Ein Katalysator für saubere Regenwaldluft

Die Atmosphäre verdankt ihre robuste Selbstreinigungskraft dem konsequenten Recycling ihres Reinigungsmittels. Wie Hydroxylradikale, die organische Verbindungen in der Luft zersetzen, wiederverwertet werden, haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz nun im Detail geklärt. Demnach können die reaktiven Moleküle beim Abbau von Isopren entstehen. Isopren entweicht aus Pflanzen in die Atmosphäre und war bislang nur dafür bekannt, bei seiner chemischen Entsorgung Hydroxylradikale zu verbrauchen. Bei niedrigen Hydroxylkonzentrationen wird aber offenbar mehr von dem atmosphärischen Reinigungsmittel produziert als entfernt. Isopren übt somit eine Pufferwirkung aus, die einen Zuwachs von Treibhausgasen und anderen Luftschadstoffen abschwächen kann.

In der Erdatmosphäre landen jedes Jahr Milliarden Tonnen natürlicher und anthropogener Gase. Würden sie nicht durch chemische Reaktionen wieder entfernt, wäre die Erderwärmung wesentlich größer und die Luftqualität deutlich schlechter. Das wichtigste Reinigungsmittel der Atmosphäre sind Hydroxylradikale (OH-Radikale), die flüchtige organische Verbindungen wie Methan und Isopren oxidieren. Die Reaktion mit dem kurzlebigen aber hochreaktiven Molekül wandelt die Gase in wasserlösliche Bestandteile um, die mit dem Regen aus der Atmosphäre entfernt werden. Bei der Oxidation entstehen aber auch Ozon und Aerosolpartikel, was wiederum die Luftqualität und das regionale Klima beeinflusst.

Messungen der Konzentration von OH-Radikalen über tropischen Regenwäldern zufolge werden die OH-Radikale recycelt, nachdem sie eine chemische Putzaktion erledigt haben. Daher hat sich die Selbstreinigungskraft der Atmosphäre als relativ stabil gegenüber der Luftverschmutzung erwiesen. Domenico Taraborrelli hat mit seinen Kollegen am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz nun den Einfluss eines bestimmten Recycling-Mechanismus für die Hydroxylradikale auf die OH-Bilanz in der Atmosphäre geklärt. Die Schlüsselrolle spielt darin eine Substanz, die bislang nur dafür bekannt war, bei ihrem Abbau Hydroxylradikale zu verbrauchen: Isopren. Die flüchtige organische Verbindung entweicht natürlicherweise in großen Mengen aus Pflanzen in die Atmosphäre und bildet mit anderen chemisch verwandten Terpenen einen Hauptbestandteil der für viele Pflanzendüfte wichtigen ätherischen Öle. Schätzungsweise rund 500 Millionen Tonnen Isopren produziert die Vegetation jährlich, wobei der größte Teil bei Tag in den tropischen Regenwäldern entsteht.

Die Hydroxyl-Konzentration bestimmt, wie Isopren abgebaut wird

„Wir haben entdeckt, dass das System komplexer ist, denn die Oxidation von Isopren trägt sowohl zum Abbau wie auch zur Bildung der OH-Radikale bei, so dass sich die Reaktion selbst puffert“, sagte Domenico Taraborrelli, Erstautor einer aktuellen Studie. „Die Effizienz, mit der OH-Radikale gebildet werden, hängt also von der OH-Konzentration ab.“ Ist diese hoch, wird wenig recycelt, ist sie niedrig, entsteht viel.

„Mit der Pufferwirkung können wir erklären, warum über Regenwäldern deutlich höhere Hydroxyl-Konzentrationen gemessen werden, als die Modelle der Atmosphärenchemie bislang berechneten“, so Domenico Taraborrelli. Diesen Widerspruch lösten er und seine Kollegen auf, indem sie ein globales Modell der Atmosphärenchemie um eine komplexe Kaskadenreaktion erweiterten. Demnach wandeln OH-Radikale Isopren zunächst in ein Hydroperoxyaldehyd (HPAL) um. Was nun weiter geschieht, hängt davon ab, wieviel OH-Radikale durch die Luft schwirren. Ist ihre Konzentration niedrig, reagiert HPAL mit molekularem Luftsauerstoff in einer Kette von Reaktionen weiter, die vom Sonnenlicht gestartet werden. Dabei entstehen unterm Strich mehr OH-Radikale, als die anfängliche Reaktion zu HPAL verbraucht. Enthält die Luft einen hohen Anteil an OH-Radikalen, bauen diese HPAL weiter ab. Die OH-Konzentration sinkt somit weiter.

„Für die Wechselwirkung zwischen Biosphäre und Atmosphäre ist die Stabilisierung der OH-Radikalmenge sehr bedeutsam, da große Waldgebiete auf diese Weise ihre Selbstreinigungskraft erhalten können“, sagt Domenico Taraborrelli. Die Mainzer Atmosphärenforscher vermuten sogar, dass auch flüchtige organische Verbindungen, die durch menschliche Aktivitäten freigesetzt werden, die Selbstreinigungskraft der Atmosphäre auf ähnliche Weise puffern könnten wie Isopren.

„Natürliche Ökosysteme sind besser gepuffert als vermutet“

Dass sich die Selbstreinigungskraft der Atmosphäre recht robust gegen Luftverschmutzung zeigt, dürfte auch dem Weltklima zugutekommen: Viele flüchtige organische Verbindungen wie Methan üben einen starken Treibhauseffekt aus, und im Zuge des Klimawandels soll sich ihre Freisetzung aus natürlichen Quellen sogar verstärken. Die Folgen davon könnten aber weniger gravierend sein als bislang angenommen. Denn Pflanzen sollen in einem wärmeren Klima auch mehr Isopren in die Luft abgeben. Und ein höherer Isopren-Anteil führt den aktuellen Erkenntnissen zufolge dazu, dass mehr Hydroxylradikale entstehen, die die Atmosphäre auch von Treibhausgasen reinwaschen. „Unsere Ergebnisse bedeuten auch, dass steigende Isopren-Emissionen, wie wir sie durch die globale Erwärmung erwarten, nicht zur Steigerung des Klimaeffekts beitragen“, schlussfolgert Jos Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie. „Das ist zwar keine Entwarnung, zeigt aber, dass natürliche Ökosysteme und ihre atmosphärische Umgebung besser gepuffert sind, als man vermutete.“

Nun wollen die Mainzer Forscher untersuchen, wie die Selbstreinigungskraft der Atmosphäre auf Störungen wie der plötzlichen Freisetzung von Methan aus Permafrostböden reagiert. Durch den weltweiten Temperaturanstieg tauen nämlich große Permafrostgebiete etwa in Russland auf und könnten riesige Mengen an Methan freisetzen und so die Erderwärmung verstärken.


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