Ein magischer Raum

Ein magischer Raum

Die Skulptur "wisdom? peace? blank? all of this?" von Ugo Rondinone ist im Theseustempel in Wien zu besichtigen (Foto: (c) KHM - E. Velo)

Jede Stadt besitzt sie: ihre „magischen“ Räume. In den gängigen Fremdenführern werden sie kaum beachtet und meist erschließen sie sich auch nur ganz individuell. Kaum jemand würde einen Ort als magisch bezeichnen, wenn er von Tausenden von Menschen bevölkert ist. Orte und Räume, die einen gewissen Zauber auf einen ausüben, ohne dass man genau sagen kann, warum das so ist, müssen meist selbst gefunden und entdeckt werden; und befinden sich meist abseits der großen Touristenströme.

Wien besitzt auch einen dieser Orte, der jedoch sogar in jedem Fremdenführer vorkommt und tag-täglich von ungezählten Menschen passiert wird – den Theseustempel im Volksgarten. Für ihn gilt seit heute jedoch die berühmte Ausnahme von der oben beschriebenen Regel. Denn trotz der hohen Frequenz, die zumindest vor dem Gebäude festzustellen ist, übt er mit seinem neuen Innenleben dennoch einen schwer zu beschreibenden Zauber auf dessen Besucherinnen und Besucher aus.

Anders als bislang, ist er nun täglich von 11 – 18 Uhr mit geöffnetem Tor und freiem Blick auf den Innenraum zu bestaunen. Belebt einzig durch eine Plastik von Ugo Rondinone, jenem Schweizer Künstler, dem die Ehre zuteilwurde, mit seiner Skulptur „wisdom? peace? blank? all of this?“ den Theseustempel in seiner Funktion als Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst zu eröffnen.

Als jüngstes „Kind“ des Kunsthistorischen Museums in Wien wird dieser nach vielen Jahren seiner ursprünglichen Funktion zugeführt und darf in den kommenden Jahren wieder als Ausstellungsraum dienen. Zwischen 1819 und 1823 einzig und allein für die Beherbergung der Skulptur „Theseus besiegt den Kentauren Phereus“ des Superstars des Klassiszismus, Antonio Canova, erbaut, fristete es nach der Übersiedlung des Kunstwerkes ins Kunsthistorische Museum ein eher stiefmütterliches Dasein. Die abgeschlossene Renovierung des Tempels, der seit September 2010 wieder in makellosem Weiß erstrahlt, ließ die Stadtverantwortlichen über eine neue Nutzung grübeln. Die Übergabe der Verantwortung an das Kunsthistorische Museum, jenem Hort, in dem auch die großartige Antikensammlung beherbergt ist, war – wie es den Anschein hat – eine kluge Entscheidung.

Die Generaldirektorin des Hauses, Sabine Haag, tat das, was heutzutage weltweit in vielen historischen Sammlungen getan wird: Sie nutzte die Gelegenheit, um die Altehrwürdigkeit ihres großen Hauses mit frischem Kunstblut aufzupeppen und beauftragte den britischen Kunsthistoriker und Kurator Jasper Sharp, der bereits seit 2011 als Ao. Kurator für moderne und zeitgenössische Kunst im Haus arbeitet, mit der Erstellung eines Ausstellungskonzeptes für den Tempel. Sharp, der 2013 auch den Österreichpavillon bei der Biennale in Venedig kuratiert, nahm den Ursprungsgedanken der Nutzung des Theseustempels wieder auf. Allerdings lässt er „seine“ Kunstwerke nicht wie einst über 70 Jahre dort verweilen, sondern zieht einen Ausstellungsrhythmus von 2 Monaten ein. Trotz der raschen Abfolge der Präsentationen zeitgenössischer Werke zieht sich doch ein roter Faden durch sein Konzept. Der Raum wird nie mehr als ein Kunstwerk beherbergen, das noch dazu, und darauf darf man schon gespannt sein, in Bezug zur Sammlung des Mutterhauses steht. Diese Herstellung bzw. Konstruktion dieser Bezüge ist freilich Sharps Arbeit, denn, so ist anzunehmen, wird er, wie im Fall Rondinone, auf bereits bestehende Werke von Kreativen zurückgreifen und die sind – nicht im Hinblick auf eine Ausstellung im Theseustempel entstanden, in welchem sie noch dazu mit einem Fingerzeig auf das KHM verweisen müssen. Diese Tatsache ist äußerst bemerkenswert und vom gedanklichen Ansatz an sich schon eine künstlerische Leistung. Und, wie man jetzt feststellen darf, im Fall des Schweizers Rondinone, der den Abguss eines über 2000 Jahre alten Olivenbaums zur Eröffnung in den Raum stellte, extrem gut gelungen.

Rondinone, bereits selbst Biennale-Teilnehmer, ist dafür bekannt, dass er Unausgesprochenes, Nicht-Greifbares, Traumhaftes und Sehnsuchtsvolles in seiner Kunst verbalisiert. Der weiß gestrichene Ölbaum bietet nun tatsächlich mannigfaltige Anknüpfungspunkte an die KHM-Sammlung, vor allem an jene Werke, die der Antike entstammen. Einst als heiliger Baum verehrt, und dadurch schon mit Kultstatus versehen, verbindet man bis heute die Idee der Langlebigkeit genauso wie die der Fruchtbarkeit oder des lebensspendenden Elementes mit ihm. Ölbaumzweiglein galten als Friedenszeichen und Olympiasieger wurden mit ihnen bekränzt. Und nicht zuletzt siegte Athene über Poseidon mit ihrer Idee, den Griechen in Athen einen Ölbaum zu schenken und wurde von diesen dafür als Stadtpatronin anerkannt. Poseidons Geschenk wäre zwar auch nützlich gewesen, allerdings sprudelte aus seinem Brunnen leider Salz- anstelle von Trinkwasser.

Ugo Rondinones Baum – er ist nur einer einer ganzen Serie, die er hergestellt hat – erzählt kulturgeschichtlich Unkundigen nichts von alledem, aber er bezaubert dennoch. Sein Weiß steht im Wettstreit mit dem Weiß der Tempelwände, seine knorrige Gestalt bietet einen Gegenpol zur exakt mathematisch berechneten Architektur. Die rohen Holzbretter, mit denen der Boden ausgelegt ist, bewirken einen zusätzlichen sinnlichen Effekt. Auf ihnen zu gehen und die kunstvolle Kuppel über sich zu betrachten, bewirken, dass unser Menschsein aus einer philosophischen Perspektive betrachtet werden kann. Woher kommen wir und was schaffen wir auf dieser Welt? Sind wir es, die uns die Welt untertan gemacht haben, oder ist sie gerade dabei uns eine Lektion zu erteilen? Das Schisma zwischen Natur und Geist – woher kommt es? Knapper auf den Punkt gebracht könnte der Gegensatz zwischen Mensch und Natur nicht dargestellt werden. Und es stellen sich noch viel mehr Fragen. Die Nacktheit des Olivenbaumes – bedeutet sie in diesem Fall ein Zeichen von Tod und mit seiner hier zur Schau gestellten Präsentation ein Gedenken an etwas, das einmal war? Oder wartet er darauf, erneut auszutreiben, vielleicht gar hier in dieser pseudo-heiligen Halle? Der Künstler selbst charakterisiert ja schon alleine durch die Titelgebung „wisdom? peace? blank? all of this?“ die Offenheit seines Kunstwerkes. Die Möglichkeit, sich von vielen verschiedenen Standpunkten aus sich ihm zu nähern und es selbst zu interpretieren. Ein Ansatz übrigens, der vielen seiner Arbeiten eigen ist.

Die Ergriffenheit, welche die Menschen vor beinahe 200 Jahren im Theseustempel empfanden, kann auch heute wieder verspürt werden. Auch wenn der Auslöser ein ganz anderes Kunstwerk ist. Mit ihm im Rücken kann man zum Natur- und Kunsthistorischen Museum blicken und – lässt man seinen Gedanken freien Lauf – tatsächlich ein ganzes Netzwerk an gedanklichen Verbindungen zu den Objekten in beiden Häusern herstellen. Dies dürfte zwar nicht ganz die Intention des Kurators gewesen sein, ist aber schlichtweg ein Zeichen dafür, dass seine Idee tatsächlich funktioniert. Gute Kunst und ihre gelungene Präsentation zeichnen sich eben dadurch aus, dass sie sich gedanklich nicht einschränken lässt und Platz bietet für wesentlich mehr interpretatorischen Spielraum bietet, als hinter dem Schreibtisch und im Atelier angedacht.

Als abschließendes, schönes Gedankenspiel Sharps sei noch angefügt, dass dieser den Tempel im Volksgarten als „foly“, wenn man es englisch aussprechen möchte oder als „folie“ – so wird es im Französischen korrekt wiedergegeben, angesehen werden könnte. So bezeichnete man im späten 18. Jahrhundert jene kleineren Lusthäuser, die in einiger Entfernung zu den Herrensitzen in England und Frankreich erbaut worden waren. Meist am Ende eines großzügigen Parks erbaut, mit der Funktion, dass darin Feste gefeiert werden konnten, Musik erklang und Theater zur Aufführung gelangten. Der Theseustempel nun könnte – und dieser Gedanke war mit einem britischen Augenzwinkern versehen – als foly des Kunsthistorischen Museums angesehen werden. Als Ort, in dem die Kunst zu ihrem Recht kommt, aber auf ganz andere Art und Weise als in den hehren Hallen am Mara-Theresien-Platz.

Fazit: Theseustempel und KHM Teil 1: Ein mehr als gelungener Auftakt!


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