Ganz ehrlich? Ich hatte mich wirklich sehr auf den neuen Roman von Anne Freytag gefreut, allen voran der LGBT-Thematik wegen. Endlich traut sich auch mal eine deutsche Autorin ran!, hatte ich gedacht und habe einen lesenswerten Jugendroman erwartet. Doch ich sage es gleich - ich habe das Buch nach 218 Seiten abgebrochen und erzähle euch hiermit auch gleich weshalb ich es abgebrochen habe.
Sophie war mir bereits von der allerersten Seite an nicht unbedingt sympathisch. Sie sträubt sich absolut gegen den unmittelbar bevorstehenden Umzug von Hamburg nach München und verhält sich auch nach der Ankunft in München ein bisschen sehr wie eine verzogene Göre. Kurz zur Erklärung für diejenigen, die den Inhalt nicht kennen: Sophie und ihr Vater ziehen zur Freundin des Vaters, die mit ihren beiden Söhnen in München lebt. Zum allerersten Mal im Leben hat es Sophies alleinerziehender Vater gewagt, etwas für sich selbst zu tun und mit seiner Tochter zu der Frau zu ziehen, die er liebt. Sophie ist das ziemlichst egal, sie sieht nur ihr eigenes Unglück.
Dass ein so krasser Umzug den Alltag auf den Kopf stellt, gerade wenn man noch zur Schule geht, kann ich noch bis zum gewissen Maß nachvollziehen, das ist gar nicht das Problem. Wobei ich mir schon die Frage stelle, weshalb Sophie der Umzug überhaupt etwas ausmacht, wo sie eh keine Freunde in Hamburg hat - ihr bester Freund wohnt nämlich in Frankreich. Und Skype gibt's auch in München. Aber nun gut. Übrigens - besagter bester Freund nennt seine beste Freundin, also Sophie, „Flittchen". Ja, „Flittchen", ihr habt nichts falsch gelesen. Entschuldige, aber in welchem Universum kann man so eine Bezeichnung in irgendeinem Kontext „nett" meinen?! Die Erklärung hierzu lautet übrigens, dass Sophie wie ein „modernes Schneewittchen" aussähe, wenn sie roten Lippenstift trägt und einen Mund hätte, der „viel zu obszön" wäre. Deswegen „Schneeflittchen" aka „Flittchen". Seriously?!
Dass die Protagonistin mir also von Anfang an eher unsympathisch war, wäre jetzt für mich kein absolutes Ausschluss-Kriterium, ich bin nicht der Ansicht, dass Protagonisten immer supersympathisch sein müssen. Es kommt nur immer auf deren Verhalten an. Und sorry, aber Sophies Verhalten geht einfach gar nicht. Und der Höhepunkt war schließlich dieser Abschnitt:
"Die Wahrheit ist nämlich, dass ich fast immer Scheiße baue, wenn ich auf eine Party gehe. Ich nehme mir vor, nichts zu trinken, trinke dann aber doch jedes Mal, weil ich die meisten Menschen nicht nüchtern ertrage. [...] und auf einmal knutsche ich mit irgendeinem dahergelaufenen Typen, ohne zu wissen, wie das passieren konnte. [...] Und dann schlafe ich mit ihm. Nein, eigentlich stimmt das nicht. Eigentlich liege ich nur mit gespreizten Beinen auf dem Rücken, starre an die Decke und warte, bis der jeweilige Typ fertig ist." - Seite 166
Ich habe diese Stelle tatsächlich mehrmals gelesen. Weil ich einfach nicht fassen konnte, dass das wirklich so dort stand. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man sich so verhalten kann. Und wieso man als Autorin überhaupt so einen Charakter erschafft, der sich so verhält. Wenn ich daran denke, dass so viele junge Mädels, die gerade selbst ihre ersten sexuellen Erfahrungen machen, dieses Buch und vor allem diese Stelle lesen, wird mir etwas schlecht. Natürlich kann man über alles schreiben, was man so möchte, aber ich finde schon, dass man gerade im Jugendbuchbereich doch eine gewisse Verantwortung gegenüber den Lesern hat. Und sorry, aber das geht einfach nicht! Ich bin glücklicherweise selbst aus diesem Alter raus, aber ich würde doch behaupten, dass es da draußen durchaus die ein oder andere Leserin gibt, die sich durch so einen Text bestätigt fühlt oder der damit vermittelt wird, dass es okay wäre, sich so zu verhalten. Und ich kann schlichtweg nicht nachvollziehen, wie man als erwachsene Frau so etwas schreiben und veröffentlichen kann.
"Ich bin einer von diesen Idioten, die sich immer gleich verhalten und dann wundern, dass sich nie etwas ändert." - Seite 168
Sophie weiß also anscheinend doch, dass sie sich vollkommen idiotisch verhält. Macht aber munter weiter. Gut, dass sie wenigstens sich selbst als Idiotin bezeichnet. Doch das sollte eigentlich nicht die Message eines Jugendromans sein. Dass es okay ist, sich wahllos zu betrinken und sich flachlegen zu lassen, auch wenn man in dem Moment, in dem man es tut, sich dessen bewusst, wie abgrundtief falsch es ist.
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle nun auch sagen, dass es bereits über eine Woche her ist, dass ich das Buch abgebrochen habe. Und ich immer noch vollkommen entsetzt darüber bin. Ich möchte also gerne klar stellen, dass ich das alles nicht aus dem Moment heraus schreibe, sondern es erst habe sacken, die allererste Wut habe abtauen lassen. Aber bei all den guten Bewertungen bleibt mir vollkommen unverständlich, wie so viele Leser dieses Buch - und den Inhalt dahinter - als gut befinden konnten.
Mich würde nun interessieren, wie ihr die angesprochenen Stellen findet und wie ihr dazu steht? Oder, falls ihr es schon gelesen habt, weshalb ihr das Buch als gut und empfehlenswert empfunden habt?