freiheit einzumischen und mit dem Entzug der Gelder zu drohen.

Bleibt also der gemeinschaftlich finanziell getragene, von Regierungsentscheidungen und privatwirtschaftlichen Interessen grundsätzlich unabhängige Rundfunk. Jeder Haushalt beteiligt sich mit eigenem Kapital daran. Jeder Bürger ist Teil dieses Rundfunks, und zwar als kritischer Begleiter, Teilnehmer an Aktionen, Mitarbeiter oder eben Mitbürger, in dessen Namen der Rundfunk und sein Tun gestaltet und beaufsichtigt werden. Weil dieser Rundfunk nicht in Konkurrenz steht, kann er seine Programme auf der Basis des Gleichwertigkeitsgrundsatzes gestalten. Jede Region wird ebenso beteiligt wie Bevölkerungsgruppen, die wirtschaftlich schwach sind. Die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen werden ebenso berücksichtigt wie die Bedürfnisse alter oder junger Menschen. Der Rundfunk muss keine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen, sein Budget ist gewährleistet, er wird von uns allen getragen, ohne Zutun der Regierung. Sendungen, die zwar kreativ, aber nicht für ein Massenpublikum geeignet sind, trotzdem aber von einer Minderheit gesehen oder gehört werden, können ihren festen Platz bekommen. Für diesen Rundfunk ist jeder Bürger gleich wichtig, seine Bedürfnisse werden in gleicher Weise geachtet. Und um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht um Bedürfnisse, nicht um Ablehnungen. Wer sagt: Ich möchte keine Opern sehen, hat dieses Recht nicht, er kann aber ab- oder umschalten, um andere Dinge zu sehen. Ein solcher Rundfunk bietet flächendeckend, für alle Bevölkerungsgruppen und jeden Bürger, ein von der Regierung und wirtschaftlichen Interessen weitgehend unbeeinflusstes, ausgewogenes Bildungs-, Informations- und Unterhaltungsprogramm. Ich selbst bin blind. Ich freue mich über jeden Hörfilm, den ich sehen kann. Für kommerzorientierte Sender wäre so etwas zu teuer, sie würden dabei Verlust machen.

Das alles mag sich für Manchen wie eine Lobrede auf die ARD anhören, ist es aber nicht. Es ist vor allem keine Lobrede auf die ARD, wie sie derzeit funktioniert. Dass man Dinge ändern muss, dass zum Beispiel überteuerte Sportrechte, überzogene vorstandsgehälter und selbsterhaltende Bürokratie abgebaut werden sollten, ist nach meiner persönlichen Meinung eine dringende Aufgabe, um auch künftig den Anspruch eines gemeinsamen, freien Rundfunks aufrecht erhalten zu können. Aber das kann nur funktionieren, wenn dieser Rundfunk in ungefähr der jetzigen Größe und mit ungefähr der jetzigen finanziellen Ausstattung langfristig erhalten bleibt. Auch an der Unabhängigkeit gegenüber Parteien und Regierungsvertretern muss weiter gearbeitet werden, die ARD und das ZDF stehen beide in dieser Hinsicht nicht besonders gut da. Aber das grundsätzliche Rundfunksystem ist richtig. Selbst die profitieren vom gemeinsamen, freien Rundfunk, die sich entscheiden, ihn nicht zu nutzen. In ihrem sozialen Umfeld finden sich Menschen, die von der journalistischen Tiefe des Rundfunks profitieren und diese Informationen teilen, und wenn durch Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen, Regionen und Weltanschauungen der soziale Friede in Deutschland erhalten bleibt, so profitieren auch die Mitbürger, die sich entscheiden, nur den Kommerzfunk zu nutzen.

Aller Kritik zum Trotz sollten wir unseren gemeinsamen, freien, föderalen und demokratischen Rundfunk erhalten, der noch stärker als bislang auf dem Gleichwertigkeitsgrundsatz aufbauen muss, um alle Bürger zu beteiligen, die ihn gemeinsam tragen.

Nachsatz: Ich habe mich bei meinem Beitrag einiger formulierungen aus dem Framing-Handbuch der ARD bedient. Mein Ziel war es, meine Meinung darzustellen, nicht aber, andere Menschen in unzulässiger oder unbilliger Weise zu beeinflussen. Ich habe nach meinem besten Wissen und Gewissen die Wahrheit gesagt.

Dieser Beitrag kann auch in Podcast nachgehört werden.

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