Ein hochgeschlafenes Avatar

Bislang habe ich zur so genannten K-Frage oder K-Entscheidung geschwiegen. Dies ist als Weigerung zu verstehen, diesem Schattenspiel einen irgendwie gearteten Anschein von Realität zu verleihen. Hinter der Leinwand ist alles nur Pappe. Und welche Namen kandidieren, hat mit der Wahrheit nichts zu tun. Die lautet nämlich so: K-Frage entschieden! Der Neoliberalismus kandidiert erneut. Er schickt zwei Kandidaten ins Rennen. Die SPD versucht es nochmals mit Schröder, nennt ihn aber nun Steinmeier - Verzeihung: Steinbrück. Man kommt an Namen und Inhalten so leicht durcheinander. Namen halt, Schall und Rauch im Falle dieser Sozialdemokratie.
Steinig wird es allemal. Ich habe mich lange zurückgehalten, die K-Entscheidung auch nur wahrnehmen zu wollen. Nur was habe ich erwartet? Das Theater um diese selbstbewusst gemachte SPD, die dem Stimulus Steinbrück seltsame Zuckungen verdankt, ist jedenfalls unerträglich.

Steinbrück ist jene Figur des neoliberalen Theaters, der sich für die Deregulierung der Finanzmärkte aussprach. Dieser heute als Experte geltende Kasperle hat noch kurz vor Kenntlichmachung der Wirtschafts- und Finanzkrise erklärt, dass es keine Aussichten auf Krise gebe - alles laufe grandios; es gebe keinen Reformbedarf, kein Umdenken sei notwendig. Nun erzählt dieser Kerl aber, dass die Banken Investment- und Privatkundengeschäft trennen müssen - was nicht falsch ist. Erinnert an das goldene Zeitalter, von dem unter anderem Krugman und Reich schrieben; damals ist gemeint, als der US-amerikanische Staat noch vorgab, dass beide Bereiche nicht gemixt werden dürften. Bis die Reaganomics kamen und deregulierten. Steinbrück wirkt wie ein zum Brandherd geholter Feuerwehrmann, der noch rechtzeitig den Brandbeschleuniger versteckt und sich die rußigen Hände gewaschen hat.
Es war jener nasalrhetorisierende Typ, der mal sinngemäß meinte, dass sich Politik ausschließlich um die zu kümmern habe, die Leistung bringen, die einer Arbeit nachgehen, die also ordentlich und anständig sind. Steinbrück ist die steinerne Brücke, die man dem Mittelschichtstheorem schlägt - das ist jenes New Labour-Konstrukt, welches Owen Jones in seinem Buch so blendend entblätterte. Und ausgerechnet der soll nun die Schere zwischen Reichtum und Armut zusammendrücken?
Wenn es unbedingt ein Agendist sein musste, hätte es mehrere Optionen gegeben - so gut wie alle, die Schröders Kurs unterstützt oder wenigstens toleriert haben. Der Name ist also egal, der Griff ins Becken potenzieller Kandidaten wäre immer ein Griff in die Scheiße gewesen - die K-Frage war von Anfang an nur die Frage, wie tief man in das K, das für Kacke steht, eintauchen muss, um einen Kandidaten herauszuholen, der den eingeschlagenen neoliberalen Kurs mit wehenden Fahnen vorantreiben wird.
Steinbrück hat sich indessen glänzend hochgeschlafen. Er hat geschlafen, als die Probleme augenscheinlich genug wurden, um dem entgegen zu lenken; er hat geschlafen, als seine Partei unter Schröder die letzten Zuckungen aus ihrer Zeit aus der Arbeiterbewegung einstellte; er hat geschlafen, als die Agenda 2010 sich anschickte, die Schere zwischen Reichen und Armen so sehr auseinanderzureißen, dass die mittig angebrachte Schraube abzureißen drohte; er hat geschlafen, als die Spekulativwirtschaft an den Rand der Katastrophe wies. Wer so viel geschlafen hat, der hat sich wahrlich dazu hochgeschlafen, Kanzlerkandidat im real existierenden Neoliberalismus zu werden.
Man konnte dieser SPD nie trauen - als Gabriel den Vorsitz übernahm, las man etwas davon, er wolle die Partei neu ausrichten. Von den alten Seilschaften hat man sich nie getrennt. Steinmeier leitet die Bundestagsfraktion weiterhin, Müntefering firmiert als graue Eminenz und Steinbrück wird nun eben Kandidat. Nichts ist neu, nichts war je neu - zur Agenda 2010 stand man ohnehin, wenn auch "mit Bauchschmerzen" und mit Beteuerungen, man habe es sozial beabsichtigt, nur werde alles falsch ausgelegt und verstanden.
„Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um sie – und nur um sie - muss sich Politik kümmern." Ich habe das Zitat ausgekramt. Was für eine Gefahr für Arbeitslose und chronisch Kranke, was für eine Bedrohung für Rentner und Pflegebedürftige. Und nur um sie! Das klingt nach Kriegserklärung, das klingt nach einer Politik, die an Profite und Effizienz gekoppelt ist, an Kosten und an Nutzen, an Wertschöpfungsmaximen und Wertlosigkeitsattesten - das klingt nach feinster neoliberaler Agenda.
Er zitierte gerne die Selbstheilungskräfte des Marktes, sprach von Privatisierungen. Andere auch, so ehrlich muss man sein. Und geschmacklos ist er wie andere auch. Wie man ihn nun feiert und hochleben läßt, kann nur heißen, dass der Neoliberalismus in Bierlaune ist. Zudem ist die sozialdemokratische (Un-)Fähigkeit, Menschen zu Rettern zu erklären, die vorher noch ins Unrettbare stießen und anleiteten, mit Worten fast nicht mehr zu beschreiben. Es ist so müßig, immer wieder Orwell zu bemühen.
Die K-Frage ward also vor einer Woche genau entschieden. Der Neoliberalismus kandidiert folglich doppelt. Das war zu erwarten. Er kann zwischen Männlein und Weiblein wählen, zwischen hanseatischer Schnodderigkeit und uckermärkischem Charme, zwischen Anzughosen und Hosenanzug. Nur in den Inhalten gibt es keine Wahlmöglichkeiten. Sag' da noch einer, der Neoliberalismus sei alternativlos. Er bietet sie doch, die Alternativen, man muss nur mal genau hinsehen, er bietet für jede Lebenslage und jede Volkslaune ein geeignetes Avatar, in das er hineinschlüpfen kann. Steht dem Wahlvolk der Sinn nach Hosenanzug, gibt es dazu ein Avatar - möchte es ein loses Mundwerk in kantiger und unfreundlicher Hülle, bietet es einen Steinbrück an - selbst wenn es mal einen grünen Kanzler wollte, kennt es Avatare, die er derzeit noch in Stuttgart parkt.
Die K-Frage ist eine A-Frage. Die Frage nach dem Avatar. Damit eigentlich nicht der Rede wert - deshalb habe ich zunächst geschwiegen. Man kann ja dazu nichts sagen, was politisch korrekt wäre, weil diese politische Korrektheit völlig inkorrekt ist. Man kann nur sagen, was Steinbrück nicht ist, wenn man heute so liest, was er sein soll. Denn dass er neoliberal ist, ist keine Option in dieser Öffentlichkeit, denn der Neoliberalismus exitiert gar nicht - er ist und bleibt lediglich das Hirngespinst von halluzinierenden Linken ...

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