Ein musikalischer Marathon

Ein musikalischer Marathon

Die Mitglieder des Toradze Piano Studios (c) n.c.

Igor Stravinsky und Sergej Prokofjew – in geballter Form

Am Wochenende vom 20. auf den 21. November fand in Straßburg ein wahrer Musikmarathon statt. Das OPS hatte das Toradze Piano Studio eingeladen, das gleich mit 7 Pianisten aus Amerika angereist kam. Unter ihnen wurden 17 Klavierkonzerte, ein Kammerkonzert für Klavier und Geige, sowie eines für Cello und Klavier zur Aufführung gebracht. Was schon für das Publikum als wahrer Marathon zu bezeichnen ist , war es noch viel mehr für einige der Solisten. Sie reisten zwischen Freitag und Sonntag zwischendurch auch noch nach Basel, um auch dort bei den Rachmaninoff-Tagen aufzutreten. Und das noch dazu mit erheblichen Schwierigkeiten, angefangen von erzwungenem, behördlichem Fahrertausch bis hin zu einer irrtümlichen Ausfahrt leider Richtung Deutschland anstelle von Basel. Was zur Folge hatte, dass der gebürtige georgische Pianist Vakhtang Kodanashvili aufgrund der schon vorhandenen Verspätung sich im Auto umziehen musste und mit fliegenden Fahnen auf die Bühne des Veranstalters kam.

Davon allerdings bekam das Straßburger Publikum nichts mit. Vielmehr erlebte es eine geballte Ladung – insgesamt rund 10 Stunden – russische Musik des 20. Jahrhunderts von Stravinsky und Prokofjew. Wer alle Konzerte besuchte, konnte erleben, dass man dabei gänzlich in die Musikuniversen dieser beiden Großmeister eintauchen konnte. Aber nicht nur das. Das Toradze Piano Studio ist eine Ausbildungsstätte in South Bend, in Indiana. Aufgebaut vom international bekannten Pianisten Alexander Toradze bietet es mehreren Pianisten gleichzeitig die Möglichkeit, sich vornehmlich der Musik der russischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts zu widmen. Toradze, der im Laufe seiner Tätigkeit in Amerika ca. 160 Schüler betreute, versammelt mittlerweile so etwas wie einen „harten Kern“ seiner Absolventen um sich, die fast alle längst auch selbst unterrichten. Durch die Auswahl der Stücke, aber auch des Konzertablaufes, erhielt man einen wunderbaren Überblick über verschiedenen musikalischen Temperamente und Interpretationen und wohnte dadurch einer Art von ganz besonderem Wettkampf bei – jedoch einem Wettkampf ohne Sieger und Verlierer. Genau als solches versteht Toradze auch diese Auftritte, der sich im Übrigen strikt gegen die allseits grassierende Wettbewerbsflut äußert. „Die Konzerte unserer Gruppe sind auch so etwas wie ein Wettkampf. Allerdings geht es nicht darum, eine Jury zu überzeugen, sondern das Publikum. Und vor allem, die Künstler dem Publikum bekannt zu machen.“ , erläuterte Toradze in einem Interview etwas näher sein Konzept.

Nikita Abrosimov, Ketevan Badridze, Sean Botkin, Vakhtang Kodanashvili, Edisher Savitski, George Vatchnadze, Gennadi Zagor und der Maestro selbst, Alexander Toradze, zeigten, welche Kraft, welche Avantgarde aber auch welch berührenden Momente in der Musik von Stravinsky und Prokofjew steckt. Ergänzt durch Philippe Lindecker an der Violine sowie Alexander Somov am Cello, die beide im OPS als Stimmführer agieren, ergab sich so eine einzigartige Ballung von Solisten mit einem höchst anspruchsvollen Programm.
Zu hören waren unter anderen Sonaten für zwei Klaviere, die Suite für zwei Klaviere des „Feuervogels“, drei Sätze aus der Petruschka-Suite, „Le Sacre du Printemps“ für zwei Klaviere von Stravinsky. Sowie „Das enfant terrible“, Sonaten, die Cinderella-Suite für zwei Klaviere sowie die Kadenz zum Konzert Nr. 2 von Prokofjew, die Toradze selbst interpretierte.

Randvoll war das musikalische Füllhorn und interessant zu sehen, dass Toradze selbst nicht nur der abgeklärteste Interpret ist, was ja aufgrund seines Altersvorsprunges mehr als natürlich erscheint, sondern auch jener Solist, der es sich erlaubt, längstmöglich die Schönheiten der Musik auszukosten. Die Innigkeit, die er gleichberechtigt neben seine Virtuosität stellen kann, beeindruckt enorm. Dies konnte man schon am Donnerstag und am Freitag davor sehen und hören, als er mit dem OPS unter Dima Slobodeniouk das 1. Klavierkonzert von Prokofjew, sowie das Konzert für Klavier und Bläser interpretierte. Wie der umspülte Fels in der Brandung war sein Auftritt inmitten all der anderen eingebettet, wohl auch eine bewusste und kluge Entscheidung von Joseph Horowitz, der die künstlerische Beratung des Marathons über hatte.

Was alle Solisten einte, war eine unglaubliche Präzision und Anschlagstärke in den Läufen, sowie allgemein eine enorme, technische Ausgereiftheit. Gennadi Zagor zeigte sich als Pianist, der in seiner unspektakulären Art zu spielen, das Publikum beeindruckte. Seine Improvisation über bekannte Jazzthemen fiel aus dem sonst so eng gesteckten musikalischen Rahmen, war aber ganz dazu geeignet, sich nach Stravinskys anspruchsvollen Kompositionen auf leichteren Wellen davon tragen zu lassen. Ganz im Gegensatz dazu stand der anschließende Auftritt von Vakhtang Kodanashvili. Seine Petrouchka-Interpretation war, wie auch die anderen Stücke die er spielte, atemberaubend. Ja man könnte seine Petrouchka-Sätze, wären sie aufgenommen worden, sogar als absolute Referenz stehen lassen. Energiegeladen und zugleich mit einer unglaublichen Sensibilität ausgestattet spielt dieser Mann nicht Klavier, sondern ist in diesem Werk das Klavier selbst. Keine Phrase, die er nicht erläutert, keine Tempobezeichnung, die nicht adäquat umgesetzt wird, kein großer Bogen, der nicht dementsprechend gespannt wird. Und das alles in atemberaubenden Tempi und einem Flow-Zustand, der jedem offenbart, wie sehr der Pianist in der Musik selbst aufgeht. Eine absolute Ausnahmeerscheinung, die in die großen Konzertsäle dieser Welt gehört. George Vatchnadze, der Kodanashvili ebenso unterrichtete wie Toradze, performte wiederum mit einer ihm eigenen Art, die scheinbar einen gewissen Abstand zum Werk wahrt. Bei ihm erklang Profkofjews 9. Sonate so, als ob er sie zeitweise von einer Metaposition heraus betrachten würde. Sein Spiel kommt ohne jegliche Süßlichkeit aus und definiert sich hauptsächlich durch seine Virtuosität, die bei ihm so wirkt, als wäre sie ihm angeboren. Ein abermaliger Kontrast tat sich mit Ketevan Badridze und Edisher Savitski auf. Die junge Georgierin agierte an der Seite ihres Landsmannes in der Cinderella-Suite überaus sensibel. Das einfühlsame Zusammenspiel zeichnete sich auch durch einen harmonischen Blickkontakt aus, der zeigte, wie gerne die beiden miteinander musizieren. Die herrliche Differenzierung in der Dynamik des Walzers, um nur ein kleines Schönheitsmerkmal herauszuheben, trug dazu bei, die postromantischen Klänge als puren Genuss aufzufassen. Nikita Abrosimov schließlich, der einzige, der sein Examen noch nicht abgeschlossen hat, überzeugte mit der 3. und 8. Sonate von Prokofjew mit derselben brillanten Technik wie alle vor ihm. Auch bei ihm war der Einfluss seines Lehrers Toradze, der immer die Kraft und den Ausdruck vor jegliche unangebrachte Sentimentalität stellt, ebenso bemerkbar. Seine Interpretation der 3. Sonate machte deutlich, wie sehr es Prokofjew gelungen war, den Romantizismus neu zu definieren.

Mit der Sonate für Cello und Piano op. 119 von Prokofiev gab es noch ein besonderes Gustostück zu hören. Die kammermusikalische Darbietung, von Vakhtang Kodanashvili am Klavier und Alexander Somov am Cello dargeboten, geriet zu einem packenden Zwiegespräch, in dem die Musik seufzen und lachen, humpeln und tanzen durfte. Die beiden ergaben ein kammermusikalisches Duett von gleichwertigen Partnern. Ob sie sich gegenseitig die Themen im Stafettenlauf übergaben oder ob Samov, wie im letzten Satz, die Musik so zum Erklingen brachte als ob sie sich wirbelnd um die eigene Achse drehen würde, immer war es nicht nur die hohe Musizierkunst, sondern vor allem die Freude daran, die dieses Werk so zum Leben erweckte. Einzig Kodanashvilis Temperament überdeckte in den Forte-Stellen des letzten Satzes das ohnehin kräftig agierende Cello ein klein wenig zu stark. Ein Vermouthströpfchen, der den überwältigenden Eindruck der übrigen Interpretation jedoch nur ganz leicht streifte.

Ein beeindruckendes Erlebnis, das man weiterempfehlen kann.

Das Toradze Piano Studio hat auch einen Rachmaninoff- sowie einen Bach-Marathon in seinem Repertoire. Eine Überprüfung des Tourneeplanes lohnt sich!


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