Im Theater Spielraum in der Kaiserstraße in Wien ist derzeit der Klassiker „Schuld und Sühne“ von Fjodor M. Dostojewskij zu sehen.
Schuld und Sühne von Dostojewskij im Theater Spiel Raum in Wien (Foto Barbara Pálffy)
Das Bemerkenswerte daran ist, dass sich ein so kleines Theater furchtlos über ein so groß zu besetzendes Werk macht. Dies gelingt jedoch in der Inszenierung von Gerhard Werdeker durch viele Mehrfachbesetzungen tadellos. Dabei benötigt er weder Bühnenumbauten, Auf- und Abgänge, noch aufwendige Kostümwechsel. Einzig eine wechselnde Beleuchtung sowie – und das macht die Aufführung optisch so einzigartig – viele unterschiedliche, bunte Mützen – kennzeichnen die jeweiligen Szenen bzw. Charaktere. In buntem Imitationspelz gehalten, signalisieren diese kleinen Accessoires, dass das Geschehen in Russland angesiedelt ist. Auf das Können der Kostümbildnerin Anna-Miriam Jussel ist zurückzuführen, dass die Kopfbedeckungen die einzelnen Personen voneinander auf den ersten Blick unterscheiden. Sie geben ihnen aber nicht nur einen raschen Wiedererkennungswert, sondern beschreiben auch, wie bei der Mutter und Schwester der Hauptperson, sogar deren Charakter. Der ehemalige Student Rodon Romanowitsch Raskolnikow ist der Einzige, der sich unbemützt durch das Stück spielen darf – eine schöne Metapher, die nicht nur für seine Außenseiterrolle in der Gesellschaft steht.
An unsichtbaren Leinen aufgehängt, warten die Mützen darauf, in rascher Abfolge immer und immer wieder gewechselt zu werden und dienen dabei auch als ein den Raum begrenzendes Element. Die Geschwindigkeit, in der die Szenen wechseln und ineinander übergehen, ist das zweite Charakteristikum des Abends, so als wollte Werdeker dem Publikum seinen Dostojewskij in Rekordzeit über die Ziellinie bringen. Ein wohltuender Ansatz, gilt es doch immerhin noch dreieinhalb Stunden – inklusive einer kurzen Pause – das Geschehen auf der Bühne zu verfolgen. Peter Pausz in der schwierigen Rolle des mordenden Intellektuellen zeigt sein eigenes Gefangensein auch in der ständigen Benützung einer Bühnenrequisite. Ein stabiler, auf einer Seite offener Holzquader markiert nicht nur sein beengtes Zimmer, sondern versinnbildlicht auch die Grenzen seines Denkens, die er trotz aller Anstrengung nicht durchbrechen kann.
Die wohl größte Entdeckung dieses Theaterabends ist die Tatsache, dass der Text, erstmals vor knapp 150 Jahren veröffentlicht, nur so von zeitgenössischen Bezügen strotzt. Oder, besser gesagt, unser Zeitgeist diese Bezüge imstande ist, aktuell zu verknüpfen. Vor allem jene Stellen, in denen Dostojewski sich auf den Nationalökonomen Adam Smith beruft, sind von aktueller Brisanz. Die Unterordnung des Menschen unter die Regeln des Kapitalmarktes war – und das wird hier ganz deutlich – schon zu Beginn seines Entstehens ein ungelöstes Problem. Der Wert des Individuums im Gegensatz zur Gesellschaft darf hingegen als noch älteres Thema erkannt werden, welches bei unserer zunehmenden Weltpopulation noch ständig an Brisanz gewinnt.
Claudia Marold, Yvonne Laussermayer und Dana Proetsch bestreiten die weiblichen Rollen – alle in schauspielerischer Brillanz. Ihnen zur Seite stehen Christian Kohlhofer und Reinhardt Winter, ausgestattet mit Energie und einer überschäumenden Bühnenpräsenz, sowie der Doyen des Abends, Klaus Uhlich, der in jeder seiner Rollen zuallererst Menschsein transportiert.
Ein Theaterabend ganz im Sinne der Spielstätte – zum Nachdenken.
Tipp: Das Programmheft bietet vielerlei interessante, zeithistorische Informationen zum Nachlesen.
Weitere Termine: Mittwoch, 25. April bis Samstag, 2. Juni, jeweils Dienstag bis Samstag, 19 h (!)
Achtung: Samstag 28. April und Samstag 12. Mai KEINE Vorstellung, Dienstag 8. Mai & Freitag 1. Juni GESCHLOSSENE Vorstellung!