Ein Mann zuviel für Isabel

Von Hillebel
Schon in der Schule war der flotte Harro heftig umschwärmt, und Max spielte stets die zweite Geige. Wird das so bleiben?
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Max Kempen umfasste Isabels zierliche Gestalt mit einem zärtlichen, beschützenden Blick. “Ich möchte mich von dir verabschieden. Morgen früh geht’s los.”
Isabel lächelte ihm zu: “Du, das finde ich riesig nett, dass du noch vorbeigekommen bist. Wie lange wird die Bodenuntersuchung denn dauern?”
“Wir rechnen mit zehn Tagen.” Der junge Geologe folgte Isabel, die ihm vorausging, ins Wohnzimmer. Es bereitete ihm immer unsagbare Freude, aber auch eine geheime Qual, der jungen Frau nahe zu sein. Er liebte sie seit der Abiturklasse, aber schon damals war er nur der zweite in ihrem Herzen gewesen, der Kumpel, der gute Freund. Den ersten Platz hatte Harro Friedrichsdorf eingenommen. Max war oft versucht gewesen, ihr zu sagen: “Lass die Finger von Harro! Er wird dich nicht glücklich machen.” Aber würde sie auf ihr hören? Ausserdem konnte sie vielleicht denken, er wolle Harro in ihren Augen nur schlecht machen, um sie für sich zu gewinnen.
Das Ganze war um so schwieriger, als Harro seit zwei Jahren ein unsichtbarer Gegner war, geradezu verklärt in Isabels Erinnerung. Er war als Bauingenieur im Ausland tätig und schickte nur ab und zu eine Mail mit nichtssagenden Grüssen, aber das genügte, um sich in Isabels Gedächtnis zurückzubringen.
Isabels Wohnzimmer war hell gestrichen. Um ihren Schreibtisch herum waren Kinderzeichnungen an die Wand geheftet, ungeschickt, aber mit Liebe von ihren kleinen Schülern für sie gemalt. Isabel unterrichtete in einer Grundschule.
Max betrachtete eins der Bilder, das er noch nicht kannte. In der Mitte prangte ein Haus mit rauchendem Schornstein, davor stand eine Frau, die Isabels langes braunes Haar hatte, mit einem Mann und einem Kind. Alle drei sahen fröhlich aus und waren von bunten Blumen umgeben. Links pickten zwei etwas missglückte Hühner Körner vom Boden auf.
“Das hat Rolfi mir geschenkt”, erklärte Isabel, die seinem Blick gefolgt war. “Er findet, dass ich einen Mann und ein Kind haben sollte.”
Da dachte Max plötzlich: Vielleicht ist es nur Feigheit, wenn ich ihr nichts sage. Wie soll Isabel wissen, dass ich sie liebe, wenn ich nie etwas sage? Er atmete tief ein, nahm seinen ganzen Mut zusammen und brachte heraus: “Ich würde gar zu gern dieser Mann sein, Isabel. Ich … ich liebe dich schon seit langem!”
Es war gesagt, aber er fühlte sich nicht wohler. Er hatte Angst vor Isabels Antwort, Angst, sie in Verlegenheit zu bringen.
Sie hatte den Kopf gesenkt. Schalt sich ob ihrer Ungeschicklichkeit. Warum hatte sie ihm das Bild erklärt? Sie hatte sein Geständnis ja förmlich herausgefordert. Sie ahnte längst, dass er sie liebte. Armer, lieber, lieber Max. Sie kannte ihn so gut, brauchte ihn nicht anzusehen, um zu wissen, dass er breite, zuverlässige Schultern hatte, ein rundes, gutmütiges Gesicht, braune Augen und lockiges, jungenhaft zerzaustes Haar. Ihr Verstand sagte ihr auch, dass Max eine Frau sehr glücklich machen konnte, und sie horchte in sich hinein, um ein Echo auf seine Liebeserklärung zu finden. Aber sie empfand nur Freundschaft für ihn. Alles andere, die leidenschaftlichen Gefühle, die Freude und auch die Pein, gehörten zu Harro. Alle Mädchen hatten für Harro geschwärmt, aber er hatte sie zur Freundin gewählt, und sie hatte sich ausgezeichnet gefühlt. Ein Gedanke kam ihr allerdings: Manchmal hatte sie die Augen fest verschliessen müssen, weil Harro es mit der Treue nicht so genau nahm. Doch sie schob ihn rasch beiseite. Die Sehnsucht nach ihm war so stark …
Jetzt sah sie Max wieder an. Sie wollte ihn nicht verletzen, wollte diesen treuen Freund nicht verlieren. Was sollte sie ihm nur antworten?
Aber da sagte er schon hastig: “Sprich nicht, Isabel! Ich rede ja Unsinn. Vergiss es. Ich muss auch wieder rüber, um meine Sachen zu packen.”
Sie begleitete ihn bis zur Tür, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen zarten Kuss auf die Wange: “Du bist mein bester Freund. Viel Glück bei der Prospektion, ich hoffe, ihr findet etwas!” Ihre Augen baten um Entschuldigung.
Er drückte sie einen Augenblick wortlos an sich und liess sie dann sanft wieder los.
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Max war seit einer Woche fort, und Isabel fühlte sich einsam. Morgens unterrichtete sie, nachmittags bereitete sie den Unterricht für den nächsten Tag vor, korrigierte Hefte. Aber wenn sie nichts mehr zu tun hatte, fehlte ihr Max. Seit er vor einem Jahr ebenfalls in dieses Apartementhaus gezogen war, hatten sie sich fast jeden Tag gesehen, wenn er nicht für die Firma, die ihn eingestellt hatte, auf Reisen war, um nach neuen Rohstoffvorkommen zu suchen.
An diesem Abend konnte sie sich nicht entschliessen, Abendbrot zu machen. Sie blätterte zerstreut in einer Zeitschrift, als es klingelte. Sie erwartete niemanden. Etwas beunruhigt drückte sie auf den Knopf der Sprechanlage: “Wer ist da, bitte?”
“Wer schon? Ich natürlich, Harro!” Die Stimme klang so selbstsicher, wie sie sie in Erinnerung hatte.
Isabels Herz tat einen Hopser, als wäre sie in einem Fahrstuhl, der nach unten saust. “Ich mach’ auf, Harro. Komm rauf!”
Als er aus dem Fahrstuhl trat, wurden ihre Knie weich. Wie gut er aussah, so braungebrannt!
Er lächelte auf sie herab: “Wie geht’s dir, Mädchen?”
Sie hatte sich diesen Augenblick so oft ausgemalt, war in Gedanken so oft in seine Arme gesunken. Aber ein Rest von Stolz hielt sie davon ab. Sie gab sein Lächeln zurück und antwortete: “Danke, gut. Du siehst übrigens auch gut aus. Und wo kommst du so plötzlich her?”
“Direkt aus Nordafrika, meine Liebe, und mein erster Weg führt zu dir!”
Sie trat beiseite, um ihn hereinzulassen. Ihr Herz spielte immer noch verrückt. Sie hoffte, dass er es nicht merkte.
Er schloss die Tür, nahm sie in die Arme und küsste sie auf eine Weise, dass sie zu verfliessen glaubte. Sie wünschte, dass diese Umarmung ewig dauern würde, aber schon liess er sie los: “Mach’ dich hübsch, Isabel. Ich führe dich ganz gross aus!”
Sie spürte eine schmerzende Enttäuschung, weil er ausgehen wollte, statt mit ihr hierzubleiben. Aber sie hatte immer getan, was Harro wollte, und gehorchte auch jetzt. Während er im Wohnzimmer eine Zigarette rauchte, die Augen leicht zusammengekniffen, zog sie sich um. Sie sagte sich, dass er recht hatte, nichts zu überstürzen, dass ja die ganze Nacht vor ihnen lag. War es nicht köstlich, den Augenblick, in dem sie sich wirklich wiederfinden würden, auf diese Art hinauszuzögern?
Sie wählte das schwarze Kleid, das ihre Figur so gut zur Geltung brachte. Harro hatte ihr einmal gesagt, dass Schwarz ihre Farbe sei. Schwarz zu ihren kastanienbraunen Haaren! Die bürstete ihr Haar und steckte es zu einer komplizierten Frisur auf. Dann umrandete sie ihre Augen, tuschte die Wimpern, trug Lidschatten und Rouge auf und zog ihre Lippen nach. Eine völlig veränderte Frau sah ihr aus dem Spiegel entgegen. Ihre kleinen Schüler würden sie nicht wiedererkennen. Max auch nicht. Aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Harro mochte sie so am liebsten, und er sollte stolz auf sie sein.
Er hatte einen Tisch im besten und teuersten Restaurant der Stadt reserviert, und er genoss es sichtlich. “Ein Gutes haben diese Auslandsaufenthalte: Ich kann mir einigen Luxus leisten”, stellte er befriedigt fest.
Eine junge Frau, die nicht weit von ihnen entfernt mit ihrem Begleiter an einem anderen Tisch sass, sah immer wieder zu ihnen hinüber, versuchte vergeblich, Harros Blick einzufangen. Isabel merkte es, doch sie war es so gewöhnt. Harro machte immer Eindruck auf andere Frauen.
Aber plötzlich stand die Frau auf und kam an ihren Tisch: “Harro, welch eine Überraschung! Du bist wieder zurück!” gurrte sie mit verführerischer Stimme.
Harro hob den Kopf, und ein erfreutes Lächeln ging über sein Gesicht: “Cornelia! Komm, setz’ dich einen Moment zu uns!”
Das liess Cornelia sich nicht zweimal sagen, sie nahm Platz.
“Cornelia - Isabel”, machte Harro ziemlich lässig die beiden Frauen miteinander bekannt.
Cornelia nickte kurz und kühl in Isabels Richtung und wandte sich sofort wieder Harro zu: “Wo hast du denn zuletzt gesteckt?”
“Nordafrika.” In dem knappen Wort lagen Sonne, Wüste, Abenteuer.
Isabel hatte freundlich zurückgenickt. Harro mochte es nicht, wenn sie Verunsicherung oder gar Eifersucht zeigte. Situationen von früher fielen ihr ein. Sie wusste, dass sie liebenswürdig sein und versuchen musste, seine Aufmerksamkeit zurückzugewinnen, indem sie geistreicher und amüsanter war als ihre Rivalin.
Sie suchte nach einer Bemerkung, mit der sie Harro zum Lachen bringen konnte, und fand sie. Er lachte, wandte sich aber gleich wieder Cornelia zu.
Früher war Isabel sehr begabt gewesen für dieses Spiel, aber etwas musste sich seitdem geändert haben, denn sie fand es auf einmal gar nicht mehr lustig. Wie aus der Sicht eines unbeteiligten Beobachters sah sie alle drei hier am Tisch sitzen: zwei junge Frauen, die darin wetteiferten, einem Mann zu gefallen. Die Spielregel war einfach. Die Bessere würde gewinnen. Harro war der Preis.
Isabel war jetzt vollständig ernüchtert, verstand sich selbst nicht mehr. Was hatte sie hier überhaupt zu suchen? Warum machte sie diesen demütigenden Wettbewerb mit, in dem es immer nur einen Sieger gab, nämlich ihn? Und Harro, was empfand er für sie? Das war doch keine Liebe. Liebe, das war etwas anderes, Uneigennützigeres. Liebe, das war so … wie Max sie liebte. Sie sah sein gutes Gesicht vor sich, fühlte Sehnsucht.
Langsam faltete sie ihre Serviette zusammen, legte sie neben ihren Teller. Cornelia würde den Sieg durch Aufgabe davontragen. Von der Aufgabe merkte Harro nichts, er lachte gerade laut über Cornelias letzte Bemerkung, sah sich nicht einmal nach ihr, Isabel, um, weil sie nichts mehr sagte.
Sie nahm ihre Handtasche, stand auf und ging mit steifen Schritten dem Ausgang zu. Nur Cornelias glitzernder Blick folgte ihr ein paar Sekunden. Es lag ein geheimer Triumph in ihren Augen.
Isabel kam an dem Tisch vorüber, an dem Cornelias Begleiter nun schon eine ganze Weile allein sass. Er sah traurig aus, und sie hätte ihm gern etwas Tröstliches gesagt. Vielleicht, dass es nicht lohnte, wegen einer Frau wir Cornelia unglücklich zu sein. Da traf sie wie ein Blitz die nächste Erkenntnis. Auch Max war unglücklich. Ihretwegen. Und auch sie war eigentlich seiner Liebe nicht wert.
Sie liess sich von einem Taxi nach Hause fahren, verbannte das schwarze Kleid in die hinterste Ecke des Schrankes. Sie mochte helle, fröhliche Farben doch viel lieber! Sie schminkte sich ab, stellte sich unter die Dusche. Seltsamerweise fühlte sie sich überhaupt nicht traurig, eher wie von einer Last befreit. Sie schämte sich nur, dass sie das alles so lange mit sich hatte machen lassen, nur um Harro zu gefallen.
Am nächsten Tag, als sie von der Schule nach Hause kam, fand sie einen handgeschriebenen Zettel im Briefkasten: “Was war denn los mit dir? Warum warst du so plötzlich verschwunden? Wir können uns nicht mehr sehen, ich muss heute schon wieder fort.” Harro hatte nicht einmal unterzeichnet, aber sie glaubte, seine Stimme zu hören. Sie klang vorwurfsvoll und beleidigt. Sie hatte ihn um einen Spass gebracht, um das Gefühl, begehrt und umkämpft zu werden. Und jetzt erkannte sie ihn als das, was er war: ein charmanter, aber rücksichtsloser Geniesser. Aber waren die Frauen denn nicht selbst schuld daran, wenn er so war? Sie machten es ihm zu leicht!
Sie knüllte den Zettel zusammen und warf ihn in den Papierkorb. Vielleicht würde er ja eines Tages der Frau begegnen, die ihn die Liebe lehren würde. Sie wünschte es ihm, aber sie wusste, dass nicht sie es sein würde.
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Abends klopfte es an ihre Tür: “Ich bin es, Max.”
Sie sprang auf und öffnete ihm: “Oh, Max, du bist schon wieder da?” Tiefe Freude erfüllte sie in diesem Augenblick.
Er lächelte ihr etwas unsicher zu: “Es ging schneller, als wir angenommen hatten. Die anderen wollten noch übers Wochenende bleiben, um sich die Umgebung anzusehen, aber ich bin doch lieber zurückgekommen.” Er brach ab, als fürchtete er, schon zuviel gesagt zu haben.
Isabel war es, als sähe sie ihn mit ganz neuen Augen - und auch mit einem neuen Herzen. Einem Herzen, das endlich frei war. “Ich bin so froh, dass du da bist”, sagte sie leise.
“Ist das wirklich wahr?”
Sie würde Max alles erzählen, nahm sie sich vor. Nachher. Jetzt ging sie nur einen Schritt auf ihn zu. Er stellte keine Fragen, er öffnete ihr seine Arme, schloss sie warm und schützend um sie. Sie fühlte durch den Stoff seines Hemdes, wie sein Herz klopfte, und ihr Herz antwortete ihm endlich. Sie spürte das Echo in ihrem ganzen Körper …
ENDE