Man hat sich geirrt, der im Startblock lauernde Präsidentschaftskandidat Gauck, der als Aufklärer schmackhaft gemacht wurde, war zuletzt nicht der tatsächliche aufklärerische Typus jener beiden Kandidatenzwillinge. Aufklärer ist der andere, Wulff mit Namen, mittlerweile hinter (Lust-)Schloss verriegelt. Wulff, ein passionierter Aufklärer, ein aus Drang der Aufklärung verschriebener Charakter.
So wie er zum aktuellen Anlass in Duisburg einforderte, es müsse nun eine "rückhaltlose Aufklärung" geschehen, so hat er eine ebensolche, wortwörtlich ebensolche sogar, bereits vor einem Monat in Sachen Katholische Kirche gefordert. Eine liebe Gewohnheit, die er schon vor mehr als einer Dekade pflegte, als er zur Parteispendenaffäre der CDU die Ansicht vertrat, dass nur eine "rückhaltlose Aufklärung" seine Partei retten könne - wer nun meint, Wulff ist ein terminologischer Langweiler, der irrt sich, denn er variiert in seiner Wortwahl durchaus: so wie vor sechs Jahren, als er eine "umfassende Aufklärung" über VW-Gehälter für Abgeordnete gesichert wissen wollte. Oder ein Jahr später, als er eine "lückenlose Aufklärung" zur VW-Affäre für unausweichlich hielt. Wieder ein Jahr danach hatte sich sein Wortschatz erneut aufgefrischt: er sprach von "restloser Aufklärung", die man dem Engagement Gerhard Schröders bei Gasprom angedeihen lassen sollte. Wahrlich, ein Aufklärer ohne Unterlass, ein Mann, der stets um Aufhellung und Ermittlung bemüht ist, unaufhörlich die Aufklärung im Munde führt.
Aber er ist keiner, der aufklärt - eher einer, der Aufklärung aus dem Kehlkopf heraussurrt. Einer, der viel von Aufklärung schwafelt, weil dies in der Sprache unserer Zeit, der öffentlichen Sprache, der Sprache politischer Korrektheit, so vorgesehen und erwünscht ist. Von Aufklärung zu sprechen ist nicht nur chic, es läßt einen blassen Politiker aufblühen, zum Verantwortungsträger mit Format erwachen - ohne solche Reden läßt sich in einer Epoche der Oberflächlichkeit und des Scheins, keine politische Karriere mehr machen. Wer viel von Aufklärung spricht, wer in sein unnötiges Geschwätz, sein entbehrliches Wischiwaschi einen Abglanz von aufklärerischen Bestreben flicht, der kann mit etwas Glück und guten Beziehungen sogar Bundespräsident werden.
Wulff ist dabei aber nur das ranghöchste Abziehbild einer politischen Kultur, die weniger auf Stichhaltigkeit und Wahrhaftigkeit setzt als eigentlich notwendig wäre. Er ist Politiker von blasser, blutleerer Gemütsart - windig und aalglatt, schlängelnd und so sehr ohne eigene politische Konzeption, ohne Vision ausgestattet, dass er als Mann ohne Eigenschaften gelten muß, als unsichtbarer Mann geradezu. Perfekt geschult ist er, wie alle seiner Couleur, in der Sprache der heutigen Politik; einem Idiom der politischen Korrektheit, in der zentrale Begriffe wie Nachhaltigkeit, Freiheit oder eben jene Aufklärung den gesamten Satzbau bestimmen, ohne die kein verständlicher Text mehr fabriziert werden könnte - das heißt, mit denen der Text erst so unverständlich und vielfältig interpretierbar wird, dass alles oder nichts daraus herausgehört werden kann. Es ist eine verstümmelte, wenig aussagekräftige Sprache, die vor Wiederholung immergleicher Floskeln nicht zurückschreckt, ganz im Gegenteil, sie noch befürwortet, um den Zuhörer nicht zu sehr zu überlasten, ihn nicht zu verunsichern. Verbale politische Korrektheit soll Nachhaltigkeit schaffen, um es mal in deren eigenen Sprache zu sagen - sie soll den Zuhörer in Sicherheit wiegen, ihn einlullen, besänftigen, ahnen lassen, was gemeint sein könnte. Und sie besitzt wichtige Textbausteine, die immer anwendbar sind, die nie verkehrt, nie fehl am Platz wirken - Textbausteine wie jenen von der Aufklärung. So einen Baustein kann man immer bringen, er wird immer honorierend zur Kenntnis genommen.
Es ist die Sprache von Apparatschiks, von Technokraten ohne Konturen; eine Sprache, die im wirkliche Leben kaum Beachtung findet. Eine Sprache der Gelehrten, nicht des Volkes - oder sagen wir trefflicher: sie wird von Geleerten heruntergerattert. Leere, ja fast körperlose Wesen, die ihre eigene Hohlheit mit Gummi- und Plastikphrasen füllen, die Worthülsen schnitzen, um wenigstens ein bisschen nach Verantwortungsträger, nach respektablen Politiker zu riechen. Wulff ist da nur das Paradebeispiel: er ist so farblos, so fahl, dass sein plötzliches Verschwinden kaum auffallen würde. Nichts hat er, worüber man sprechen könnte - keine Vorzüge, aber auch keine Nachteile. Letzteres genügt mittlerweile, um als Politiker von Größe anerkannt, genügt, um als angenehmer Zeitgenosse aus der Politik verstanden und geliebt zu werden. Er ist ein Irgendwer, der in die Politik gestolpert ist, weil er gelernt hat, immer dann genau das zu sagen, was man im politisch korrekten Klima unserer Tage auch hören will - der gelernt hat, immer dann genau das zu sagen, was keinen berührt, verärgert, aus der Fassung bringt. Zu reden und nichts zu sagen: das ist die Kunst der vielen Konturlosen, der Eigenschaftslosen, der Nichtssagenden, der Wulffs.
Und Wulff ist somit ein zeitgemäßer Aufklärer. Nicht weil er aufklärt, sondern weil er die vermutliche Aufklärung fordert - immer und immer wieder: der Textbaustein ist variabel. Er klärt uns darüber auf, dass Aufklärung rückhaltlos, lückenlos, restlos zu erfolgen habe: eine aktuelle, zeitgemäße Ausprägung von Aufklärung! Eine ohne nachhaltige Denkarbeit, eine, die man keck in die Öffentlichkeit hinausposaunt. Rousseau, Montesquieu oder Kant haben nicht laut nach Aufklärung gerufen - sie haben es selbst getan, selbst aufgeklärt. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft läßt man schließlich aufklären, zieht Aufklärungsexperten heran - oder man ruft wenigstens zu jeden gegebenen Anlass unverbindlich nach solchen. Der moderne Aufklärer klärt darüber auf, dass Aufklärung nötig sei - und er tut es nicht für die Wahrheit, er tut es für sein blutleeres Antlitz, damit er was gilt, was darstellt, wer ist.