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Verwundert rieb sich die Weltöffentlichkeit die Augen, als Japans Regierung sich angesichts des Desasters in Fukushima weigerte, drei anerkannte russische Nuklearexperten, die bereits bei der Tschernobylkatastrophe wertvolle Erfahrungen hatten sammeln können, auch nur über die Landesgrenze zu lassen. Was hat Japans Regierung zu verbergen? Inzwischen steht wohl fest, Japan will die Bombe.
Viele Tonnen Plutonium stehen schon dafür bereit, genauso wie geeignete Trägersysteme, Geldmittel und Know How. Und Japan will noch mehr davon. Seit Jahren bereits produziert und hortet die Insel laufend neues, waffenfähiges Plutonium, ausreichend für abertausende von Atomsprengköpfen. Es würde nur wenige Wochen dauern, um Japan von einer reinen Wirtschaftsmacht in eine Atommacht zu verwandeln. Was tatsächlich in den brodelnden Abklingbecken Japans auf seine Freisetzung lauert, könnte sich daher möglicherweise zur größten Umweltkatastrophe der Menschheitsgeschichte auswachsen.
Wie weit ging Chinas und Amerikas Opposition gegen Tokios umstrittenes Nuklearprogramm?
Wolfgang Eggert – Japan hat die drittgrößte Atomenergieproduktion nach den USA und Frankreich. Über 40% seiner Elektrizität werden mit Kernenergie gespeist. Weniger bekannt ist, dass Tokio damit auch in den Besitz bedeutender Mengen von Plutonium gelangt; bereits im Dezember 1995 belief sich der Bestand auf 4.7 Tonnen. Dieser Zusammenhang birgt einigen Zündstoff, denn Japan besitzt in Rokkasho auch einen Betrieb zur Anreicherung von Uran – einer von zwei Wegen zum Bau von Atomwaffen.
Plante das Land in Fernost den Schritt zur militärischen Nuklearmacht, so stünden die dafür notwendigen ballistische Trägersysteme Gewehr bei Fuß: Denn Japan entwickelte zeitgleich mit der Errichtung der Aufbereitungsanlage im Rahmen eines 15 Billionen Yen-Programms die dreistufige Rakete M-V (auch M-5 und Mu-5). Bislang zivil zur Einbringung von Satelliten in den Orbit genutzt, wären die Raketen auch im Rahmen der Streitkräfte leicht umrüstbar. Festtreibstoffraketen wie die M-V sind bei militärischen Verwendungen das „Mittel der Wahl“, da sie über lange Zeiträume gelagert und im Bedarfsfall ebenso unverzüglich wie verlässlich gestartet werden können. Stimmigerweise verwiesen japanische Abgeordnete auf Erfordernisse der nationalen Sicherheit, als 2003 im Zuge der Transferierung der Entwicklungsgesellschaft Institute of Space and Astronautical Science (ISAS) in die Japan Aerospace Exploration Agency zugleich die Umrüstung auf Flüssigbrennstoffbeladung zur Diskussion stand.
Yasunori Matogawa, ISAS-Chef für außerbetriebliche Angelegenheiten, kommentierte in diesem Zusammenhang: „Es hat den Anschein, dass die Hardliner zu Fragen der Nationalen Sicherheit im Parlament ihren Einfluss ausweiten, ohne dabei auf große Kritik zu stoßen. … Ich denke, wir bewegen uns in einen sehr gefährlichen Zeitabschnitt. Wenn Sie die gegenwärtigen äußeren Umstände in Betracht ziehen und die Bedrohungslage durch Nordkorea, so ist das beängstigend.“
Die Atomfrage ist in Japan das wahrscheinlichste sensibelste politische Thema. Das Land war gegen Ende des Zweiten Weltkriegs der erste und bis heute offiziell einzige Staat, der mit Kernwaffen angegriffen wurde. An den Folgen der amerikanischen Bombeneinsätze gegen die Städte Hiroshima und Nagasaki starben binnen kurzer Zeit eine Viertelmillion Menschen. Der desaströsen Erfahrung wegen ließ sich Tokio bisher erfolgreich in den Verzicht derartiger Waffensysteme drängen. Gleicher Grund, anderer Spin, konträre Entwicklung: Die Befürchtung, noch einmal einem solchen Angriff schutzlos ausgeliefert zu sein ließ in der politischen und militärischen Führung des Inselstaats immer wieder die Forderung nach nuklearem Abschreckungspotenzial laut werden. Gerade die atomare Aufrüstung der kommunistischen Nachbarn China und Nordkorea wurden als tickende Zeitbombe verstanden, der sich Tokio früher oder später zu stellen hatte. „Pläne und Know How für eine japanische Atombombe existieren ohne Zweifel, erst recht Bestände von mehr als 20 Tonnen Plutonium – ausreichend für 4000 nukleare Sprengköpfe“, textete am Vorabend von George W. Bushs Wüstenstürmen im Jahr 2003 die deutsche „Welt“. Rokkasho und das M-V Programm waren beredte Zeugen dieser Feststellung.
Dass die Zeichen der Zeit erkannt wurden, offenbarte zwei Jahre später ein „offener Brief“, mit dem sich Spitzenvertreter aus der militärisch-politischen Welt Amerikas an ihren asiatischen Hauptverbündeten wandten. Überschrift „Japan: der Atomwaffensperrvertrag braucht Verstärkung. Ein Aufruf an Japan den Atomwaffensperrvertrag durch unbefristete Aufschiebung des Betriebs der Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho zu kräftigen. Am 1. Dezember 1997 erklärte Japan, sein nuklearer Brennstoffkreislauf basiere auf „dem Prinzip ´keine Plutoniumanhäufung´. Demgegenüber war Japans Plutoniumarsenal bis Ende 2003 von 24,1 auf 40,6 Tonnen gewachsen – genug für 5000 nukleare Sprengköpfe (5,4 Tonnen lagern gegenwärtig in Japan, der Rest wird für Japan in französischen und britischen Wiederaufbereitungsanlagen bereit gehalten). Ungeachtet der Existenz dieses enormen Plutoniumbestands, planen Japans nukleare Werke für 2007 die Betriebsaufnahme einer neuen Wiederaufbereitungsanlage in Rokkasho und einen Testlauf mit verbrauchtem Kernbrennstoff im Dezember 2005. Wenn die Anlage von Rokkasho („die erste Wiederaufbereitungsanlage in einem Atomwaffenfreien Land, die über industrielle Maßstäbe verfügt“) nach Plan läuft, so werden dort 8 Tonnen Plutonium im Jahr generiert werden, genug, um 1000 Bomben herzustellen.
Der Betrieb von Rokkasho ist darauf angelegt, Japans heimischen Plutoniumbestand erheblich zu steigern, und in Japan die Ausführung des konstatierten Ziels „kein Plutonium Mehrertrag“ auf Jahre hinausschieben. Schlußendlich würde der Betrieb von Rokkasho angesichts der großen japanischen Vorräte an überschüssigem Plutonium ernsthafte Zweifel an Japans Verpflichtung wecken, den Atomwaffensperrvertrag zu stärken.
Dass der Schlusssatz „Sinn und Zweck“ des Papiers war, dass Washington hier gespielt oder echt seine Sorge darüber zum Ausdruck brachte, dass die Japaner heimlich an der Atombombe arbeiteten, demonstriert die Überschrift ebenso wie die Namen der Unterzeichner. Abgesehen von einigen wenigen unabhängigen Idealisten entstammen sie alle dem amerikanischen Regierungsapparat. Kompetenzfokus: Militärstrategie, Geheimdienste, Rüstungskontrolle, Sicherheit, Technologie, Verteidigung, Abrüstung, Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags. Die scheinbare Dringlichkeit des Aufrufs wird durch die Hochkarätigkeit der Unterzeichner zusätzlich gestützt. So finden wir Namen wie:
Ashton Carter, Stellvertretender Verteidigungsminister (Spezialgebiet Internationale Sicherheitspolitik) unter Clinton, Staatssekretär im Aussen- und Verteidigungsministerium unter Bush II und Obama
Robert McNamara, nach Donald Rumsfeld der US-Verteidigungsminister mit der längsten Amtszeit und der Verteidigungsminister mit der längsten Amtszeit an einem Stück. Weltbankpräsident unter Nixon, Ford und Carter
William J. Perry, unter Carter Staatssekretär für Verteidigungsforschung- und Entwicklung, unter Clinton Verteidigungsminister
Henry S. Rowen, unter Reagan Vorsitzender der Geheimdienstzentrale National Intelligence Council, unter Bush Senior im Verteidigungsministerium Staatssekretär für internationale Sicherheitspolitik.
Ein demonstrativer Aufruf in dieser öffentlichen Form ist ein Schritt „beyond diplomacy“. Die Art des Vorgehens legt nahe, Pressionen hinter den Kulissen hätten nicht gefruchtet, und Washington sei auf dem herkömmlichen, direkten Botschaftsweg durch die Japaner frustriert worden. Und dass man sich daher entschieden habe, den ersten Schritt zu einem öffentlichen branding zu gehen. Für politisch unbeleckte Betrachter mag sich das alles noch recht unspektakulär lesen, doch Diplomaten und Regierungsvertreter, die mit den Usancen ihres Berufsstands vertraut sind, wittern hinter der „Besorgnis“, die das Papier zum Ausdruck bringen soll, zwangsläufig eine gehörige Portion „Verärgerung“ der Gegenseite. Und in ihr eine Folgenkette. Zwar findet sich nirgends eine direkte Drohung, aber die militärische Schlagseite der Unterzeichner soll nichts anderes als Druck vermitteln. Eine ganze Reihe der Unterzeichner war in der Vergangenheit zentral in die Vorbereitung und Durchführung von Kriegen involviert, welche die USA führten, weil sie ihre Interessen tangiert sahen. Sie repräsentieren das „starke Amerika“, den Weltpolizisten, der seine Einflußclaims global gesteckt hat und bereit ist, dafür notfalls auch mit Gewalt einzustehen. Hierzu ergänzt sich passgenau das „japanische Profil“, nach dem die Signatare offenkundig ausgewählt wurden.
Robert McNamara, der vielleicht namhafteste unter ihnen, entwickelte im Zweiten Weltkrieg mathematische Modelle für die Bombardierungen rein ziviler japanischer Städte mit Brandbomben mit dem angestrebten Effekt, deren Wirkungskraft bei gleichbleibenden Kosten zu erhöhen. Andere arbeiteten zur selben Zeit in Leitfunktionen am Bau jener Atombomben, die, nachdem Tokio bereits Kapitulationsfühler ausgestreckt hatte, Hiroshima und Nagasaki in Schutt und Asche legten. Selbst wenn man in Betracht zieht, dass McNamara sich später in der Atomdebatte vom Saulus zum Paulus entwickelte, so zeichnete er dennoch in seiner Amtszeit als Verteidigungsminister für die nukleare Hochrüstung der USA hauptverantwortlich. Von wenigen Ausnahmen abgesehen zeigt der offene Brief eine Phalanx von kalten Kriegern, die sich in der Vergangenheit bereit gezeigt hatten, ihre Konkurrenten mit weitgreifenden Mitteln niederzuwerfen und Amerika mit Massenvernichtungswaffen zu rüsten, um dann zu „erkennen“, dass diese Waffen beschränkt gehören – aber natürlich nur in den Arsenalen anderer Mächte. Aus dem Blick jedes gewöhnlichen Japaners muss sich hierüber das Bild eines zu Boden Geschossenen aufdrängen, dem der Schütze verwehrt, selbst zur Waffe zu greifen, mit der Begründung, dass ein solches Vorgehen ja doch verwerflich sei.
Alles in allem ein klarer Affront, der deutlich zu machen scheint, Washington habe hier einen „deutlichen Schuss gegen den Bug“ setzen wollen. Der aber verwirrender Weise gleichsam nahelegt, die Führungsmacht Nr.1 sei bar jeglichen Verständnisses für Geschichte (mit Blick auf die Vorgeschichte von Pearl Harbor sogar die eigene) und Nationenpsychologie; ist doch ein Vorgang wie dieser im ehrversessenen Japan, wo Gesichtsverlust an Selbstmord grenzt, am allerwenigsten dazu angetan, befolgt zu werden. Dies zumal das Pentagon hier geradezu herausfordernd zweierlei Maß anzulegen schien. Während es einem jahrzehntelangen Verbündeten, der in diversen Krisensituationen Amerika mit Material, Soldaten oder Finanzmitteln zu Seite stand, nukleares Rüstungspotential „verwehrte“, ließ es zur gleichen Zeit konfliktanheizend zu, dass dessen kommunistischen Nachbarn – erst China und dann Nordkorea – sich exakt dieselben Waffensysteme zulegten. Der „offene Brief“ an Tokio stammt vom Sommer 2005. Im Oktober 2006 zündete Pjöngjang nach jahrelangen Vorarbeiten (von der die Vereinigten Staaten wie auch Japan zweifelsohne wussten) seine erste Atombombe: Regional eine mehr als zweitrangige Bedrohung.
Die Vereinigten Staaten, die, mit einem atomaren Schutzschild versehen, jede Interkontinentalrakete vor ihren Grenzen abfangen können, mag ein stalinistisch-militaristischer Atomstaat am anderen Ende der Welt nicht schrecken. Doch die koreanische Halbinsel liegt lediglich Kilometer von Japan entfernt. Ein hier permanent mit dem Säbel rasselnder „Großer Führer“, der sich nuklear rüstet, während er seine zivilen und militärischen Raketen mit Vorliebe über japanischem Luftraum testet, erzwing selbst in einer Harakiriaffirmen Nation eine gleichgestellte Gegenreaktion. Das wissen Strategen nicht nur außerhalb der USA.
Am 9. Oktober 2006 führte Nordkorea seinen unterirdischen Atomtest durch. Am 10. Oktober zitierte Südkoreas Nachrichtenagentur Yonhap einen nordkoreanischen Regierungsmitarbeiter: „Wir hoffen, dass die Lage geklärt ist, bevor es zu einem unglücklichen Zwischenfall kommt und wir eine Atomrakete abfeuern.“ Japans Antwort erfolgte postwendend: „Wenn ein Nachbarland Atomwaffen hat, kann man es nicht ablehnen, die Frage der nuklearen Bewaffnung in Erwägung zu ziehen“ zitierte die Nachrichtenagentur AP den Außenminister (und späteren Premier) Taro Aso aus Tokio. Nun ist die nukleare Eigenbewaffnung unter der japanischen Bevölkerung alles andere als ein populäres Thema, was mit auf den Umstand zurückzuführen ist, dass die Öffentlichkeit nach dem Weltkrieg mittels eines schulisch und medial verordneten Re-Education-Programms erfolgreich dazu erzogen wurde, „nationale Stärke“ als Gefahr (also Schwäche) wahrzunehmen. Die Führung musste daher ihre Ambitionen früher oder später einem breiteren Orientierungsprozess zuführen. Die politischen Rahmenbedingungen hierzu erschienen mit dem Nordkoreaschock geradezu ideal. Am 15.Oktober meldete das deutsche Nachrichtenmagazin Focus, dass der Vorsitzende des Ausschusses für politische Grundsatzfragen der japanischen Regierungspartei LDP, Shoichi Nakagawa, in einer Fernsehsendung die Diskussion darüber gefordert hatte, ob sich das Land nach Nordkoreas Atomtest selbst mit Nuklearwaffen schützen sollte. „Wir müssen eine Lösung finden, die verhindert, dass Japan angegriffen wird“, sagte Shoichi Nakagawa. Es gebe Argumente, dass Atomwaffen eine Option dafür wären,… Japans pazifistische Verfassung schließe eine solche Option nicht aus.
Am Folgetag schob das gleiche Blatt – in der Tradition der deutschen Lizenzpresse, die offizielle Linie US-amerikanischer Außenpolitik selbst unter Aufbietung von Absurditäten mitzutragen – angesichts der gerade gezündeten Nordkoreabombe hinterher: Am Sonntag machte Japan seinen Nachbarn mal wieder Angst vor einem nuklearen Rüstungswettlauf in Ostasien. … Wie groß ist die Gefahr einer Atommacht Japan wirklich? Die Antwort vorweg: Technisch ist der Schritt für Japan kein Problem, denkbar ist er auch – aber nicht sofort.
Die Angst vor der Atommacht Japan ist keineswegs neu. Seit Jahrzehnten schon sorgen sich China und Korea, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft ihr riesiges ziviles Atomprogramm zum Bombenbau nutzen könne. “Technisch ist das keine Frage von Monaten, sondern Wochen”, bekennt ein hochrangiger Bürokrat. Denn Japan hat seit dem Start seines zivilen Atomprogramms in den 60er-Jahren nicht nur mehr als 40 Tonnen Plutonium angehäuft, aufbereitet in Europa. Nun hat sich das Land sogar als erster Nicht-Atomwaffenstaat eine atomare Wiederaufbereitungsanlage gegönnt.
Fortsetzung folgt
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