Ein offener Brief eines Sozis an Herrn F. Stöhlker

Sehr geehrter Herr Fidel Stöhlker
Ich schreibe Ihnen, als direkt Angesprochener Ihres Blogbeitrags. In Ihrem Blog schreiben Sie folgendes:
Und schon wieder die Kosovaren. Sie pöbeln, prügeln, schlitzen, stechen und töten Menschen. So auch in Interlaken am vergangenen Montag, wo zwei Kosovaren dem Schwinger und SVP-Politiker Kari Z. die Kehle aufgeschlitzt haben. Die perfekte Tat für einen feurigen SVP-Wahlkampf. Es gibt darüber eigentlich nicht viel zu sagen ausser, dass wir über viele Jahre inzwischen gelernt haben, dass die Kosovaren ein niederes Volks sind und der Schweiz überhaupt gar nichts bringen, als Unruhe und Kosten für den Staat. Der grösste Fehler der Schweiz war, dass wir diese Individuen in unser Land gelassen haben. Und diese Probleme mit den Kosovaren kenne ich seit meiner Kindheit.
Ich frage mich, was eigentlich die Sozis zu diesen Taten sagen. Die Sozis unterstützen dieses Pack und kosten uns dadurch sehr viel Geld. Entweder werden sie inhaftiert, was natürlich wir Bürger bezahlen oder man lässt sie frei, wo sie dann gleich weiter machen. Die SVP wird immer mehr eine gut wählbare Partei und wenn hier jemand den Vorschlag bringen würde jeden Kosovaren sofort auszuschaffen, stimme ich sofort zu. Wir brauchen dieses eigenartige Volk nicht. Mir fällt kein einziger Grund ein, warum diese Leute in unseren Land leben sollen.

Da ich nicht davon ausgehe, dass dieser Blog eine späte Abrechnung mit Ihrem Vater dafür ist, dass er Sie und Ihren Bruder Raoul nach den Castro Brüdern Kubas benannt hat, beantworte ich Ihnen Ihre Fragen gerne und erlaube mir, ein paar Worte zu erwidern.
Zur Frage, was ich als Sozi zu diesen Taten sage, so kann ich Ihnen versichern, dass ich diese Taten ebenso abscheulich finde wie Sie und ebenfalls der Meinung bin, dass Ausländerinnen und Ausländer, die schwer kriminell sind und somit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, ins Gefängnis gehören und ihr Gastrecht verwirkt haben, so wie dies das heutige Gesetz schon vorsieht und wie es nach den Vorschlägen der Arbeitsgruppe des Bundes zur Umsetzung der Ausschaffungsinititive ebenfalls vorgesehen hätte.
Dass Sie die Kosovaren (als ob es "den Kosovaren" geben würde) als nieder bezeichnen und der Meinung sind, man sollte jeden Kosovaren ausschaffen, ist einem gebildeten PR-Berater wie Ihnen, eigentlich unwürdig.
Desweiteren fragen Sie sich, was "diese Individuen" uns bringen sollen und dass "unser Land dieses eigenartige Volk nicht braucht". Mal ganz abgesehen davon, dass uns diese pauschlisierende Abwertung eines Volkes an düstere Zeiten erinnern (falls Sie nicht wissen, wovon ich spreche, können Sie ja Ihren Vater fragen, der 1941 in Deutschland geboren ist), beantworte ich Ihnen auch diese Frage sehr gerne.
Dazu muss man aber ein paar Jahre zurück blicken. Da Sie offenbar mit Geschichte nicht viel anfangen können, helfe ich Ihnen gern auf die Sprünge. Die Kosovaren wurden in den 60er und 70er Jahren vor allem vom Schweizerischen Bauernverband in die Schweiz geholt. Aber auch in anderen Branchen, wie beispielsweise der Bau- oder Industriebranche, war man sehr froh um die Gastarbeiter. So kam es, dass die Schweiz bald Tausende von Gastarbeiter aus dem damaligen Jugoslawien in die Schweiz holte. Man hatte aber kein Interesse daran, sie zu integrieren, da sie ja ohnehin nur billige Arbeitskräfte waren und nach getaner Arbeit wieder verschwinden sollten (auch die Gastarbeiter wollten bald wieder in ihre Heimatländer zurück). Dann aber kamen die schweren politischen Unruhen im ehemaligen Jugoslawien auf, die, wie Sie hoffentlich wissen, in einem Krieg gipfelten. Aus diesem Grund holten viele Gastarbeiter ihre Familien in die Schweiz, um sie vor dem Krieg zu schützen. Deswegen haben wir heute so viele Kosovaren in unserem Land, lieber Herr Stöhlker. Gebracht haben Sie uns wirtschaftlichen Aufschwung und dringend benötigte Arbeitskraft. Gekommen sind ihre Familien aufgrund grausamer kriegerischer Ereignisse. Geblieben sind Sie, aufgrund der durch die Kriege zerstörte Wirtschaft ihrer Heimat. Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie ruhig einen Stammwähler der SVP, einen Bauern. Ansonsten empfehle ich Ihnen, einmal eine Baustelle aufzusuchen und zu sehen, wer dort harte körperliche Arbeit verrichtet, wissen Sie, jene Arbeit, aus der Häuser entstehen, in welchen Sie dann aus dem klimatisierten Büro Ihres Vaters bloggen können, oder Strassen saniert werden, damit Sie mit teuren Autos auf sicheren Strassen ohne Schlaglöchern fahren können.
Überhaupt ist es sehr anmassend, sich zu fragen, was eine Bevölkerungsgruppe "uns bringt". Auch diese Unterscheidung, von wertvollen und wertlosen Rassen erinnern uns an dunkle Kapitel, die wir lieber nie wieder aufschlagen wollen.
Gerne erinnere ich Sie auch daran, dass heute ca. 200'000 Menschen mit albanischer Abstammung in der Schweiz leben. Wenn alle davon arbeitslos, kriminell und gefährlich werden, hätten wir wohl schon längst Bürgerkriege in unserem Land, meinen Sie nicht auch?
Natürlich gibt es negative Vorfälle, die gross in den Medien erscheinen. M. eine Kosovarin, die mit mir in die Schule gegangen ist und mit der ich sehr viel Spass hatte (nein, wir verprügelten keine Leute), kommt nicht in den Schlagzeilen. Genauso wie A. eine weitere Freundin von mir, die eine gute Stelle bei der Bank hat und nebenbei noch studiert. Das ist die Mehrheit der Kosovaren in unserem Land, Herr Stöhlker.
Bedauerlich finde ich aber auch, dass Sie den schrecklichen Angriff aus Interlaken als "perfekte Tat für einen feurigen SVP-Wahlkampf" betiteln. Wie soll man das bitte verstehen? Schicken Sie den Tätern jetzt Dankesbriefe? Der Satz entlarvt aber sehr vieles. Dass es gerade die SVP ist, die von solchen Taten profitiert und seit Jahren ein Interesse daran hat, dass der Unmut der Bevölkerung gegenüber Ausländern gross bleibt. Deswegen sträubt sie sich gegen alles, was die Situation entschärfen könnte, wie folgende Punkte zeigen:
1. Bringt der Bund Vorschläge, um die Ausschaffungsinititave umzusetzen, stellt sich die SVP quer, weil es ihr zu wenig weit geht, wenn man die Initiative völkerrechtskonform umsetzen möchte. Die SVP weiss, dass wir als Staat uns an das Völkerrecht halten MÜSSEN und deswegen niemals den SVP Wunsch nach automatischen Ausschaffungen für kleinste Vergehen nachkommen können. Statt aber Hand zu bieten, stellt sich die SVP quer, um das Süppchen immer kochen zu können.
2. Sämtliche Integrationsbemühungen des Bundes und der Kantone werden bekämpft. Im Kanton Zürich hat die SVP dafür gesorgt, dass ein Gesetz, das Integrationsvereinbarungen vorgesehen hätte (also Verträge, in denen sich Ausländer gegenüber den Behörden verpflichtet hätten, sich zu integrieren) nicht in Kraft treten konnte.
3. Finanzpolitisch fordert die SVP immer tiefere Steuern vor allem für Wohlhabende und will, dass der Staat möglichst wenig Geld zur Verfügung hat. Der Staat hat nur für eine starke Armee zu sorgen und den Bauern viel Geld zu zahlen, ansonsten hat er keine Aufgaben zu erfüllen, ist die SVP Mentalität. In Schulen braucht es keine Sozialarbeiter (die vielleicht dafür gesorgt hätten, dass Sie in der Schule nicht verprügelt worden wären), überlastete Lehrer (die ebenfalls hätten dafür sorgen können, dass Sie in der Schule nicht verprügelt worden wären) interessieren die SVP nicht und genügend Mittel um genug Personal bei den Strafverfolgungsbehörden zu haben, die dafür sorgen, dass kriminelle Jugendliche rasch verurteilt werden (und somit niemanden in der Schule verprügeln können), sind in der SVP Buchhaltung auch nicht vorhanden.
4. Im Bildungskonzept der SVP sind nur die guten Kinder vorgesehen und die schwachen Kinder müssen halt selber schauen, was mit ihnen passiert. Dass diese Kinder oftmals aufgrund von Sprachschwierigkeiten schulisch schwach sind, interessiert die SVP nicht. Und dass Jugendliche, die durch die Masche fallen und keine Lehrstelle finden, eher Gefahr laufen, kriminell zu werden, interessiert die SVP ebenso wenig.
5. Ja sogar wenn es darum geht, dass die Schweiz den Kosovo als eigenständiges Land anerkennt und somit beim wirtschaftlichen Aufbau dieses Staates zu helfen, was letztendlich dazu führen könnte, dass sich auch ein paar Kosovaren entschliessen könnten, in ihre Heimat zurück zu kehren, schiesst die SVP scharf gegen unsere Aussenministerin und möchte, dass die Schweiz Kosovo unter keinen Umständen anerkennt.
Fazit: Die SVP tut also absolut alles, um das Verhältnis zwischen der ausländischen und der schweizerischen Wohnbevölkerung zu verschlechtern und sie tut absolut gar nichts, um Kriminalität zu verhindern, sondern instrumentalisiert sie für ihre Zwecke.
Darum, Herr Stöhlker, wenn Sie also wirklich etwas gegen Gewalt in unserem Land tun möchten, sind Sie bei der SVP an der falschen Adresse. Und dass Sie erst recht auf dem Holzweg sind, wenn Sie ganze Rassen abwerten, haben wir nun hoffentlich gelernt.
Im Übrigen hoffe ich natürlich, Ihre Fragen befriedigend beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ihr Sozi

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