Ein paar Gedanken zu “Tidal”

Ein paar Gedanken zu “Tidal”

Mit Tidalgibt es einen neuen Stern am Musik-Himmel, welcher die Rettung der Kunst verspricht und noch dazu mit einem beachtlichen Aufgebot an teilhabenden Musikern wirbt. Wenn Jay-Z, Madonna und Rhianna etwas so toll finden, dann muss es ja auch super sein. Oder?

Zunächst stellt sich die Frage, warum es eigentlich noch weitere Alternativen zum bestehenden Markt an Musikstreaming-Angeboten geben muss. Klar: Weil die Blutsauger von Spotify, Pandora, Deezer die Künstler ausbeuten und damit die Musik entwerten. Und weil YouTube zwar eine Milliarde Nutzer hat, aber mobil in vielen Ländern aufgrund mieser Internet-Abdeckung eher weniger zum reinen Musik-Hören verwendet wird. Und weil sowieso alle Streaming-Dienste böse sind. Außer derjenige natürlich, den man selbst gründet.

Ja, es stimmt, dass die meisten Künstler durch eine Bereitstellung ihrer Musik bei Angeboten wie dem von Spotify nur einen erbärmlichen Erlös erzielen, wenn die Songs nicht gerade millionenfach gestreamt werden (wobei Spotify im Vergleich noch recht viel zahlt). Finanziell lohnenswert ist Spotify für Künstler nur dann, wenn sie Weltstars sind. Doch das liegt mehr an den Verträgen zwischen dem schwedischen Start-Up und den Major Labels, die ja immerhin sogar Anteile an Spotify halten. Diese Verträge sind wenig lukrativ, weil Spotify um seine Marktmacht weiß und die Preise nach unten drücken kann. Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass sowieso etwa 80 Prozent der bei Majors unter Vertrag stehenden Künstler kein Geld einbringen, die anderen 20 Prozent, also die "Megastars", müssen das wett machen, egal wie. Da möchte ich heutzutage wirklich nicht in der Haut eines Labelchefs stecken und schlaflose Nächte haben. Logisch, dass man da nach jedem Grashalm greift, um seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. In Sachen Spotify sieht es aber auch nicht besser aus: Bei 15 Millionen zahlenden Kunden, die also mindestens 5 Euro im Monat blechen, und gerade mal rund 1.300 Mitarbeitern kommt schon eine nette Summe an Geld zusammen. Ganz zu schweigen von Werbeeinnahmen für die weiteren knapp 45 Millionen User, die nicht zahlen möchten. Doch macht Spotify deshalb noch lange keinen Gewinn - ganz im Gegenteil sogar. Allein mehr als die Hälfte aller Einnahmen geht an Lizenzgeber. Auch bei Spotify sieht es demnach nicht allzu rosig aus, jedenfalls nicht was schwarze und rote Zahlen angeht. Warum also in diesen Markt eintreten, wenn selbst so ein Riese Probleme hat?

Und es stimmt auch, dass die Zukunft eher dem Streaming als den physischen Datenträgern gehört, und das nicht nur in der Musik. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen man ein ganzes Album kaufen musste, auch wenn der Großteil davon Schrott war. Es gibt natürlich hin und wieder aufkommende Retro-Trends, beispielsweise aktuell die "Rückkehr" der Schallplatte. Doch im Grunde wird wohl spätestens in 3 bis 5 Jahren kaum noch jemand Tonträger oder Filme im Einzelhandel kaufen. Die Umwelt wird es uns danken. Da ist das stetig wachsende Angebot an Plattformen für alle Sparten nur eine logische Konsequenz. Jeder will ja sein Stück vom Dollarkuchen abhaben.

Doch braucht die Welt wirklich noch einen Musikstreaming-Dienst? Neben all den bestehenden Konkurrenten und denen, die noch kommen werden, z.B. von Apple und Google? Noch dazu einen, der nicht einmal eine Freemium-Variante anbietet, also für die meisten potenziellen Nutzer direkt mal ausscheidet? Jay-Z dachte sich wohl entgegen jedes gesunden Menschenverstandes "Ja!" und suchte sich kurzerhand seine Avengers des Musik-Business zusammen, die selbsternannten Retter der Kunst: Kanye West, Beyoncé, Madonna, Daft Punk, Jack White, Rihanna, und so weiter. Als wäre die Aufstellung dieser Truppe aus Millionären mit ihren Robin-Hood-Allüren nicht schon peinlich genug, kopiert Tidal mal eben das User Interface von Spotify ...

I'm sure I won't be the last person to post this today. #tidal pic.twitter.com/9ApDE7FXio

- Ðan Edwards (@de) March 31, 2015

...und erwartet allen Ernstes, dass die Musik-Fans plötzlich 10 Dollar bezahlen, weil er und seine Avengers als Testimonial dafür mit ihren Namen stehen.¹ Wenn Tidals einziges echtes Alleinstellungsmerkmal (USP) die Tatsache ist, dass man dort hochaufgelöste FLAC- und ALAC-Dateien hören kann...naja. Vermutlich ist der Markt der Audiophilen nicht so groß, dass dieses Argument wirklich zieht. Diejenigen Labels und Künstler jedenfalls, welche Spotify und Co. trotz geringer Erlöse nutzen, haben verstanden, dass es hierbei nicht wirklich um viel Geld geht, sondern dass Spotify einfach "nur" ein weiterer, extrem wichtiger Kanal zur Streuung der eigenen Produkte ist, um den Bekanntheitsgrad zu erhöhen, und schließlich die Nutzer zum Kauf der Produkte anzuregen. Wenn sich einzelne Künstler jedoch von Spotify fernhalten und stattdessen lieber ihr eigenes, abgeschottetes "Premium"-Süppchen (ohne diese besagte Streuung) kochen, dann hat das genau den entgegengesetzten Effekt. Sowas können die ja nicht ernsthaft wollen, sollte man meinen. In unserer Alles-für-jeden-immer-kostenlos-Gesellschaft wird eine solche künstliche Verknappungsstrategie nicht funktionieren. Ben Thompson von Stratechery fasst es mal so zusammen:

This ultimately is why Tidal will fail: it's nice that Jay-Z and company would prefer to garner Spotify's (minuscule) share of streaming revenue, but there is zero reason to expect Tidal to win in the market. Not enough people care - or are even capable of appreciating - the hi-fi option,3 and unlike Beats headphones (but like Beats the music service) software isn't a status symbol. Moreover, Tidal doesn't have Spotify's head-start or free tier, it doesn't have Apple's distribution might and bank account, and it doesn't have any meaningful exclusives4 - and to be successful, you need a lot of exclusives; it's too easy and guilt-free to pirate (or simply skip) one or two songs. ²

Nichtsdestotrotz ist in der Musikindustrie ein Umdenken und Anpassen längst überfällig. Seit Jahren beobachtet man schwindende Verkäufe in der Branche - nun ist es 2015 und immer noch gibt es keine wirkliche Lösung. Das Streaming ist zumindest ein aussichtsreicher Kandidat, wenn auch kein Allheilmittel, da zu viele Leute nicht bereit sind, dafür zu bezahlen. Eine bessere Idee habe ich zugegebenermaßen aber auch nicht. Vielleicht eine nationale oder globale "Medien-Steuer", die jedem als Flatrate den unbegrenzten Konsum aller Filme und Musik ermöglicht? Das wäre natürlich ein erheblicher organisatorischer Aufwand. Aber hat ja auch niemand behauptet, dass es einfach wird. Ich bleibe erst einmal bei meinem Spotify-Abo und gelegentlichen iTunes- und Vinyl-Einkäufen. Und bei Konzerten, der ehrlichsten und direktesten Unterstützung der Lieblings-Bands. Das beruhigt zumindest mein Gewissen.

Was mich interessiert: Seid Ihr bereit, für Musik- oder Film-/Serien-Streaming zu bezahlen? Und warum?

¹ So formulierte es der Musik-Analyst Bob Lefsetz in seinem → Blog-Post über Tidal.
² Wirklich lesenswerter Artikel: Ben Thompson → "Tidal and the future of music"

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