Ein Mann lässt nicht locker

„Könnten sie mir mal einen Rat geben?“ Der Geldautomat rattert, während ich den kurzen Moment der Wärme genieße. Karla braucht etwas aus der Apotheke, deshalb hab ich mich vom Buch losgerissen. Ich halte diese Innenstadt/Einkaufsmeile in Kiel für eine der Hässlichsten in diesem Land. Kette drängt sich an Kette.

„Wofür?“

Der ältere Mann deutet auf eine menschliche Gestalt, die zusammengesunken auf der Heizung sitzt und immer wieder vornüber kippt-stöhnend-dabei aber von einem silbernen Pfahl im freien Fall gestoppt wird. Es riecht nicht nach Alkohohl. Ansprechbar ist der Mann, er wird in den Vierzigern sein, nicht. Ob es am Zustand oder am Nichtverstehen liegt ist schwer zu sagen.

„Ich würde anrufen.“

„Würden sie das tun?“

„Ich hab kein Handy dabei.“ Es hängt am Aufladekabel zu Hause und da will ich auch schnell wieder hin. Der Mann lässt nicht locker. Er ist besorgt. Können sie nicht Jemanden fragen?“  Ungeduldig trete ich hinaus in die Aprilkälte. Händler verkaufen. „Können sie einen Krankenwagen rufen? Da drin sitzt Einer, dem gehts nicht so gut.“

Einer der Händler hebt die Hände. „So was fasse ich nicht an.“  Perplex denke ich, dass ich das ohne Handschuhe wahrscheinlich auch nicht tun würde. „Es geht ja auch nur darum ihr Handy anzufassen. Ich hab meins Zuhause gelassen.“

„Der sitzt da schon den ganzen Tag da, belästigt die Leute.“

„Im Moment belästigt er  Niemanden, kann er gar nicht mehr.“  Die Kälte sitzt jetzt Innen.  Ratlos stehe ich herum, vermisse die guten alten Telefonzellen.

Fröstelnd trete ich in den Vorraum der Bank, zucke ratlos mit den Schultern.“Wollten die nicht?“ Der ältere, gut gekleidete Herr lässt nicht locker. „Könnten sie nicht im Geschäft fragen?“ Man- denke ich, als ich frierend vorm Laden stehe in dem Kassiererinnen im Akkord Babynahrung und Eyeliner scannen. Warum zum Teufel musste ich ausgerechnet hier mein Geld holen? Zu Hause wartet mein Buch. Das über den Iran. Von Kermani-genau. Das ist richtig gut. Und abends will ich mir den Wüstentänzer ansehen. Dazu müsste ich aber erst mal Zuhause sein . Ich frage nicht, kehre zum Vorraum zurück. „Und?“  Schuldbewusst zucke ich mit den Schultern. Erst als ein Mann mit etwa 10 jähriger Tochter die Bank betritt naht Hilfe. “ Nein sie haben Recht. Es wird zu oft bagatellisiert. Und dann macht man sich Vorwürfe.“ Die Tochter sieht ihren Vater aufmerksam an. Er wählt die 112. „Nein kein Alkohol. Nein nicht ansprechbar. Stöhnt nur. Kann sich nicht selbst halten.“

Zehn Minuten später ist der Krankenwagen da. Sie nehmen Puls und Zuckerwert.“Wie lange haben sie denn nicht mehr geschlafen?, fragt der Rettungssanitäter als er dem immer wieder Zusammensackenden in die Augen leuchtet.“ Verstehen sie mich? Sprechen sie deutsch? “

„Wir nehmen ihn mit ins Krankenhaus.“ Aufatmen.  Ich verabschiede mich. Zurück im Bulli, werfe ich Jaques Brel an, den hab ich mir morgens aus der Bibliothek geholt. Er singt jetzt „Sur la Place.“ Ein kleines Mädchen besingt er, dass in der Gluthitze einsam auf einem Platz tanzt. „Heureux“ drücke ich weg. Ohne den älteren Herrn wäre ich weiter gegangen. Vermutlich wäre mir dieser Mann gar nicht aufgefallen. Ich hätte das Geld gezogen, später das Medikament geholt und wäre nach Hause gefahren.

„Ich dachte du hast ihn gerettet. So hast du es gestern erzählt.“ Meine Tochter sieht mich mit einem Ausdruck tiefer Enttäuschung an. „Du hast nicht im Laden gefragt? Warum nicht?“ Warum wäre ich ohne diesen älteren Herrn weiter gegangen?

Der Held dieses Tages war der ältere Mann. Der der nicht locker gelassen hat.



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