Alex ist strikt dagegen, Kinder in diese Welt zu setzen. Schweren Herzens hat seine Frau Susanne sich diesem Wunsch gefügt. Doch ausgerechnet am zweiten Hochzeitstag schneit ein junges Mädchen in Alex’ Büro und behauptet …
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“Herr Hardege, eine junge Dame möchte Sie gern sprechen.”
Alex sah Frau Wilkens, seine Sekretärin, unschlüssig an. Er wollte heute früh nach Hause. Susanne wartete auf ihn. Es war ihr zweiter Hochzeitstag, und sie wollten in ihrem Lieblingsrestaurant essen.
“In welcher Angelegenheit?” zögerte er.
“Sie sagt, es sei persönlich.”
Dïe junge Dame war nicht älter als 17 oder 18. Sie trug Jeans mit einer lockeren Weste, und sie war ausgesprochen hübsch. Blondes, aufgestecktes Haar, ein ovales Gesicht und blaue Augen, die ihn jetzt aufmerksam und irgendwie bewegt musterten.
Er erhob sich halb hinter seinem Schreibtisch und wies auf den Sessel: “Bitte, nehmen Sie Platz. Was kann ich für Sie tun?” Vielleicht suchte sie Arbeit und versuchte es mit dieser persönlichen Masche? Aber sie brauchten im Augenblick niemanden in seinem kleinen Unternehmen.
Sie wandte sich um, als wolle sie sich vergewissern, dass sie allein waren und die Tür geschlossen war: “Sie sind Herr Hardege, nicht wahr? Alex Hardege.”
“Ja, das bin ich.” Worauf wollte sie heraus? Ungeduldig sah er auf die Uhr.
“Und vor 19 Jahren haben Sie einmal einen Sommer in Goslar verbracht?” fuhr sie unbeirrt fort.
Was sollte diese Frage? Er musste erst einmal überlegen.
“Ja, das stimmt”, erwiderte er schliesslich.
“Erinnern Sie sich an eine Brigitte?”
Brigitte. Brigitte Jürgens. Gross, schlank, blond, bezaubernd. Die schönsten blauen Augen, die er je gesehen hatte. Er war sehr verliebt gewesen in sie. Es war ein wunderbarer Sommer gewesen, aber wie das so ist. Sie lebte in Goslar, er studierte in Freiburg. Er hatte ihr geschrieben, sie hatte nicht geantwortet. Das war es dann gewesen.
Ihre Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. “Ich bin Brigittes Tochter. Mein Name ist Jenny Heise.”
“Ach so, ja …”
“Also, ich bin Brigittes und Ihre … und deine Tochter!”
Als er die Tragweite dieser Worte begriffen hatte, starrte er sie erst einmal ungläubig an. Was behauptete dieses Mädchen da?
“Mutti hat geheiratet, als ich zwei Jahre alt war. Mein Stiefvater ist Arzt und heisst Heise. Er hat mich adoptiert und mich aufgezogen wie eine leibliche Tochter. Ich habe zwei jüngere Geschwister, und ich komme nicht, um irgendwelche Forderungen zu stellen, ich liebe meine Eltern und meine beiden Brüder, ich habe alles, was ich brauche. Ich möchte nur … ich möchte dich endlich kennenlernen!”
Jetzt wollte er es ganz genau wissen: “Wann sind Sie … hm, wann bist du geboren?”
Sie nannte ihm das genaue Datum, kramte in ihrer Tasche und zeigte ihm ihren Personalausweis.
Und er sass da und fühlte sich plötzlich wie erschlagen. Er hatte eine Tochter, von der er bis zum heutigen Tag nichts gewusst hatte! Ausgerechnet er, der sich geschworen hatte, nie ein Kind in diese böse Welt zu setzen: Drohende Atomkriege, Umweltverschmutzung. Überbevölkerung. Wer wollte das denn einem Kind zumuten? Er hatte Susanne nur an sich binden mögen, nachdem sie ihm versichert hatte, dass sie sich mit ihm auch eine Ehe ohne Kinder vorstellen könnte.
Und nun sass dieses Mädchen vor ihm, seine Tochter, und wirkte eigentlich ganz heiter und zufrieden, sogar ausgesprochen lebensfroh.
“Aber warum hat deine Mutter mir nicht geschrieben, dass sie schwanger war? Sie hat doch meinen Brief erhalten? Und meine Adresse hatte sie auch.”
“Sie hat es mir erklärt. Sie wollte nicht, dass du nur widerwillig die Verantwortung für mich übernimmst und dich womöglich verpflichtet fühlst, sie zu heiraten. Sie meint, dass das keine gute Basis für eine Ehe gewesen wäre.”
“Und wie hast du mich überhaupt gefunden?”
“Das war Zufall. Wie leben nämlich auch seit einigen Jahren hier in Düsseldorf, und Mutti hat eines Tages deinen Namen im Branchenverzeichnis entdeckt.” Jetzt wurde sie ganz ernst: “Aber es gibt immer die Möglichkeit, einen Menschen wiederzufinden, nicht wahr? Wo auch immer er sich aufhält. Ich hätte sogar eines Tages ein Detektivbüro beauftragt.”
Er las die Entschlossenheit in ihren Augen, aber dann fiel sein Blick auf die Uhr. Er erklärte Jenny, wobei er sich ziemlich unwohl fühlte, dass heute sein zweiter Hochzeitstag war und seine Frau auf ihn wartete.
Jenny sprang sofort auf: “Oh, da möchte sich dich wirklich nicht länger aufhalten. Aber wäre es vielleicht möglich, dass wir uns wiedersehen? Bitte!”
Er überlegte kurz: “Selbstverständlich werden wir uns wiedersehen, ich gebe dir Bescheid, ja? Bitte, lasse mir deine Telefonnummer da.” Vielleicht ein Abendessen in einem Restaurant, dachte er. Aber zuerst musste er Ordnung in seine Gedanken bringen.
Als sie die Telefonnummer auf dem Blatt Papier notiert hatte, das er ihr mit einem Kugelschreiber zugeschoben hatte, lächelte sie ihn an: “Danke, ich freu’ mich darauf. Ich freue mich sehr darauf! ” Sie war aufgestanden, gab ihm rasch einen Kuss auf die Wange, und schon war sie fort.
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“Sie erwarten ein Kind, Frau Hardege.” Der Arzt sah Susanne über seine Brille hinweg lächelnd an.
Susanne empfand zuerst ein immenses Glücksgefühl, aber diese Freude erhielt gleich einen Dämpfer. Was würde Alex dazu sagen? Er, der keine Kinder in die Welt setzen wollte? Und wie konnte das überhaupt passieren? Sie nahm doch die Pille. Aber plötzlich erinnerte sie sich an eine gewisse Nacht. Sie musste etwas gegessen haben, das ihr nicht bekommen war und hatte sich erbrechen müssen. Ja, das war es wohl. Und sie erfuhr es ausgerechnet an ihrem zweiten Hochzeitstag! Wie sollte sie Alex bloss überzeugen, dass ein Kind glücklich sein konnte in dieser Welt? Dass das Leben früher auch nicht einfacher war?
Und nun sassen sich Alex und Susanne im Restaurant an einem hübsch gedeckten Tisch gegenüber, aber alles war anders, als sie es sich ausgemalt hatten. Sie vermieden es, sich anzusehen, sich zu berühren.
Susanne dachte traurig daran, dass Axel erst sehr spät nach Hause gekommen war. Er hatte sich entschuldigt, nicht einmal ein Geschenk für sie zu haben. Er wollte ihr die Ohrringe schenken, die sie so in einem Schaufenster bewundert hatte, aber der Juwelier hatte schon zugehabt. Ein Geschäftsbesuch sei ihm dazwischen gekommen, hatte er ihr erklärt, aber es klang nicht sehr überzeugend.
Aber auch Susanne, die immer so fröhlich, so ausgeglichen war, wirkte abwesend. Mal sah sie ihn lächelnd an, schien etwas sagen zu wollen, um gleich darauf den Blick abzuwenden und die Lippen fest zu verschliessen.
Axel hob das Glas: “Auf unseren zweiten Hochzeitstag. Ich liebe dich, Susanne.” Es klang seltsam hilflos.
“Ich liebe dich auch, Alex.” Ihre Stimme war leise, fast beschwörend.
Er trank auf einen Zug das halbe Glas aus, sie dagegen stellte das ihre nach einem kleinen Schluck wieder auf den Tisch zurück. “Alex, bist du eigentlich immer noch gegen ein Kind?” fragte sie vorsichtig.
Er zuckte zusammen. Warum diese Frage? Wusste sie womöglich von Jenny? Schroffer, als er beabsichtigt hatte, antwortete er: “Aber Susanne, ich dachte, wir wären uns da einig gewesen.” Und gleichzeitig kam er sich schäbig vor. Er war doch längst Vater!
Susanne schwieg, erschrocken über seine heftige Reaktion. Aber beim Anblick des roten Fleisches auf ihrem Teller fühlte sie plötzlich Übelkeit in sich aufsteigen. Sie erhob sich rasch, murmelte eine Entschuldigung und stürzte zur Toilette.
Als sie endlich wieder zurück war, fragte er besorgt: “Geht es dir gut, Susanne?”
Sie log nicht einmal, als sie erwiderte: “Ich habe grässliches Kopfweh. Am liebsten würde ich nach Hause gehen und mich ins Bett legen. Es tut mir so leid, Alex, unser Hochzeitstag …” Am liebsten hätte sie geweint. Dieser Abend war eine einzige Katastrophe. Und doch fühlte sie diese immense Zärtlichkeit in sich, die Liebe zu dem Kind, das sie trug, und dessen Vater Alex war, der Mann, den sie aus tiefstem Herzen liebte, so sehr, dass sie sich bereit erklärt hatte, auf Kinder zu verzichten …
Er griff nach ihrer Hand und drückte sie fest. Die Berührung war so zärtlich, richtig etwas verweifelt, dass sie ihm fast alles gesagt hätte, aber schon winkte er den Ober heran, erklärte, zahlte und holte Susannes und seine Weste …
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Am nächsten Morgen summte gegen elf das Telefon auf seinem Schreibtisch. Axel hob ab und meldete sich.
“Hier ist Brigitte. Störe ich dich? Deine Sekretärin war so nett, mich durchzustellen, ich habe ihr gesagt, dass ich eine Freundin wäre.”
Brigitte! Was sagt man in einem solchen Fall? Wusste sie von Jennys Besuch? Er bemühte sich um einen neutralen Ton: “Selbstverständlich stört du mich nicht. Wie geht es dir?”
“Gut”, erwiderte sie heiter. “Jenny hat mir von eurer Begegnung erzählt. Ich hoffe, der Schock war nicht zu gross für dich? Vielleicht hätte ich dich vorbereiten sollen?”
“Mach dir keine Sorgen”, erwiderte er schwerfällig. “Für dich muss es ein noch grösserer Schock gewesen sein, als du merktest, dass du ein Kind von mir erwartetest.”
“Es ist ja alles gut gegangen. Verzeih, dass ich damals nicht auf deinen Brief geantwortet habe, aber du hattest mir ja lang und breit erklärt, dass du keine Kinder in diese böse Welt setzen wolltest. Ich wusste nicht, wie du es aufgenommen hättest. Und dann hatte ich Glück, als ich meinem Cord begegnete. Ja, ich hatte Glück.” Ein fröhliches, zärtliches Lachen: “Ich denke gern an unseren Sommer zurück, Alex. Du warst meine erste Liebe. Ich fand dich nur etwas ernst. So, jetzt möchte ich dich aber nicht länger aufhalten. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder?”
“Das wäre nett. Grüss deinen Mann von mir. Ich danke ihm für alles, was er für Jenny getan hat.”
“Er hat es gern getan. Die beiden vergöttern sich geradezu, zumal sie unsere einzige Tochter ist. Tschüss, Alex. Und bitte, grüsse deine Frau.”
“Danke, das werde ich tun. Tschüss, Brigitte.”
Er legte auf - und sah jetzt erst, dass Susanne in der Tür stand. Sie war sehr blass.
Er sprang auf, führte sie zum Sessel, holte ein Glas Wasser.
War sie schon lange da? Was genau hatte sie gehört? Es wurde allerhöchste Zeit, dass er ihr alles erzählte. Hoffentlich war es nicht schon zu spät …
Erst als er geendet hatte, wagte er es, sie wieder anzusehen. Sie lächelte. Er verstand überhaupt nichts mehr.
“Wundert es dich gar nicht, dass ich hier bin?” seufzte sie. “Ich muss dir nämlich auch etwas sagen, und so fällt es mir leichter: Wir werden ein Kind haben, Axel. Ich bin schwanger.”
Erst stand er ganz reglos da, dann ging langsam ein Lächeln über sein Gesicht: “Dein Unwohlsein gestern, das war es also?”
“Richtig. Jetzt trifft es dich ein zweites Mal. Ist das sehr hart?”
Er dachte an seine fröhliche Tochter und musste unwillkürlich lächeln: “Nein, und ich bin selbst darüber erstaunt. Wahrscheinlich fehlte mir bis jetzt nur ein bisschen Optimismus und Lebensfreude.”
“Noch etwas”, sagte sie weich, “ich würde Jenny sehr gern einmal kennenlernen. Am besten laden wir sie zu uns nach Hause ein, vielleicht mit Brigitte und Dr. Heise zusammen?”
“Das würdest du tun, Susanne? Du bist wirklich die Frau meines Lebens. Vielleicht sollten wir auch gleich ein Geschwisterchen für unser Baby einplanen? Es ist doch nicht schön, wenn ein Kind allein aufwächst.”
Nun lachte sie frei heraus “Es sind immer die Menschen, die zuerst dagegen sind, die plötzlich nicht genug bekommen können, das ist schliesslich bekannt!” Sie setzte sich auf seinen Schoss und schlang die Arme um seinen Hals: “Ich bin so froh darüber, und ich liebe dich. Alex, ich liebe dich von ganzem Herzen.”
“Ich dich auch, Liebste. Wartest du auf mich? Ich sage nur schnell Frau Wilkens Bescheid, dass ich heute frei nehme und nicht zu erreichen bin. Wir werden unseren Hochzeitstag nachholen, Susanne. Zuerst bekommst du deine Ohrringe, dann holen wir unser Essen nach – das heisst, wenn es dir gut genug geht.”
“Kein Problem, gestern war ja alles wie verhext, aber jetzt fühle ich mich richtig gut.” Und um es ihm zu beweisen, gab sie ihm einen langen, liebevollen Kuss …
ENDE