Ein großer Theaterstoff

Ein großer Theaterstoff Bei dieser Vorstellung ist alles anders, nichts so, wie man es als geübter Theaterfan kennt. Das „Back to Back Theatre“ das 2012 mit "Ganesha Versus the Third Reich" bei den Festwochen zu beeindrucken wusste, gastierte wieder in Wien. Aufgeführt wurde die Inszenierung im Theater an der Wien. Dort wurde das Publikum nicht wie sonst auf die Zuschauerplätze gebeten, sondern gleich auf die Bühne. Der Zugang erfolgte durch die langen, verwinkelten Flure über eine Türe, durch die man sich erst durchzwängen musste - einer aufblasbaren Konstruktion sei Dank. Und schon war man mitten drin im eigenen Geburtsvorgang, dem bald darauf die Erschaffung unserer Welt folgen sollte. Das Publikum, ausstaffiert mit Kopfhörern, durfte ganz nah am Geschehen der Welterschaffung beiwohnen. [caption id="attachment_24876" align="aligncenter" width="640"]Ein großer Theaterstoff Lady eats apple (Foto: Nurith Wagner-Strauss)[/caption] Als Hauptdarsteller agiert – wie kann es anders sein – Gott, der erst einmal zu tun hat, all die Gattungen zu erschaffen, bis endlich der Mensch an die Reihe kommt, Adam und Eva. Von ihm gewarnt, wie es in der Genesis nachzulesen ist, essen die beiden von der verbotenen Frucht – einer Erdbeere! sic! – die Vertreibung aus dem Paradies folgt auf dem Fuße. Der bis dahin schwarze Vorhang, der alles verdunkelte, fällt – und wie nach dem Urknall und plötzlich erscheint alles hell und weiß - durch einen nun weißen Vorhang, der alles über- und umspannt. Aber noch sind wir lange nicht im Hier und Jetzt angekommen. Dem Regisseur Bruce Gladwin gelingt mit der nun anschließenden Szene ein Schachzug. Denn er setzt nach der Paradiesvertreibung sofort Erzählungen über Nahtoderfahrungen. Die zuvor dunkle Umgebung und das blendende Weiß, das die Nacht ablöst, das alles passt gut zu der Gedankenvolte, in der die Vertreibung aus dem Paradies  mit einer Nahtoderfahrung gleichgesetzt wird. Aber auch bei diesem Status bleibt es nicht, auch dieser Zustand ist einer, der sich verändert. [caption id="attachment_24880" align="aligncenter" width="640"]Ein großer Theaterstoff Lady eats Apple (Foto: Nurith Wagner-Strauss)[/caption] Nachdem auch der weiße Vorhang gefallen ist, öffnet sich der Blick auf den Zuschauerraum des Theaters. Dort arbeiten nun auf den oberen Rängen Adam und Eva und alle anderen aus dem Ensemble und putzen im Schweiße ihres Angesichts die Reihen. So oder so ähnlich stand es ja auch im Alten Testament. Nun, nach all der intelligent vermittelten Mythologie leider doch in unserer Welt angekommen, wird dem Publikum viel über den Alltag jener Personen vermittelt, die mit ihrem mentalen Handycap die Hauptrollen spielen. Ihr Traum, Auto zu fahren, bleibt ihnen verwehrt. Sich selbst aber zu ernähren, mit dem eigenen Willen zu arbeiten, funktioniert. Die körperliche Nähe, die sie gegenseitig suchen, wird geradeheraus angesprochen. „Zeig mir deine Genitalien“, fordert an einer Stelle Sarah Mainwaring ihren Partner auf, der sie anschließend auch einlädt, mit ihm nach Hause zu gehen, denn dort gibt es zumindest eine Couch. Sie tun dies, obwohl ihnen zuvor gesagt wurde, dass ihre Beziehung nicht passend ist. Welch wunderbare Selbstbestimmung hinweg über alle gesellschaftlichen Regeln und Konventionen. In einem dramatischen Finale, bei dem auch die Rettung „zu den Wiener Festwochen“ gerufen werden muss, werden die Schauspielerinnen, die Schauspieler und das Publikum unbarmherzig mit dem Tod konfrontiert. Mit dem eigenen und dem der anderen. „Lady Eats Apple“ präsentierte sich als eine ruhige Mischung aus mythologischer Erzählung und heutigem Alltagsgeschehen. Der Fokus auf Menschen mit besonderen Bedürfnissen artete in dieser feinfühligen Produktion überhaupt nicht in eine sensationsgeile oder mitleidheischende Nummer aus. Vielmehr vermittelte das Stück die Idee, dass ein Leben trotz intellektueller Beeinträchtigung eines sein kann, in dem niemand versteckt werden muss und Respekt und Aufmerksamkeit diesen Menschen gegenüber sie in ihrer Lebensqualität enorm bestärken können. Das Paradies ist verloren, aber es liegt an uns selbst, was wir während unserer eigenen Lebensspanne aus unserer Welt machen.

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