© Liane Schneider, Carlsen Verlag GmbH ISBN 3551086605
Kennen Sie diese magischen Momente, in denen man glaubt, die Welt bliebe stehen und es macht Klick im Kopf? Und man weiss sofort, dieser eine Augenblick, der wird bleiben?
Gestern war für mich so ein Augenblick, denn mein Sohn hat im Fussball für seine Mannschaft sein erstes Tor geschossen – und es war auch noch ein ganz wichtiges…
Aber der Reihe nach: Max kickt mit seinen 6 Jahren in der U8 der JSG Elze/Mehle. Eigentlich ist er dafür noch zu klein, doch es geht nun einmal nicht anders: Hintergrund ist, dass einige der besonders motivierten Eltern (…) es bei unserer Mannschaft und den beiden Trainern Anna und Marco wohl nicht mehr ausgehalten haben. Bei ihnen war der Leistungsdruck für ihre Kinder nicht gross genug, die Ergebnisse stimmten nicht. Jaja, Leistung zählt eben, man will ja, das aus seinen Kindern mal was Besseres wird als aus den Eltern, oder?
© Verena Geitner-Ponier
Doch wurden die kleinen Spieler von den leistungsorientierten Eltern nicht etwa frühzeitig abgemeldet, sondern man holte einfach in einer Nacht- und Nebelaktion die Spielerpässe ab und ging zu einem anderen Verein. So ist das wohl heute, wen interessiert schon Mannschaftsgeist, Verlässlichkeit und Respekt vor denjenigen, die sich ehrenamtlich engagieren – jeder ist sich selbst der Nächste…
Folge dieser Entwicklung war, dass nun 2 Mannschaften gemeldet waren – und für beide sind es einfach zu wenig Kinder; und so blieb nichts Anderes übrig, als die Kleineren mit zur U8 zu nehmen – und für eine vernünftige Einstellung in den paar Trainingstagen blieb danach einfach keine Zeit.
Nun, der Frust bei den Trainern, dem Verein und natürlich auch den übriggebliebenen Spielern und häuslichen Betreuern war gross – und die Ergebnisse wurden auch nicht besser durch diese Situation.
© Verena Geitner-Ponier
Und so kann man sich vorstellen, wie die Punkteserie anfing: ein ziemlich unkoordinierter Haufen aus Elze/Mehle verlor das erste Punktspiel mit 13:1, das zweite Punktspiel ging mit 7:1 nach hinten los… da gab es ganz schön traurige Gesichter unter den kleinen Nachwuchs“stars“.
Aber gestern sollte nun Alles anders werden, und die äusseren Bedingungen waren schon mal positiv: Petrus meinte es gut mit den Fussballern, wenn auch temperaturmässig fast zu gut, denn zu Spielbeginn um 12:00 Uhr waren es fast 30 Grad heiss. Der Termin selber war ebenfalls äusserst günstig, denn endlich konnten auch wir Väter mal mit zum Platz kommen, kannten wir doch (weitgehend) die Spiele nur aus Erzählungen, denn diese hatten bisher immer während der Woche statt gefunden.
© Verena Geitner-Ponier
Leider fing es an wie in den beiden vorhergehenden Partien: schnell lagen die Mädchen und Jungen von der gegnerischen JSG Leinetal aus Betheln mit einigen Toren vorne – doch dann drehte Hadi auf. Hadi war mir schon als bester Fussballer der Mannschaft angekündigt worden, und ich dachte, er sei ein recht grossgewachsener Junge und deswegen so gut. Aber im Gegenteil: Hadi ist ein kleiner, schmächtiger Bengel, aber wahnsinnig schnell und ein Dribbelkünstler vor dem Herrn. Und er hat das, was man nicht lernen kann: er will ins Tor schiessen, immer! Torriecher nennt man das wohl… Und er schoss dann auch ins Tor, und zwar zum 1:4 Anschlusstreffer.
Von da an änderte sich etwas, man merkte es richtig, wie ein Ruck durch unsere Kurzen ging: Torfrau Lilly, die sonst immer ein bisschen unkonzentriert wirkte und mit ihren Abwehrleuten schimpfte, machte plötzlich Ron-Robert Zieler Konkurrenz und hechtete vor ihrem Tor den Bällen nach, die beiden Innenverteidiger Jean Luc und Simon gaben den Emanuel „Mad Dog“ Pogatetz und den Karim Haggui, Jan und Arian spielten die gegnerischen Verteidiger schwindlig. Na, und Hadi machte das, was alle so sehnlichst von ihm wünschten: die notwendigen Tore, und zwar bis zum Ausgleich.
© Katharina Körbes-Scherer
Zur Halbzeit stand es also 4:4, und unsere Kinder hatten knallrote Köpfe, doch nicht nur von der Hitze und der Anstrengung, sondern vom Feuer des Erfolgs: sie hatten nicht die Kiste voll bekommen, sie konnten hier tatsächlich gewinnen, jeder kleine Kämpfer wusste das. Auf der Gegenseite war die Anfangseuphorie, die man vor dem Spiel noch so offen zur Schau gestellt hatte, einer ziemlichen Ernüchterung gewichen: selbst der pubertierende Bube, der am Anfang noch lautstark über die „Elzer, die jetzt weggehauen werden,“ gelästert hatte, war sich seiner Sache nicht mehr so sicher.
Der gegnerische Trainer gab dann in der Pause seine vermeintliche Siegestaktik aus: „Alle auf die 7 und die 10″, so war von ihm zu hören: doch diese erwies sich als falsch; die 7 war natürlich Hadi, den man jetzt nicht mehr an den Ball kommen lassen wollte, die „10″ allerdings war mein Maxi, und der hatte in der ersten Halbzeit das „Phantom“ gegeben, so wie Marek Mintal zu seinen besten Zeiten in Nürnberg: er lief sehr viel und sehr schnell, und er lief sich auch sehr viel frei, aber meistens so frei, dass die anderen ihn gar nicht sahen – und wenn er dann doch mal am Ball war, dann erwies er sich als zu zweikampf- und abschlussschwach. Bis zu diesem Zeitpunkt war er also nicht gerade der Matchwinner (aber das konnte ja noch kommen…).
© Katharina Körbes-Scherer
Allerdings war die Traineranweisung für uns von grossem Vorteil: denn, wie Kinder in dem Alter nun mal sind, sie setzen die Aufforderungen ihrer Eltern, Lehrer und Trainer sofort, widerspruchslos und vollständig um…. jedenfalls im Leinetal. Mit Beginn der zweiten Halbzeit waren Hadi und Maxi ständig von Gegnern umringt, und unsere anderen Jungs hatten plötzlich Platz und wurden kaum noch unter Druck gesetzt. Jetzt zeigte sich, dass gerade unser kleinster Spieler, Nod, ungeahnte Dribbelkünste besitzt, zusammen mit seiner Ballsicherheit verlagerte er zusammen mit den anderen das Spiel deutlich in die gegnerische Hälfte. und plötzlich lag Elze/Mehle 6:4 in Führung, wobei noch ein Tor Hadi beisteuerte (der auch von der ihn nun stets umringenden Kinderschar nicht zu stoppen war) und das andere Jan, der den Ball wirklich sehenswert ins Tor wuchtete.
Doch die Dramatik sollte noch zunehmen: eine kleine Unachtsamkeit in der Abwehr und schon stand es 6:5, wenig später landete ein Freistoss zum 6:6 in Lillys Tor – sie hätte tatsächlich nicht nur so spielen, sondern auch noch so gross sein müssen wie Ron-Robert, um den Schuss zu halten…
Von da an war es für sämtliche „Supporter“ kaum noch zu ertragen, ein besserer Kommentator als ich hätte jetzt wohl davon gesprochen, dass das Spiel hin- und herwogte, und tatsächlich war es so – wobei die eindeutig besseren Chancen auf unserer Seite lagen; allerdings lief auch der gegnerische Torwart, der vorher einen noch wesentlich verträumteren Eindruck gemacht hatte als Lilly, zu grosser Form auf: Titanenkampf der Torleute bei der U8 könnte man sagen.
Glauben Sie mir, ich habe in dieser zweiten Halbzeit dem grossen Fussballgott nicht nur ein Stossgebet geschickt, und ich habe an all die vielen Kinderbücher gedacht, in denen doch immer der Titelheld bis zur letzten Seite auf die Nase bekommt, um dann die entscheidende Wende zu erzielen. Und ich habe mir so gewünscht, heute möge für Lilly und unsere Jungs das Spiel genauso enden wie in der Geschichte „Conny spielt Fussball“ – in der letzten Minute fällt das entscheidende Tor zum Sieg.
Ganz so war es dann zwar nicht – also, es war nicht in der letzten Minute, als das entscheidende Tor fiel; das wäre ja auch für meine Nerven zu einfach gewesen. Aber dafür hat der Fussballgott trotzdem ein bisschen auf meine Gebete gehört, denn nun spielte tatsächlich mein „Phantom“ Max seinen Part in dem Drama: etwa 3 Minuten vor Schluss nahm er einen von links kommenden Ball zum ersten Mal im ganzen Spiel direkt volley und beförderte ihn aus 5 Metern aus zentraler Position durch 3 Abwehrspieler und unter dem Torwart hindurch ins Netz. Das „Phantom“ eben, in der entscheidenden Phase eiskalt zur Stelle!
Der Rest war erst eine Abwehrschlacht und dann eine Riesenfreude. Nix war mit Weghauen der Elzer, der erste und damit historische Sieg der JSG Elze/Mehle war eingefahren. Was waren (und sind) wir stolz auf unsere Kinder!
Auffällig war, wie die Kleinen in einem einzigen Spiel immer besser wurden und richtig zu einer Mannschaft zusammen gewachsen sind. Das kann tatsächlich was werden, denke ich. Und so hoffen wir mal, dass da eine neue „Goldene Generation“ heranwächst – aber das tun ja alle Eltern, oder?
Natürlich heisst ein Sieg sicher noch nicht, dass jetzt jedes Spiel gewonnen wird. Aber am Ende gewinnen wohl doch nicht immer diejenigen, die am Anfang mit möglichst viel Druck Erfolg erzwingen wollen, sondern häufig diejenigen, die nachhaltig und mit viel, viel Liebe und Förderung die Kinder aufbauen – und da sind Anna und Marco auf einem richtig guten Weg!
Der nächste Gegner hat übrigens gestern auf eigenem Platz verloren…. und das heisst für das nächste Spiel:
„Auf, Ihr Kleinen Grossen, Kämpfen und Siegen!“
Photo: Carlsen Verlag GmbH; ISBN-10: 3551086605