"Ein Engel an meiner Tafel" / "An Angel at My Table" [NZ, AUS, GB 1990]


Kerry Fox spielt Jane Campions wundervollsten Engel aller Engel, die zum Licht flattern wollen. Aber haben Engel aufstehende Wuschellocken, zerstörte Zähne, erschöpfte Blicke? Sie haben. Und man wäre enttäuscht, wäre jeder Engel perfekt. Jane Campions (feminin-feministische) Engel müssen sich behaupten, aber dafür reifen, müssen sich retten, aber dafür lebendig werden, müssen fliegen. Nur fliegen. Über Männer hinweg. Erfahrene Biopic-Fans erkennen die Wegstationen von Campions dreigeteiltem Einsamkeitssittenbild "Ein Engel an meiner Tafel" über die neuseeländische Dichterin Janet Frame aller Voraussicht nach auf den (Erzähl-)Meter genau. Jugendliche Beschwernisse, fehldiagnostizierte Stolpersteine (leider ein kleiner Splitter der Dramaturgie), Bewusstseins- und Bestimmungswerdung, der erste Literaturvertrag, die erste Liebe (leider ein großer Splitter der Dramaturgie), der erste Ausbruch und maßgebliche Aufbruch ins Leben – "Ein Engel an meiner Tafel" legt sich als Erzählkino fest, eine Biografie wohlkomponiert, aber nichtsdestoweniger voller Verlangen auszubreiten. Campion-typisch: die literarischen wie lyrischen Sprachbilder. Verbrennende Dokumente, der Notizblock, die Schuhe, Fotografien. All' das assistiert dem Stil Campions, der sich nicht primär in pompösen Worten ausdrückt, sondern in ursprünglichen Symbolen, während der Film hautnah seiner Protagonistin nirgends von der Stelle weicht. Fast. In der distanzgewinnenden Schlussszene nämlich filmt die Kamera von außen, durch Glas, liebesdurchlässig. Auf dass die Wörter ruhen – und die Tanzbeine schwingen.
6 | 10

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