Leseprobe (1)
Ein Gespräch
Was? Du schreibst? Du bist ein Schriftsteller? Hier? Du lebst hier? Am Arsch der Welt? Schöne Landschaft macht lullelulle auf’m Papier. Und überhaupt, wem kann man heute noch was erzählen? Und was? Und wie? Ich klick mich ins Internet. Hier, das Handy reicht. Und in drei Minuten weiß ich mehr, als du oder ’n anderer Schreiber mir in ’nem dicken Roman sagen kann. Also, wenn ich was wissen will, dann unterhalte ich mich, ich spiele, ich vervielfältige mich irgendwie, ich werde medial, wenn du mich verstehst? Aber ich brauche keine tausend Seiten Erzählung, von dir geschrieben vielleicht, um mich belehren zu lassen. Natürlich ist Literatur Belehrung. Immer. Außerdem, so viel Zeit habe ich nicht, um mir das reinzuziehen. Und wenn? Dann verstehe ich’s vielleicht gar nicht? Oder falsch? Kein Mensch braucht heute mehr viele Worte, um durchzukommen. Du ja, ok. Aber du hast ja auch nur noch was von dir zu sagen. Du verplapperst dich selbst. Ha! Nee, du und ein Schreiber? Und das hier? Ist doch komisch, dass die meisten Schreiber, und du bist auch so einer, da machst du mir nichts vor, einen Übersetzer in die eigene Sprache brauchen. Weil, sonst versteht euch keiner mehr. Und überhaupt, ihr Schreiber, und ich sag’s noch mal, du bist auch so einer, du machst mir nichts vor, ihr faselt auch heute noch was von Wahrheit und Gerechtigkeit und Vernunft und großen Gefühlen und Blablabla, dabei geht’s in allem doch nur um Effizienz, um Dabeisein und Wasabbekommen. Das große Spiel, in dem wir alle mitspielen, hat doch jeden von uns längst zu mehreren gemacht. Wir, viele, alle: Das ist der Komparativ des sogenannten Fortschritts. Und das so lange, bis jeder alle ist. Und dann reicht ein Schreiber für alle Schreiber und ein Leser für alle Leser. Falls dann noch einer schreiben kann? Und falls dann noch einer lesen kann? Aber vielleicht ist Schreiben und Sprechen, sind Schrift und Sprache dann nur noch ein Mittel – und dann wissen wir’s endlich, wozu wir’s haben –, um mit den Toten kommunizieren zu können? Und mal ehrlich, was hab ich davon, dass ich sprechen kann? Was hast du davon, dass du schreibst, schreiben musst, ok? Antworte! Du kannst schweigen. Schön. Aber ist das eine Rechtfertigung dafür, die Sprache erfunden zu haben? Nur dafür, um schweigen zu können? Warum sagst du nichts?
Mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor aus:
Uwe Saeger: Ein Mensch von heute. Erzählung
92 Seiten; 14,8 x 21 cm; 10,00 EUR (D)
ISBN: 978-3-943672-17-6 (Auch als E-Book erhältlich.)