Ein Integrationskonzept

Ich habe mich gefragt, wie eigentlich das Integrationskonzept der SPD aussehen könnte. Wir haben nicht so wirklich eins, obwohl Dieter Wiefelspütz, der totale und allgegenwärtige Experte meiner Partei, es sich ja nicht nehmen ließ, die Wichtigkeit dieses Themas zu betonen. Dass man nicht drumrumkommt. Das ganze Jahrzehnt lang nicht. Weil es den Leuten auf den Nägeln brennt. Ok, das habe ich begriffen. Jetzt wäre es nur schön, herauszufinden, was das eigentlich konkret heißt. Irgendwas muss da ja sein. Irgendwas muss man da ja politisch machen können, da der Vorwurf ja nicht lautet, dass Politik da nichts machen kann, sondern wohlgemerkt, dass der gesunde deutsche Volksverstand hier ignoriert würde.

Sie wissen schon:
Das, was alle denken.
Das, was keiner sagen darf.
Das, was so mutig ist.

Ok, versuche ich mich mal in der Kunst des großen Wahrheitensagens: Die müssen sich richtig integrieren.

Ich habe schon mal angedeutet: Ich weiß nicht wirklich, was das bedeuten soll, von vorne bis hinten nicht. Es sind fünf Worte, und jedes davon stellt mich vor ein Rätsel, angefangen mit „Wer sind die eigentlich“ bis hin zu „Was ist eigentlich integriert?“. Hilfreich scheint mir dabei eine Argumentation zu sein, die ich immer wieder im Internet finde: Wenn man nämlich ins Ausland reist, dann passt man sich ja auch den dortigen Sitten und Gebräuchen an. Exakt diese Formulierung habe ich bestimmt hundert Mal gelesen, und ich stelle nicht in Abrede, dass diejenigen, die das schreiben, das tun oder frage, ob das richtig ist.

Woran ich allerdings denken muss, ist der Ruf deutscher Touristen im Ausland, und der spricht im Großen und Ganzen nicht von Anpassung. Und nein, ich leite daraus nicht das Recht von Einwanderern ab, sich hier den „Sitten und Gebräuchen“ zu verweigern. Aber jeder weiß, von welchen „Sitten und Gebräuchen“ ich spreche, wenn ich von deutschen Touristen rede, oder? So gesehen in all ihrer Unangepasstheit klassische deutsche Sitten und Gebräuche, oder? Denen man sich anpassen sollte, nehme ich an?

Nicht? Also sind deutsche Touristen nicht richtig integriert?! Es leitet sich daraus aber noch eine Frage ab: Dürfen sich Einwanderer aus Deutschland dann eigentlich angemessen aufführen, oder müssen sie sich wie typische deutsche Touristen benehmen, wenn sie im Ausland Ferien machen? … ja, ich weiß, so ist... das... doch... gar nicht... gemeint, nicht wahr, ich bin ja so was von schwer von Begriff.

Eigentlich sollen „die“ sich ja nur an die Gesetze halten.

Und die Verfassung achten.

Wussten Sie übrigens, dass 4 von 10 Deutschen, wenn man sie spontan anspricht, nicht den ersten Artikel unseres Grundgesetzes aus dem Gedächtnis aufsagen können? Wussten Sie, das bei der gleichen Umfragerei immer noch jeder 20. Abgeordnete des deutschen Bundestages ganz genau so versagt hat? Ja, ich leite daraus nicht ab, dass Einwanderer genauso blöd sein dürfen, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber wenn die tatsächlich alle miteinander wüssten, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, dann wären sie eines schon mal nicht mehr: Integriert. Oder die 40 Prozent, die es dann immer noch nicht wissen, weil sie aus mannigfaltigen Gründen bereits deutsch genug sind, sind dann nicht mehr integriert. Das können Sie sich aussuchen, aber wenn es Ihnen ernst ist mit der Integration, dann muss das auch irgendwelche Konsequenzen haben. Aber ja, ich weiß, soooooo ….istdasdochgarnichtgemeint.

Es geht da mehr um unsere westlichen Werte. Um unsere demokratische Grundordnung. Die ist nämlich in Gefahr. Vor allem durch diese (ich weiß, das jetzt ein angsterfülltes Flüstern angesagt ist) Islamisten.

Da könnten Sie übrigens recht haben. In der Tat ist es durch den Islamismus hierzulande zu Veränderungen gekommen, welche unsere Grundrechte direkt angreifen und in ihren Grundfesten erschüttern. Die Privatsphäre ist zu einem Verhandlungsposten geworden. Unser Land führt wieder Krieg, ohne direkt angegriffen worden zu sein. Jahr für Jahr muss das Bundesverfassungsgericht Gesetze unserer Regierung blockieren, weil die schlichtweg unvereinbar sind – mit der Verfassung und mit der demokratischen Grundordnung.

Allerdings waren die Urheber all dieser Veränderungen keine Islamisten. Sie hatten nur ganz große Angst vor denen, genau wie Sie. Deswegen konnten Politiker – in Ihrem Namen und um Ihre Sicherheit besorgt – mehr Verheerungen in den sogenannten westlichen Werten anrichten, als das Terroristen egal mit welcher konkreten Geistesstörung in zehntausend Jahren schaffen würden. Und Sie haben dazu applaudiert, geistig umnebelt wie Sie sind. Aber, ja, klar, ich weiß.... so war das... doch garnicht.... gemeint... ich bin so schwer von Begriff.

Sie haben recht. Ich stelle mich gerade ein bisschen blöd. Aber eigentlich nehme ich nur das, „was alle denken“, schreibe es („endlich sagt es mal einer“) und dann denke ich darüber nach und schreibe das erstbeste, was mir dazu einfällt, und wie Sie sehen, reicht das schon, um zumindest eines mal festzuhalten: Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Aber dass ich darüber nachdenke, und dass ich dann auch Widersprüche aufzeige – und das nun wirklich nicht gerade im Rahmen intellektueller Höchstleistungen – müssen Sie mir schon zugute halten („wir haben schließlich Meinungsfreiheit hier“).

Nein, ich denke, ich weiß, was Sie wollen, und dabei geht es tatsächlich um Freiheit. Ich sage Ihnen allerdings gleich, dass Sie das nicht von der Politik bekommen können, zumindest werden Sie es nicht bekommen können, ohne dafür einen hohen Preis zu bezahlen, und zwar an Freiheit.

Freiheit bedeutet, sich entscheiden zu können, wie man sein Leben führt – aber man muss auch mit den Konsequenzen leben.

Und da sind dann auch die Sitten und Gebräuche: Damit wir uns entscheiden können, wie wir leben, müssen wir wissen, wie die Konsequenzen aussehen. Bei kriminellen Handlungen ist das noch relativ eindeutig. Bei Fragen der Sitten und Gebräuche, bei Werten und Normen, ist das überhaupt nicht mehr eindeutig. Es hat eine Vereinzelung stattgefunden – eigentlich findet sie immer noch statt - die es Ihnen tagtäglich schwerer macht, sich anzupassen, die es Ihnen unmöglich macht, die Konsequenzen Ihres Handelns vorauszusagen, und das macht Sie letzten Endes unfrei, weil Sie sich ständig neu orientieren müssen. Zumindest glauben Sie das leider.

In großen gesellschaftlichen Fragen gibt es keine eindeutige Antwort mehr – vor hundert Jahren war es noch völlig klar, welche Meinung Sie haben müssen zu Homosexualität, zu Abtreibung, zu unehelichen Kindern, zum Militär, zum christlichen Glauben: Heute können Sie für die eine Antwort an der einen Straßenecke Beifall kriegen und für eben diese Antwort an der nächsten Straßenecke ausgebuht werden (oder Schlimmeres, und morgen genau umgekehrt). Und das gilt eben nicht nur für diese Klassiker, das gilt bis hinab in die banalsten Tiefen Ihres Alltags. Klamotten. Einrichtung. Musik. Frisur. Ernährung. Hobbys. Sprache. Literatur- es gibt schlichtweg keinen Lebensbereich mehr, der davon ausgenommen ist, und es gibt nicht mal nur zwei Möglichkeiten, sondern hunderte und dann nochmal hundert Gegenentwürfe, und „richtig“ ist gar nichts mehr davon, und „deutsch“ schon mal gar nicht.

Wir sind uns nicht mal in rechtlichen Fragen wirklich einig, fangen Sie mal eine Diskussion über die Todesstrafe an, oder nur darüber, ob es richtig oder falsch ist, bei rot über eine Ampel zu gehen.

Und natürlich bekommen wir von der Politik auch keine Antworten, erstens Mal, weil das alles Menschen sind, die genau wie Sie versuchen, in diesem Durcheinander ohne größere Identitätskrise zu existieren, vor allem aber, weil sich ja nicht nur die Lebensentwürfe vereinzeln, sondern sich all diese vereinzelten Lebensentwürfe dann auch noch ständig verändern, und das auch wieder von den banalsten Kleinigkeiten bis hin zu den großen Glaubenskrisen.

Politik erhält nur Einzelbilder, meist in Form höchst unzuverlässiger Statistiken, die bereits keine Aktualität mehr haben, wenn sie fertig erhoben wurden, und drei Wochen später erst recht nicht mehr. Deswegen sollten Sie, wenn Sie schon sonst nichts von dem, was ich hier so geschrieben habe, ernst nehmen, zumindest das im Kopf behalten: Fordern Sie Politiker um Himmels willen nicht auf,  die Gesellschaft zu formen – egal ob können oder sollen – auf der Grundlage von Mehrheiten. Die meisten Leute sind sich ja nicht mal mit sich selbst einig.

Ihrem eigenen Kopf sollten Sie folgen - ja, die Politiker auch, aber SIE genau so, da haben Sie schon eine Menge zu integrieren. Und Ihr eigener Kopf ist in einem freien Land auch so ziemlich das einzige, was Ihnen dann zu folgen hat, das zu begreifen, fällt vielen erstaunlich schwer. Leben Sie Ihren persönlichen – wie sagt man so schön? Kategorischen Imperativ - vor, und wenn Sie das konsequent auch nur drei Stunden lang durchhalten, reden wir weiter. Dann werden Sie auch schon festgestellt haben, dass das schlimmste Hindernis dabei Sie allmorgendlich im Spiegel ansieht – Ihr persönlicher Balken im Auge, um es mal ganz christlich zu formulieren.

Ein letztes Gedankenspiel können Sie dann noch mitmachen: Stellen Sie sich mal vor, ich könnte Ihnen das bei Strafe befehlen- Sie selbst zu sein, meine ich. Sie selbst zu sein, 24 Stunden pro Tag, sich an Ihre eigenen Ideale und Prinzipien zu halten, und natürlich: Sich nicht zu ändern. Unmöglich?

Wie jetzt?

Sie könnten sich also so gesehen nicht mal in sich selbst integrieren?!

Wie soll denn dann meine Partei ein Integrationskonzept aufstellen? Jajaja, so war das nicht gemeint. Aber schön, das Sie bis hierhin durchgehalten haben. Ich denke, das Wetter haben Sie sich jetzt echt verdient.

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