ARTus-Kolumne »SO GESEHEN« Nr. 637 • 23. November 2013
von Walter G. Goes (ARTus) • Bergen auf Rügen
Auch wenn er andere Menschen, Politiker zumeist, auf der Bühne verkörperte, immer wirkte er authentisch. Man nahm ihm seine fein einstudierten Rollenspiele ab und bis zuletzt nicht übel.
Göttlich, wie er den tobenden Wehner am Rednerpult des Bundestages gab: In Haltung und Ausdruck, in der stockenden Wortwahl, Blitze schleudernd. Oder wie er Kanzler Kohl mit klimpernden Augenaufschlag inszenierte. Oder Willy Brandt, dem er das deutsche Volkslied »Guter Mond, du gehst so stille…« parodistisch in den Mund ver-legte. Oder wie er den fünften Bundeskanzler der Republik, Helmut Schmidt parodierte, Pfeife rauchend und die »Pfeifen« seiner Politikergilde schulmeisterlich abstrafend.
So gesehen und gehört waren das nie Leerstunden! Das waren Lehrstunden!
Klaus Dittrich, ein Berliner Künstlerkollege, der mich am Tag der Todesnachricht anrief, erinnerte sich sogar noch an Hör-Zeiten im Radio, lange vor den spektakulären Fernsehauftritten, denen man entgegenfieberte, weil er, Dieter Hildebrandt, auftrat. Er, der den Wohlstandsmief Mist nannte und dabei schalkhaft grinsen konnte, als wäre er gerade Heinz Rühmann alias Hans Pfeiffer in der Feuerzangenbowle begegnet.
Die boshaft zu erstarren drohende Bundesrepublik erfuhr unter seiner satirischen Fuchtel eine Demokratie einfordernde Blutzufuhr. Der Widerspruch im öffentlichen Fernsehen emanzipierte sich durch ihn. Kein anderer traute sich das, was er sich traute. Oder nur ganz wenige neben ihm, mit ihm, wie Sammy Drechsel, Ursula Herking, Klaus Havenstein, Hans Jürgen Friedrich und später Werner Schneyder.
Seine Lust am Kampf hatte etwas Ansteckendes. Dieter Hildebrandt machte Mut, selber die Klappe aufzumachen. Ich sah ihn, den kleinen Weisen mit dem großem Mundwerk, herrlich Zähne zeigend, im Mai 2007 im Theater Putbus und werde seinen Auftritt nie vergessen. 80 Jahre war er da gerade alt geworden. Alt? Aufmüpfig wie ein 18-Jähriger lamentierte er wider den politischen Zeitgeist, zeigte Haltung, erklärte uns die Widerwärtigkeiten und Verlogenheiten der Welt, entlarvte Protz und Pelz, nannte Rotz und Filz.
Ja, »er war giftig, hat aber nie erniedrigt, nie ließ er sich ein auf dieses ausgestellte Bösmenschentum überreizter, unglücklicher Zyniker“ (Hans-Dieter Schütt).
Sein Witz kam aus dem Geist. Oft leis und weise. Gute Reise! ARTus