Ein gesunder Umgang mit Zielen

photoPhoto:K. Koppdelany

Zum Jahresbeginn starten viele mit neuen oder mit wieder aufgefrischten “alten” Zielen. Sie sind motiviert dieses Jahr etwas zu erreichen oder sich zu verändern. Sie wollen einen neuen Job, endlich einmal mehr Zeit für die Frau oder Ihren Kindern. Sie planen einen schönen Urlaub oder wollen den roten Zahlen auf Ihrem Bankkonto entkommen. Haben Sie Ziele für dieses Jahr? Welche Ziele haben Sie sich gesetzt? Wenn Sie zu den Menschen gehören, die sich zum Neujahr keine Ziele gesetzt haben, gibt es grundsätzlich etwas, das Sie gerade erreichen oder verändern wollen?

Wir alle haben Ziele. Manchmal sind es kleine Ziele und manchmal sind es überaus große und mächtige Vorstellungen über das was wir erreichen wollen. Ich würde sogar sagen, in der heutigen Welt geht nichts ohne Ziele. Selbst das Vorhaben nächste Woche einen Freund zu treffen, heute pünktlich um 17:00 Uhr zu Hause sein zu wollen oder morgen das rote Kleid anzuziehen, können wir als ein Ziel betrachten. Wir nehmen uns etwas für einen Zeitpunkt vor,  der in der Zukunft liegt. Für die folgenden Aspekte ist es ganz egal wie ambitioniert Ihnen Ihr Ziel erscheint.

Die Frage, die mich heute beschäftigt ist, wie können wir Ziele verfolgen und gleichzeitig in Achtsamkeit leben, d.h. den Moment und damit auch uns in allem erleben was ist. Wie können wir achtsam für die Zukunft Planungen erstellen und diese verfolgen? Diese Frage habe ich in den vergangen Jahren mir und auch anderen Menschen immer wieder gestellt. Ich selbst habe einige Antworten aus verschiedenen “Lehren” oder sagen wir Konzepten benötigt, bis ich die für mich passende Sicht aufbauen konnte. Möglicherweise hilft diese auch Ihnen bei der Umsetzung von Achtsamkeit im Alltag.

Ich versuche einmal die Antwort eines Zen-Meister auf diese Frage zusammen zu fassen: Achtsamkeit und Ziele in der Zukunft zu haben ist überhaupt kein Widerspruch, denn die Ziele überlege ich mir im “Jetzt”, d.h. ich habe Vorstellungen von dem Ziel und ich plane, wie ich das Ziel erreichen kann und dabei bin ich im diesem Moment. Auch die Umsetzung erfolgt im “Hier und Jetzt”. Wir sind somit bei jeder Handlung, die uns dem Ziel näher bringt mit uns verbunden. Den gegenwärtigen Moment zu respektieren heißt flexibel mit den Herausforderungen umzugehen und nicht das Ziel als die einzige Wahrheit zu sehen.

Mit dieser Antwort war ich ersten Moment auch zufrieden. Schon bald habe ich mir aber weitergehende Fragen gestellt. Heute kann ich aus eigener Erfahrung jedoch sagen, dass die Antwort des Zen-Meisters in wenigen Worten den Kern trifft.

Was macht uns aber die Umsetzung immer wieder so schwierig, wo sind die Stolpersteine?

Gefahren in der Zielvorstellung

Sog in die Zukunft
Wenn wir uns ein Ziel setzten, dann verbinden wir mit diesem Ziel eine positiven Zustand. Dieses mit dem Ziel verbundene Gefühl wirkt wie ein Sog auf unsere Empfindungen und Vorstellungen. Wir sehnen uns nach der Zielerreichung und wünschen uns am besten schon jetzt in diesem Zustand.

Im Grunde ist es diese Sog-Wirkung, die wir uns von dem Ziel auch vorstellen. Ein Ziel ohne eine gewisse Anziehungskraft wäre in der klassischen Zieldefinition nicht einmal ein Ziel. Der Sog des Ziels ist es, der uns die Kraft und Energie gibt, diese auch erreichen zu wollen.

Die Gefahr besteht allerdings, dass der Sog so groß ist, dass wir auf den gegenwärtigen Moment nicht mehr reagieren können. Wir sind von unserem Ziel so eingenommen, dass wir jegliche Flexibilität verlieren, um auf den gegenwärtigen Moment reagieren zu können. Wir wollen das Ziel mit aller Macht erreichen. Der Moment und unter Umständen sogar die Menschen, die diesen Moment mitgestalten und damit auch wir selbst sind nicht mehr wichtig, alles wird dem Ziel geopfert. Das hört sich in dieser Form dramatisch an und kann es auch sein, wenn wir betrachten, welchen Schmerz Menschen sich und anderen zufügen können nur, um ein sich gestecktes Ziel zu erreichen.

Die Gegenwart als Sprungbrett
Kennen Sie Aussagen wie: Wenn ich mein Ziel erreicht habe dann …

  1. … fühle ich mich wohler
  2. … bin ich glücklich
  3. … haben ich mehr Geld
  4. … bin ich angesehener und werde respektiert
  5. … haben ich mehr Zeit oder weniger Stress

Diese Vergleiche wirken zwar im ersten Augenblick, wie der oben genannte Sog in die Zukunft bringen aber noch einen weiteren Aspekt mit hinzu. Wir bewerten uns und den gegenwärtigen Moment als negativ, wir werten uns ab. Wir verlagern das Glück in die Zukunft, vergessen aber, dass es überhaupt nicht sichergestellt ist, dass wir diese gewünschte Zukunft auch erreichen. Und selbst wenn wir das Ziel erreichen, dann sind wir schon auf dem Weg zum nächsten Ziel. Wir sind daher überhaupt nicht in der Lage den Moment wahrzunehmen, da wir ausschließlich für die Zukunft leben. Unsere Phantasie und Bilder bewegen sich in einer Zielvorstellung ohne dabei den Weg zu schätzen. Sie kennen sicherlich den Spruch: “Der Weg ist das Ziel”. Genau an dieser Stelle bekommt er seinen tiefen Wert. Den Weg vergessen wir aber nur allzu leicht und nutzen die Gegenwart als Sprungbrett in die Zukunft.

Unzufriedenheit mit dem Jetzt
Möglich wäre aber auch eine schichte Ablehnung der augenblicklichen Situation. Ich will hier raus, das gefällt mir nicht, ich kann das nicht ertragen, warum bin ich hier, warum muss das mir passieren. Hier ist das Ziel meist weniger konkret in die Zukunft gerichtet sondern es besteht darin aus dem Augenblick zu entfliehen. Diesen nicht weiter ertragen zu müssen. Diese Person bewegt sich also weniger auf ein konkretes Ziel zu, sondern von einem aktuellen Zustand weg. Sie lehnt den Augenblick ab.

Nur andere können mich glücklich machen
Eine besondere Form von Zielen treffen wir dann an, wenn eine Person im Moment nicht zufrieden ist und klare Vorstellungen darüber zu hat, was andere besser tun könnten, dass es ihr besser geht. Auch hier treffen wir Ziele. Diese Ziele gelten aber meist anderen Personen, denn nur diese können anscheinend einen Zustand herbeiführen, der diese Person vermeintlich etwas glücklicher machen könnte.

Ziele erreichen in Achtsamkeit

Aus der Hirnforschung wissen wir, dass es so etwas wie die Vergangenheit und die Zukunft in uns nicht gibt. Sie haben zwar Erinnerungen an ihre Vergangenheit, doch Sie haben sicherlich auch schon erlebt, wie sich diese Erinnerungen und Bewertungen einer bestimmten Situation verändern können. Wir könnten also von den “Vergangenheiten” sprechen, die jedoch von uns immer wieder neu konstruiert werden. Auch die Zukunft gibt es es nicht wirklich. Wir haben zwar Vorstellungen von unserer Zukunft, diese sind manchmal positiv und manchmal negativ. Durch unsere Vorstellungskraft wirken sie auch wie real erlebt, aber sie sind doch nur eine Vorstellung. Unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen etwas in der “realen” erlebten Welt und einer inneren Vorstellung.

Was aber bedeutet das nun für unsere Ziele? Wie können wir die oben genannten Erkenntnisse für einen achtsamen Umgang mit unseren Zielen einsetzten?

Einige Anregungen von mir:

  1. Grundsätze der Ziel-Definition
    Ziele zu definieren ist keine komplizierte Sache, wenn Sie nur einige wichtige Aspekte berücksichtigen. Das Ziel muss durch Sie erreichbar bzw. von Ihnen umsetzbar sein, es sollte positiv formuliert werden, erlebbar sein, etc.
  2. Nutzen Sie alle Möglichkeiten der Zielvorstellung
    Warum nicht die Möglichkeit nutzen, die uns durch unsere Vorstellungskraft gegeben ist. Durchleben Sie den Zielzustand mit all Ihren Sinnen immer wieder. Viele erfolgreiche Menschen nutzen diese Möglichkeit für die Unterstützung ihre eigene Zielerreichung. Die meisten nutzen es aber unbewusst, d.h. sind immer mal wieder tief mit ihrem Ziel verbunden. Auch Sportler nutzen die Möglichkeit ganz gezielt bei der Wettkampfvorbereitung.Erleben Sie sich als ob Sie das Ziel schon erreicht haben .
    - Wo sind sie?
    - Was tun sie gerade?
    - Wie fühlen Sie sich?
    - Was sehen Sie?
    - Riechen Sie etwas?
    - Schmecken Sie etwas?
    - usw.

    Nutzen Sie die Möglichkeit der konkreten Zielvorstellung und des Erlebens. Seien Sie sich aber bewusst, dass Sie das immer in der Gegenwart tun. Sie gehen dabei nie in die Zukunft, sondern nutzen Ihre Vorstellung, um eine mögliche Zukunft in der Gegenwart zu erleben. Sie versetzten sich gezielt für einige Momente in einen Zielzustand und erleben diesen. Sie können diese Übung immer wieder durchführen.

  3. Leben Sie nicht für Ihre Ziele sondern mit Ihren Zielen
    Der Moment, in dem Sie ein Ziel formuliert haben, liegt schon einen Moment später in der Vergangenheit und hat daher sehr schnell nichts mehr mit der aktuellen Gegenwart zu tun. Unser Umfeld und die Voraussetzungen verändern sich stetig. Das ursprüngliche Ziel lebt allerdings unverändert weiter, von Moment zu Moment.Was aber, wenn sich die äußeren Umstände so verändern, dass es immer schwieriger wird Ihr Ziel zur erreichen? Wie gehen Sie damit um, wenn Sie oder andere Personen kurzfristig krank werden? Ein Zug auf dem Weg zu einem Termin ausfällt? Ein Geschäftspartner einen Termin nicht einhält? Der Stau verhindert, dass Sie rechtzeitig zum Flieger kommen?

    Auch wenn wir es gerne würden, den aktuellen Moment können wir nicht verändern. Wir können ihn nur “leben” und als diesen akzeptieren der er ist. Ziele sind wichtig, um uns in der Welt zu bewegen und etwas zu erreichen. Allerdings sind sie nie wichtiger als der jeweilige Moment. Ein Ziel, dass sich nicht an die neuen Umstände anpassen kann, macht uns unglücklich, wir fallen in Gefühle von Stress, Ärger oder Verzweiflung. Wir fühlen uns ohnmächtig, weil der aktuelle Moment es uns nicht erlaubt unser Ziel zu erreichen.Nun können wir mit Widerstand reagieren, oder den Moment so akzeptieren wie er ist. Widerstand kostet uns Energie und erlaubt uns meist keine guten oder überhaupt keine angemessene Entscheidungen zu treffen. Nur wenn wir mit dem Moment leben, erhalten wir uns unsere Energie und können Sie für eine angemessene Bewertung der Situation und der notwendigen Entscheidungen nutzen.

    Was kann Ihnen helfen, wenn Sie in eine solche Situation kommen? Eine sehr einfache und überaus effektive Möglichkeit wieder im aktuellen Moment anzukommen, ist die Beobachtung des Atems und die Konzentratio auf Ihrer Sinne. Versuchen Sie es selbst einmal: Fühlen Sie ihren Atem, wo bewegt sich der Körper, wenn Sie einatmen oder ausatmen? Was berühren Sie im Moment mit den Händen? Stehen oder sitzen Sie? Wie fühlt sich die Kleidung auf Ihrer Haut an? Was sehen Sie? usw.

    All diese Fragen führen direkt in den Moment zurück. Sie können diese Fragen nur beantworten, wenn Sie sich im “Hier und Jetzt” wahrnehmen. So verlieren sich nicht in Zukunfts-Phantasien, z.B. über das, wie sich die aktuelle Situation auf Ihr Ziel auswirken könnte. Sie kommen vielmehr bei sich an und werden sehr schnell spüren, wie die Verbundenheit mit sich, Ihnen auch Kraft für klare und bewusste Entscheidungen gibt. Das könnte so etwas sein wie: Ich stehe im Stau also stehe ich nun im Stau! Ich rufe meinen Kunden (etc.) an und werde Ihn darüber informieren, dass ich zu spät komme oder wir den Termin verlegen müssen.

    Sie sagen: “Das klingt so einfach, so einfach ist es aber nicht”. Dann antworte ich: “Wenn Sie im Moment ankommen und entscheiden, dass es derzeit nichts gibt, das sie tun oder ändern können, dann ist es so einfach!”.

    Ein achtsamer Umgang mit Zielen bedeutet, sich immer wieder neu auf den Moment einzulassen, auch wenn dieser nicht zu unserem ursprünglichen Ziel passt und dann auf Basis der neuen Situation neu zu entscheiden. Das heißt nicht, das wir es immer als einfach empfinden, insbesondere weil wir in der Vergangenheit oft andere Erfahrungen gesammelt haben. Aber versuchen Sie es selbst. Bleiben Sie im Moment, oder kommen Sie wieder zurück. Sie werden es sich selbst danken.

  4. Lassen Sie sich nicht vom Weg abbringen
    Achtsam zu sein kann aber auch bedeuten, sich bewusst darüber zu werden, wenn Sie sich z.B. leicht vom Ziel ablenken lassen. Was sind typische Ablenkungen, mit denen Sie sich beschäftigen? Wie bewerten Sie dann Ihr Tagesergebnis? Werten Sie sich ab, weil Sie einmal wieder nicht genug erreicht haben? Oder können Sie die Leistung des Tages als das für heute bestmögliche Ergebnis akzeptieren und sich selbst dankbar sein? Dann bleibt Ihnen auch die Kraft, zu überlegen, was Sie in den nächsten Tagen dazu beitragen können, sich weniger ablenken zu lassen.

    Eine weitere Möglichkeit besteht in den inneren Widerständen. Auch diese können Sie leicht vom Ziel abbringen oder einfach unbewusst daran hindern, dass Sie Ihr Ziel erreichen. Fragen Sie sich z.B.: was ist der Preis, den ich zahle, wenn ich das Ziel erreiche? Was gebe ich auf? Was ist die Konsequenz in Bezug auf meine Beziehung(en), den Arbeitsplatz, die Kollegen, für mich? Was würde sich verändern, wenn Sie Ihr Ziel erreichen? Prüfen Sie, ob Sie das Ziel unter diesen Bedingungen auch wirklich erreichen wollen, oder ob sich das Ziel verändert.

    “Lassen Sie sich nicht vom Weg abbringen” bedeutet daher nicht: das Ziel ist statisch und wir gehen unbeirrt darauf zu. Vielmehr führt es zur folgenden Einsicht: Sie geben zu jedem Zeitpunkt das Beste, um Ihr Ziel zu erreichen. Sie sind aber gleichzeitig in der Lage den Weg und bei Bedarf auch Ihre Ziele auf die neuen Umstände anzupassen.

  5. Feiern Sie die Zielerreichung
    Wie  geht es Ihnen, nachdem Sie Ihr Ziel erreicht haben? Zieht es Sie gleich zu neuen Ufern? Betrachten Sie es als selbstverständlich? Oder genießen Sie den Erfolg für einen Moment? Nutzen Sie die Möglichkeit erreichte Ziele zu feiern. Werden Sie sich über das bewusst, was Sie erreicht haben und auch darüber, worauf Sie bereit waren zu verzichten. Entwickeln Sie eine gewisse Dankbarkeit nicht nur für die Menschen, die Ihnen dabei geholfen haben Ihr Ziel zu erreichen, sondern insbesondere auch für sich selbst.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre Ziele.

Weiterhin eine achtsame Zeit, wünscht Ihnen Ihr Olaf Karwisch

Podcast: Download (Duration: 20:23 — 18.7MB)


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