Ein Brautkleid aus Warschau – Lot Vekemans

Von Christinaschr
“Alle sind schuldlos Schuldige, Liebende, die tragisch verkette sind in die Verhältnisse.”

Inhaltlich weder neu noch spektakulär, dennoch berührend und mitreißend ist Lot Vekemans Debütroman Ein Brautkleid aus Warschau. Die für Theaterstücke bekannte Dramaturgin erzählt die Geschichte der jungen Polin Marlena. Die 26-Jährige lebt auf dem platten Land mit ihrer streng katholischen Familie zusammen. Zum Leidwesen ihrer Mutter ist immer noch nicht verheiratet und wird dann auch noch von dem Amerikaner Natan, der sich für Recherchearbeiten in Warschau befindet, schwanger. Monatelang konnte Marlena ihre Liebe und Beziehung zu Natan geheim halten, die Schwangerschaft wird sie aber in Erklärungsnot bringen und so beichtet sie ihr Geheimnis. Die Lösung ihrer Mutter: Eine Abtreibung. Diese kommt für Marlena jedoch nicht in Frage und so beschließt sich die junge Frau auf den Rat ihres Vaters, ohne ein Wort Polen zu verlassen.

Marlena strandet zunächst wieder bei Szymon in Warschau, in dessen Hotel sie immer ausgeholfen hat, um Natan jeden Tag  nahe zu sein. Er kann ihr jedoch auch nicht helfen. Und so wandert sie nach Holland aus und heiratet den viel älteren Andries, den sie aus einem Katalog für Heiratsvermittlungen kennt. Andries ist Landwirt und gut zu Marlena. Ihre Beziehung ist, wenn auch nicht von Liebe, von Einvernehmen und gegenseitigem Respekt geprägt. Sogar Marlena empfindet Zufriedenheit mit dem Landleben. Dass sie von einem anderen schwanger ist, akzeptiert Andries: Er liebt Stan als wäre er der leibliche Vater.

Das idyllische Leben wird ironischerweise von Marlenas Mutter gestört. Sie liegt im Sterben. Nur zufällig erfährt Marlena über eine polnische Freundin in Holland davon. Mit ihrem Sohn Stan geht sie zurück nach Polen – und beschließt zu bleiben.  Der von Heimweh geplagte Stan antwortet ihr mit einem beharrlichen Schweigen. Hier macht Lot Vekemans nun einen Schnitt. Zunächst nur aus der Perspektive von Marlena, schwenkt die Sicht auf das Geschehen nun um zu Andries. So erfährt der Leser mehr von seiner bisher blass gebliebenen Person. Gleiches Spiel treibt Vekemans mit einer dritten Person: Szymon. Seine Perspektive überraschte mich ein wenig, vielmehr hätte ich erwartet, vielleicht sogar erhofft,  dass Natan zu Wort kommt. Doch das wäre zu einfach; mit Szymon nehmen die Dinge wieder einen ganz anderen Lauf. Trotz dem Wechsel der Perspektiven, empfinde ich es als störend, dass alle Figuren über ihr Handeln und Verhalten ausgiebig reflektieren. Immer werden Antworten geliefert, die manchmal bis in die Kindheit zurückführen. Zu viel soll an dieser Stelle nicht verraten werden. So viel sei aber festgestellt: Figuren in Romanen dürfen und sollen sogar Geheimnisse haben, die dem Leser unergründlich sind.

In Vekemans Roman Ein Brautkleid aus Warschau ist nichts wie es zunächst scheint. Mit jeder neuen Figur nimmt die Geschichte eine Wendung. Vekeman weiß mit sprachlichem Geschick und präzisem Beobachtungsvermögen zu zeigen, wie verstrickt und ineinander gewunden Beziehungen sein können. Ist man erst einmal eingekeilt, ist es schier unmöglich weiterhin rational zu handeln. Für alle drei Figuren trifft dies zu. Und dennoch ist alles vorhersehbar bzw. wird von Vekeman mithilfe der verschiedenen Perspektiven erläutert. Dass das Ende offen bleibt, überrascht mich nicht. Es ist sogar gut, denn so kann ich mir selbst Gedanken über die Figuren machen, deren Gefühlswelt sonst wie ein offenes Buch preisgegeben worden sind.

Lot Vekemans: Ein Brautkleid aus Warschau. Aus dem Niederländischen von Eva M. Pieper und Alexandra Schmiedebach. Wallstein. Göttingen 2016. 253 Seiten. 19,90 Euro.

Siehe auch: we read indie