Sandra liebt Markus, aber sie findet, dass er sich zu sehr auf sein gutes Aussehen und seinen Charme verlässt, um auf ihre Kosten ein bequemes Leben zu führen …
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In Sandra kämpfte erwartungsvolle Vorfreude gegen ein banges Gefühl an, als sie nach ihrem anstrengenden Arbeitstag als Heilpraktikerin die Wohnungstür aufschloss. Auf den ersten Blick sah sie, dass in der Küche noch das schmutzige Frühstücksgeschirr auf dem Tisch stand. Dafür sass Markus im Wohnzimmer entspannt in seinem Lieblingssessel vor dem Fernseher. Sie schluckte ein paarmal: “Hast du wenigstens eingekauft, Markus?”
“Eingekauft? Wieso?” Dann ging ihm ein Licht auf: “Verflixt, ist das etwa schon wieder meine Woche mit dem Haushalt?”
“Seit vorgestern. Toll, dass du es endlich merkst!” Ein bisschen Ironie konnte sie sich nicht verkneifen.
“Du hättest es mir sagen können.”
“Dir sagen? Was nützt das denn? Bis zum nächsten Tag hast du es schon wieder vergessen”, explodierte sie.
Er streckte die Arme aus: “Komm, Sandralein. Lass dir einen Kuss geben. Ich liebe dich, das weisst du doch?”
Sie sah den Mann, mit dem sie seit einem Jahr ihr Leben teilte, lange an. Selbst durch ihren Tränenschleier sah er noch gut aus. So verdammt gut! Sie hatten sich im letzten Frühjahr auf Teneriffa kennengelernt, und sie konnte sich noch heute an dieses Gefühl wie Weihnachten und Ostern zugleich erinnern, als sie von ihrem Buch aufsah, weil ein Schatten darauf fiel, und der schönste Mann, der ihr je unter die Augen gekommen war, seine gutgewachsenen Einmeterneunzig leicht vor ihr zusammenklappte: “Darf ich mich zu Ihnen setzen?” Aus den Augenwinkeln hatte sie bemerkt, dass die Blicke aller Frauen auf ihm ruhten. Und jetzt auch auf ihr. Mit unverhohlenem Neid.
Sie hatte tief durchgeatmet, ihre Sonnenbrille auf der Nase zurechtgerückt und heiter geantwortet: “Bitte sehr.”
Es waren himmliche Ferien geworden. Sandra hatte beschlossen, nicht darüber nachzudenken, warum er ausgerechnet sie auserkoren hatte. Gut, sie war nicht hässlich, bei Weitem nicht, aber auch keine Miss Welt. Weitere Überraschung: Sie lebten beide in Hamburg.
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Nach ihrer Rückkehr hatten sie sich eine grössere Wohnung gesucht und waren zusammengezogen. Sandra liebte Markus, sie sah ihm vieles nach, schliesslich hatte sie selbst Fehler, aber irgendwo gab es eine Grenze, und die war jetzt erreicht.
Sie pflanzte sich gerade vor ihm auf. Ihr dichtes blondes Haar schien elektrisch aufgeladen zu sein, ihre grünen Augen funkelten vor Zorn und Enttäuschung: “Du denkst immer, dass ein Kuss alles in Ordnung bringt, tut es aber nicht. Markus, so geht es nicht weiter. Ich arbeite genau so hart wie du. Wir haben diese Arbeitsteilung ausgemacht, als wir zusammenzogen. Du musst dich endlich daran halten, sonst kann es nie funktionieren mit uns.”
“Also gut, ich geh einkaufen.”
“Es ist zu spät, die Geschäfte haben zu.”
“Dann essen wir eben bei Vittorio, ich lade dich ein”, strahlte Markus sie charmant an.
Während sie auf ihre Scampi warteten, sinnierte er: “Du, ich mache mir Sorgen um Mutter.”
“Ist sie krank?” Sandra war erschrocken. Renate Lund, Markus’ Mutter, war seit drei Jahren verwitwet, und Sandra mochte sie sehr gern.
“Nicht organisch, aber es tut ihr nicht gut, allein zu leben. Könnten wir sie nicht zu uns nehmen? Sieh mal, damit wäre uns allen gedient. Mutter wäre nicht mehr allein, und sie könnte sich um den Haushalt kümmern. Wir überlassen ihr das Gastzimmer, und in dem Haus, das wir doch über kurz oder lang bauen werden, wenn wir erst verheiratet sind, sehen wir eine hübsche Einliegerwohnung für sie vor.” Er hatte sich regelrecht in Begeisterung geredet.
Verheiratet? Der Tag schien Sandra plötzlich in weiter Ferne zu liegen. “Hast du mit ihr darüber gesprochen?” brachte sie endlich heraus.
“Mach’ ich gleich morgen, aber ich bin sicher, dass ihr der Vorschlag gefallen wird.”
Die Scampi kamen und enthoben Sandra einer Antwort. An diesem Abend sprachen sie nicht mehr darüber, dafür lag Sandra die halbe Nacht wach und dachte über Markus und sich und auch über seine Mutter nach. Sie zweifelte daran, dass Renate ihre Lebenserfüllung darin sah, zu ihnen zu ziehen und ihnen den Haushalt zu führen. Sie zweifelte jetzt sogar ernsthaft an ihrer gemeinsamen Zukunft mit Markus. Ganz generell mit einem Mann, der mit 32 Jahren noch kindlich egoistisch davon träumte, von seiner Mutter umsorgt und verwöhnt zu werden, denn darauf lief es doch wohl hinaus?
Markus, überlegte sie weiter, verfügte über ein Regiment von Frauen, deren höchstes Glück es war, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Das fing mit den Sekretärinnen des Unternehmens an, in dem er als Ingenieur arbeitete und hörte mit der bildschönen Celine auf, die letzten Monat ins Haus gezogen war. Tiefe Mutlosigkeit ergriff sie. Waren ihre Bemühungen um eine gleichberechtigte, erwachsene Partnerschaft nicht hoffnungslos zum Scheitern verurteilt, solange es derart viele Frauen gab, die ihn umschwärmten und bereit waren, alles für ihn zu tun? Ihr wurde klar, dass sie nicht dafür geschaffen war, ihr ganzes Leben zwischen ihrer Liebe zu Markus und der Angst, ihn zu verlieren, hin- und hergerissen zu werden. War da ein Ende mit Schrecken nicht besser als ein Schrecken ohne Ende?
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“Welch eine Überraschung, mein Junge, was führt dich zu mir?” Renate trat beiseite, um ihren Sohn in die Wohnung zu lassen. Dann schaute sie noch einmal vor die Tür: “Wo ist denn Sandra?”
“Gute Frage, sie hat mich verlassen”, erwiderte Markus bitter.
“Dich verlassen?” Renate musste trotz der verstörten Gesichtszüge ihres Sohnes lächeln: “Na, es wurde wohl Zeit, dass dich mal eine Frau verlässt. Obwohl es mir gerade um Sandra sehr leid tut.”
Er ging mit grossen Schritten im Wohnzimmer seiner Mutter auf und ab. Dann blieb er vor ihr stehen und fragte argwöhnisch: “Vielleicht ist sie zu dir gekommen?”
“Nein”, erwiderte Renate wahrheitsgemäss, “du musst mir schon alles erklären.”
“Ich habe nichts von dem verstanden, was sie mir an den Kopf geworfen hat”, beklagte er sich.
“Sie hat nicht zufällig gesagt, dass du dich wie ein verwöhntes Kind benimmst?”
“Naja”, gab er zu. “Im Zusammenhang mit dir, übrigens.”
“Das musst du mir genauer erklären.”
“Ich hatte Sandra vorgeschlagen, dass du zu uns ziehst.”
“Warum denn das, mein Junge?”
“Wir dachten, dass du dich dann weniger allein fühlst.”
Renate betrachtete nachdenklich ihren einzigen Sohn, der seinem Vater, ihrem geliebten Eduard, nicht nur äusserlich so ähnlich sah. Sie seufzte und meinte dann: “Du dachtest das, Markus. Ganz allein du. Und du möchtest es hauptsächlich, damit ich für dich da bin. So ausschliesslich, wie du es dir als Kind immer erträumt hast. Wie es sich jedes Kind erträumt. Ach, Markus, ich habe oft gedacht, auch bei deinem Vater, dass es für einen Mann nicht gut es, zu schön zu sein. Die Frauen machen es euch zu leicht, und ihr denkt, dass ihr nichts zu tun braucht, um geliebt zu werden. Dass euer Aussehen, euer Charme, genügen. Aber die Frauen, die euch wirklich lieben, nicht nur euer Aussehen, haben es manchmal ganz schön schwer. Es gibt Augenblicke, da möchte man euch eins hinter die Löffel geben.”
“Mutter, ich wusste nicht, dass du so über Vater dachtest.” Markus war ernsthaft schockiert.
“Ich habe ihn weiss Gott geliebt. So heftig, so tief, wie man eben Männer wie euch liebt. Er fehlt mir noch immer ganz entsetzlich. Aber ich hatte auch immer mein eigenes Leben. Ich male, Markus. Und ich will noch viele Bilder malen. Das kann ich nicht in eurem Gastzimmer. Ich habe auch meine Freundinnen, die ich sehen möchte, ohne vorher jemanden fragen zu müssen. Natürlich könnt ihr in Notfällen auf mich zählen, aber es kommt gar nicht in Frage, dass ich zu euch ziehe. Wenn du mich nur vorher gefragt hättest!”
“Zuerst lässt Sandra mich im Stich, und jetzt auch noch du. Was habe ich euch bloss getan?”
Renate sinnierte weiter, dass Frauen, die derart gutaussehende Männer lieben, ohne ein gewisses Mass an Eigenständigkeit verloren wären. Und hatte Eduard sie nicht auch gerade dieser Eigenständigkeit wegen geliebt? Wenn er es nicht getan hätte, wäre es ein Leichtes für jede andere Frau gewesen, ihn ihr auszuspannen. Sandra war ihr ähnlich. Renate sah darin den Beweiss, dass Markus instinktiv wusste, was gut für ihn war. Es musste ihm nur noch klar werden, aber sie traute ihm zu, das allein herauszufinden. Nur ein klein wenig wollte sie ihm jetzt helfen.
Leicht strich sie ihm über die unrasierte Wange: “Sandra liebt dich, das weiss ich ganz bestimmt. Und auch du liebst und brauchst sie, weil du nur an einer Frau wie ihr wachsen kannst. Nutze diese Chance, mein Junge.”
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Es klingelte. Markus, dem die Wohnung, seit Sandra ihn vor einer Woche verlassen hatte, entsetzlich leer und trostlos vorkam, ging erwartungsvoll öffnen.
Aber es war nicht Sandra, sondern Celine, die eifrig fragte: “Brauchen Sie Hilfe? Soll ich abwaschen? Ein bisschen saubermachen?”
“Danke, aber das hab ich schon alles erledigt.” Er war selbst erstaunt, wie gut er mit der Hausarbeit fertig geworden war. Im Grunde war es keine Hexerei, und ein Zacken war ihm auch nicht aus der Krone gefallen.
Neugierig warf sie einen raschen Blick ins Wohnzimmer und in die Küche: “Toll”, seufzte sie enttäuscht. Und lockte dann: “Möchten Sie bei mir zu Abend essen? Ich hab für zwei gekocht.”
“Lieb von Ihnen, aber danke, nein, ich hab’ keinen Hunger.”
“Sie denken doch nicht noch an Sandra? Sie hat Sie verlassen, Sie sind frei!”
Einen Augenblick war er tatsächlich versucht, Vergessen in diesen porzellanblauen Augen zu suchen, die ihn so rückhaltslos anhimmelten, aber nur einen winzigen Augenblick. Die Worte seiner Mutter kamen ihm wieder in den Sinn: “Sandra liebt dich. Nur an einer Frau wie ihr kannst du wachsen.” Er hatte sich in seiner Eitelkeit gekränkt gefühlt, aber jetzt wusste er, dass sie Recht hatte. Sandra war die einzige Frau, die er kannte, ausser seiner Mutter, der er nicht so leicht etwas vormachen konnte.Wenn Sandra hingegen sagte: “Ich liebe dich”, war das keine unpersönliche Bewunderung. Sie meinte wirklich ihn damit. Er spürte eine fast unerträgliche Sehnsucht nach ihr.
Celine stand jetzt ganz dicht vor ihm. Ihr Mund war verführerisch geöffnet, ihre Augen halb geschlossen. Sie atmete heftig. Er legte sanft aber fest beide Hände auf ihre Schultern und schob sie ein wenig von sich ab. Als sie enttäuscht mit den Augen klapperte, lächelte er entschuldigend: “Verstehen Sie, für mich zählt nur Sandra. Und ich bin ein Esel, dass ich sie hab gehen lassen.”
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Es war spät geworden. Sandra wollte gerade die Praxis schliessen, als sie einen letzten Patienten im Wartezimmer entdeckte. Weil ihr unvernünftiges Herz einen Trommelwirbel schlug, klang ihre Stimme etwas zittrig, als sie fragte: “Was führt dich zu mir?”
“Ich hab Herzweh”, erwiderte Markus, während ihn eine Woge von Liebe überflutete. Sandra war nicht nur schön, dachte er, sondern auch klug. Und an Temperament fehlte es ihr auch nicht. Er betete sie an, stellte er fest. Wenn es nur nicht zu spät war!
“Sehr schmerzhaft, aber nicht lebensgefährlich”, lächelte sie und fügte leise hinzu: “Ich weiss, wovon ich rede.”
“Sandra, bitte hör mir zu. Du hattest Recht, ich hab mich benommen wie ein verwöhntes Kind. Mutter hat mir übrigens den Kopf zurechtgesetzt. Sie denkt nicht daran, zu uns zu ziehen. Sie sagt, dass sie ihr eigenes Leben hat, auch ohne Vater.”
“Ich weiss, dass sie ihn sehr geliebt hat”, sagte Sandra jetzt weich. “Sie hat mir erzählt, dass du ihm sehr ähnlich bist, nicht nur äusserlich. Findest du, dass es ein grosses Pech ist, dass ich wie deine Mutter bin? Dass ich wie sie einen Beruf habe, den ich liebe?”
“Nein, es ist ein Glück”, antwortete er ernst.
Ihre Neugier siegte: “Hat Celine dir keine schönen Augen gemacht?”
In seinem Blick lag seine ganze Liebe zu ihr, als er antwortete: “Hat sie, aber seit ich dich kenne, interessiert mich keine andere Frau mehr.”
Markus mochte Fehler haben, aber bewusst lügen tat er nicht. Sandra atmete erleichtert auf und merkte, dass es ungeheuer weh getan hätte, wenn er den Sirenenklängen ihrer hübschen Nachbarin erlegen wäre. “Ist sie dir jetzt böse?” fragte sie.
“Nein, sie nimmt es mir nicht übel, dass sie gescheitert ist”, grinste er.
“Im Grunde”, meinte sie, “sind alle Frauen deine Freundinnen.” Und die Männer deine Freunde, fügte sie im Stillen hinzu, denn Markus schaffte es, auch bei den Männern beliebt zu sein.
“Heiratest du mich endlich?” fragte er.
“Kannst du mir einen guten Grund dafür nennen?”
“Sogar zwei: Die Wohnung ist tadellos in Schuss, und das habe ich ganz allein geschafft. Und das Abendessen ist auch fertig. Ein Abendessen mit Kerzenlicht.”
“Oh, Markus”, sagte sie zärtlich.
“Und dann”, fuhr er ernst fort, “ich liebe dich, Sandra. Und ich will versuchen, dich immer besser zu lieben.”
Er bewies ihr seine guten Absichten mit dem schönsten Kuss, den sie je von ihm erhalten hatte, und sie schlang die Arme um seinen Hals und dachte glücklich, dass dies und kein anderer der Mann ihres Lebens war, und sie zusammen durch dick und dünn gehen würden. So wie Renate es ihr über Eduard und sich selbst erzählt hatte …
ENDE