Wenn sich das sterbende Bildungsbürgertum mal um etwas anderes als Falschparker aufregen möchte, sieht das so aus. Man kann auch Dinge kaputtreden, Herr Staiger.
Geil finden, scheiße finden - hey, das ist normal und menschlich. Ich musste mir z. B. heute 20 Minuten ultimative Chartshow mit einem meiner WG-Mitbewohner antun, als ich nebenan Kekse gebacken habe und fand diesen Akustikkonservenmüll auch zum Kotzen. Und so, wie ich musikalisch irgendwo zwischen Berliner Chanson, Hippiemukke, Ärzten, BOY, Florence and the machine Aligatooah ("Willst du mit mir Drogen nehmen" war in meiner zweiten Inszenierung Programm - keine Sorge, es war nur Puderzucker) stehen geblieben ist, gibt es eben den Zeitgeist und diese Tendenzen.
Jan Böhmermann ist gefühlt der Erste in Deutschlands Medienlandschaft gewesen, der das Potential und eben auch die Risiken von YouTubern sah und eben auch der Mehrheit der Bevölkerung seit Varoufake irgendwie ein Begriff. Mein Vater feiert ihn bis heute dafür, meine Exfreunde ebenso seit der ersren Sendung NeoMagazin. Und ich möchte auch meinen Hut ziehen vor diesen zynischen Satiriker unserer Generation und seiner Redaktion, der sowohl in seiner Sendung als auch bei Sanft und Sorgfältig eben Themen anspricht und dies auf eine reflektierte Art und Weise, wie ich sie allerorts in unserer Gesellschaft vermisse.
Aber irgendwie kann man ja alles schlecht reden - nicht wahr, Herr Staiger? Liest man jedenfalls den ersten Absatz Ihres offenen Briefes, denkt man zunächst eher an Plattitüden auf Mario-Barth-Niveau. Kennste? Kennste? Aber worüber wir reden ist ein Musikvideo in einer derart tollen Optik, bei der wohl selbst einige der deutschen Raplandschaft feuchte Höschen kriegen.
Natürlich: Ich stehe nicht auf Rap, erst recht nicht auf deutschen Gangsterrap oder was davon heute übrig geblieben ist. Aber wie heißt es? Satire darf alles.
Darf ich also ehrlich sein? Meine Welt war der Song auch nicht. Und es gab Inhalte des Neo Magazin Royales, die ich mehr gefeiert habe. Aber denkst du ehrlich, dass diese Redaktion und deren Anchorman es sich ernsthaft zur Aufgabe gemacht haben, den deutschen Gangsterrap zu Grabe zu tragen? So, als wäre die Problematik der Missverständnisse zwischen Autoren und Medienkonsument erst ein Problem seit 2015 ein Problem? Es gibt eben Menschen, die wollen Dinge nicht oder missverstehen. Und daran soll nun der Künstler die Schuld tragen?
Und spricht es eben nicht für Ihr eigenes schwarz-weißes Weltbild, wenn sie in "Ich hab Polizei" folgende Intention sehen:
"Ihr verarscht Leute, weil sie weniger Bildung haben, weil sie weniger Geld besitzen und weil sie gesellschaftlich unter euch stehen."
Denn in im Gegensatz zu Ihrem Artikel ist der Song eben eine Persiflage im Stile einer Subkultur.
Am besten also zum Ende des Briefes noch einmal den moralischen Zeigefinger heben. Das klingt doch eigentlich vielmehr nach der Überheblichkeit, von der Sie sich doch gerade eben noch beschwert haben. Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, Herr Staiger: Was denken Sie, wer liest freiwillig denn Ihren offenen Brief ganz bis zum Ende?
Sich den Frust von der Seele schreiben ist ja eine schöne und befreiende Sache, aber hey, warum nicht einfach mal dafür ein analoges Medium nutzen?
Mit freundlichen Grüßen,
meine Wenigkeit,
eine 26jährige Kulturtussi mit Social-Media-Leben