Der Klang bleibt und bleibt und bleibt. Hallt nach in den Ohren, geht nicht aus dem Kopf. Und ist so einzigartig, dass alle Vergleiche einen Hinkefuß bekommen. Wer das Konzert des SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg im Wiener Konzerthaus anlässlich von Wien Modern gehört hat wird dieselben Erfahrungen gemacht haben. Denn es kommt im Leben nicht oft vor, dass man eine Komposition hört, die für Orchester und sechs Klaviere geschrieben wurde.
Ein Konzert für sechs! Klaviere und Orchester
Georg Friedrich Haas hat sich nicht gescheut, dieses Kamikazestück zu komponieren. Wohl wissend, dass auch er es in seinem Leben nicht oft hören würde. Zum Glück ist ihm ein Schwerpunkt dieses Festivals gewidmet. „Limited approximations. Konzert für sechs Klaviere im Zwölfteltonabstand und Orchester“ aus dem Jahr 2010 ist eines jener Werke, das jetzt schon in das kollektive Gedächtnis von Liebhaberinnen und Liebhabern der zeitgenössischen Musik eingegangen ist. Auch deswegen bei einem Haas-Schwerpunkt unumgänglich. Aufgrund des großen Umbaues auf der Bühne stand es am Schluss des Abends. Auch, weil danach schnell vieles blass ausgesehen hätte. Denn was Haas hier schuf, ist sowohl für geschulte als auch ungeschulte Ohren ein Fest. Die besondere Stimmung der Klaviere und die Kompositionstechnik, die auf die entstehenden Obertöne eingeht, machen limited approximations zu einer wahren Klangkathedrale. Beim näheren Betrachten seiner architektonischen Strukturen fällt einem das Flirren und Brummen immer wieder auf, das aufgrund der Masse an Resonanzkörpern und der Stimmung im Zwölfteltonabstand entsteht. Sie sind der Raum, in den Haas mannigfaltige Elemente einbaute, die alle an ihrem richtigen Platz stehen. Da enden auf- und absteigende Tonlinien des gesamten Orchesterapparates abrupt im Fortissimo. Da dürfen lang zelebrierte Sequenzen, die mit einer kristallinen Schönheit aufwarten, ganz zart verhallen. Da akzentuieren scharfe Trommelschläge das dichte Klangnetz und hinterlassen dabei auffällige Markierungspunkte. Die Klangkulisse, die dabei entsteht, ist eine Einzigartige. Man sucht Vergleichbares und kann sich nur vorstellen, dass ein ähnliches Ergebnis elektronisch hergestellt werden könnte. Und dennoch ist der Vergleich nicht passend. Zu organisch wirkt das Stück von Haas, zu sehr werden einzelne gewaltige Klangwellen körperlich spürbar. Die metallenen Rahmen und die hölzernen Korpi der Klaviere bilden ein so einzigartiges Klangerlebnis, dass es schwer vorstellbar ist, ein solches ohne Qualitätsverlust rein digital zu erzeugen. Wohl wissend, dass er mit dieser Instrumentierung eine besondere musikalische Erfahrung bietet, hat der Komponist jene Stellen, in welchen die Charakteristik dieses Klangapparates zur Geltung kommt, bis ins Letzte ausgereizt. Und dennoch ist das Werk um keine einzige Minute zu lang. Vielmehr besteht absolute Suchtgefahr.
Die unberechenbaren Ausbrüche eines Monsters
Der klugen Zusammenstellung des Konzertes verdankte das Publikum auch einige Aha-Erlebnisse. Stand doch zu Beginn Bernhard Ganders …“HUKL“ auf dem Programm. Ein Stück, zu dem ihn der Comicheld „Hulk“ inspirierte, der vielen sowohl aus dem Kino als auch als „Fernsehserienheld“ besser bekannt sein dürfte. Die nervöse Grundstimmung, oft vom Streicherapparat intoniert, wird immer wieder von verschiedenen gewaltigen Ausbrüchen des gesamten Orchesters unterbrochen. Unisono-Partien einzelner Instrumentengruppen aber auch Tutti-Stellen mit zum Teil peitschenden Rhythmen enden von einer Sekunde auf die andere in harten Trommelschlägen – mit einem ähnlichen Effekt, der auch bei Haas hörbar wurde. Ganders …“HUKL“ entstand zwei Jahre später und ist, wie er selbst beschreibt: „Eine Bearbeitung von “khul cuts” (für Tänzer und Streichquartett) ist eine Bearbeitung von “khul” (für Streichquartett) ist eine Bearbeitung der Comicfigur “hulk”.“ Vier Schlagwerker und der intensive Einsatz von Kontrabass und Kontrabassklarinette sorgen dafür, dass die tiefen Klangpartien auch wirklich breit und intensiv ins Ohr gehen. Das klar strukturierte Werk beschreibt anschaulich jene eruptiven Gefühlszustände, die das menschenähnliche Monster in regelmäßigen Abständen heimsuchen. Wem beim Zuhören Zeitgenossen einfielen, die mit cholerischen Ausbrüchen ihre Umgebung nerven, sei geraten, sich bei ähnlichen Anlässen einfach an Ganders Konzert zu erinnern. Es könnte sich dabei ein verblüffender psychologischer Effekt einstellen, der so manchen Wutausbruch erträglich macht.
Ein Schmuckstück einer Ikone
Eingebettet in diese zwei Werke, deren Uraufführung auch vom SWR-Sinfonieorchester in Donaueschingen stattfand, wie der Dirigent François-Xavier Roth erläuterte, kam György Ligetis Konzert für Violine und Orchester zur Aufführung. Renaud Capuçon, Garant für intensive und glasklare Interpretationen, verlieh diesem funkelnden Werk eine Brillanz und Virtuosität, die atemberaubend war. Egal, ob es sich um die furiosen fingerbrecherischen Stellen handelte, die dem Solisten nur wenige Ruhemomente einräumen, oder jene Elegischen, in denen volkstümliche Erzählungen hörbar werden, Capuçon fand immer den richtigen Ausdruck. Die fünf Sätze, die vor Ideenreichtum nur so strotzen, ergaben in der Interpretation von Roth und der Umsetzung von Capuçon ein logisches Ganzes, das eine perfekte Balance zwischen Lyrik, Dramatik und ätherisch schönen Stellen aufweist.
Und noch ein Nachspiel
Als „Zuckerl“ für all jene, die nach diesem Ausnahmekonzert noch nicht genug hatten, präsentierte Marino Formenti mit ganzem Körpereinsatz auf den am Podium stehenden sechs Klavieren Giacinto Scelsis „action music“ aus dem Jahr 1955. Dabei beeindruckten die Cluster, die Formenti durch kräftige Prankenschläge hörbar machte und die rhythmische Impulsivität, mit der er das Stück – von einem Klavier zum anderen wechselnd – vortrug. Auch in Zukunft wird Formenti nach verschiedenen Konzerten mit „Marinos Nachspiel“ dem Publikum die Möglichkeit geben, ganz nah am musikalischen Geschehen zu sein, sich selbst einzubringen und vor allem in persönlichem Austausch mit dem Musiker zu kommen. Eine wunderbare Idee.