Ein Blick in das innere Getriebe der Evolution

Das Wiederaufblühen des Lebens nach Massenaussterben auf der Erde kann zeitlich immer genauer nachvollzogen werden

Zu den Wissenschaftsmeldungen, die im Jahr 2019 zu den spannendsten zählten, gehört sicherlich eine vergleichsweise detaillierte Studie, die im Oktober veröffentlicht wurde, über die zeitlichen Abläufe der Evolution nach dem erdweiten Massenaussterben vor 66 Millionen Jahren. Haben wir schon jemals zuvor so tief in das innere Getriebe der Evolution sehen dürfen? Haben wir schon jemals zuvor so genau in ihre Karten schauen dürfen (1)? Solche Dinge hatte sie doch bislang immer zum Betriebsgeheimnis erklärt, von dem kein Außenstehender etwas erfahren durfte. "Außenstehender"? Sind wir nicht "Mitspieler" der Evolution?

Wie auch immer. Nun ist es so weit: Im Jahr 2014 ist im US-Bundesstaat Colorado ein neuer Fundplatz entdeckt worden. Und dieser erlaubt nun einen zeitlich sehr genauen und detaillierten Blick in die Abläufe von Evolution nach einem erdweiten Massenaussterben (1, 2) (Abb. 1).

Der Asteorideneinschlag vor 66 Millionen Jahren brachte nicht nur die Dinosaurier zum Aussterben, sondern 75% aller Arten auf dieser Erde überhaupt.

1.000 Jahre nach diesem Ereignis lebten schon wieder - oder immer noch? - 600 Gramm schwere Säugetiere auf der Erde. Auf dieser hatten sich zunächst vornehmlich Farngewächse ausgebreitet. (Sie hatten viele Jahrzehnte völliger Dunkelheit, Kälte und atmosphärischer Vergiftungen ausgehalten und überstanden.)

100.000 Jahre später lebten schon Säugetiere von der Größe von Waschbären (6 kg) auf der Erde. Palmen-Wälder hatten die Farne ersetzt. Das Schlimmste war überstanden. (Zum Vergleich: 100.000 Jahre sind ungefähr auch die Zeit, die es dauerte, daß aus archaischen Homo sapiens-Formen in Afrika der anatomisch moderne Homo sapiens evoluierte. Und noch einmal 100.000 Jahre lang lebt er seither auf der Erde.*))

In den nächsten 200.000 Jahren breiteten sich walnußartige Pflanzen aus, die viele Nährstoffe in sich trugen. Diese ermöglichten es, daß neue und größere Säugetierarten entstanden - bis zu 25 kg schwer.

700.000 Jahre später breiteten sich proteinreiche Hülsenfrüchte aus. Diese ermöglichten Säugetierarten bis zu 35 kg und 48 kg Größe - und darüber hinaus.

Daraus darf - neben anderem - auch geschlußfolgert werden: Hätte es damals schon "Menschenartige" gegeben, hätten sie 700.000 Jahre lang nicht auf der Erde existieren können. So lange ungefähr hat der Vormensch, der Homo erectus, auf der Erde gelebt.

Ähnliche Studie zum Massenaussterben vor 225 Millionen Jahren

Auf das Thema der beschleunigten Artbildung allgemein nach erdweitem Massenaussterben habe ich schon häufiger in Internetbeiträgen der letzten Jahre anhand jeweils neuer Studien hingewiesen. (Das war mehrere Jahre auf Google-Plus geschehen, ein Social-Media-Dienst, der eingestellt worden ist. Meine Beiträge dort habe ich auf Studium generale II gesichert und die Inhalte werden seither nach und nach auf diesen Blog eingepflegt. Dies gilt auch für die weiteren Ausführungen dieses Blogbeitrags.) Ähnliche Forschungsergebnisse auch schon im Sommer 2018 gegeben. Damals war die Wiederentfaltung des Lebens nach dem Massenaussterben vor 225 Millionen Jahren, also der Beginn des Dinosaurier-Zeitalters erforscht worden, die Wiederentfaltung der Tierarten (3). Dabei handelte es sich um den Umbruch vom Erdzeitalter des Perm zum Trias. 108 Tierarten aus dem frühen Trias sind bislang bekannt, die der Gruppe der Archosauromorophen (4) zugerechnet werden. Dabei handelt es sich um Reptilien. Die Archosauromorphen sind vermutlich im Mittleren Perm entstanden und hatten damals zunächst nur eine geringe Verbreitung. Zahlreiche Arten dieser Gruppe haben aber das Aussterbeereignis überstanden und sind nicht ausgestorben. Das weitere Geschehen wird nun von den Forschern wie folgt charakterisiert (3):

  • Direkt nach dem Aussterbeereignis haben sich "Generalisten" in den noch zu bewohnenden Erdregionen ausgebreitet, Tierarten, die "überall" leben können und keine spezifischen Anpassungen an einen bestimmten Lebensraum, an bestimmte Nischen aufweisen. Diese Fauna wird "disaster fauna", also Katastrophen-Fauna genannt.
  • Dann gibt es beschleunigte Evolutionsraten, also beschleunigte Artbildung und neue Vielfalt von Arten. Allerdings ist diese Phase aufgrund nur weniger Funde (noch) nicht gut bezeugt, sprich es handelt sich hier um kleine Gründerpopulationen.
  • Fünf Millionen Jahre nach dem Aussterbeereignis hat sich dann das erdweite Ökosystem wieder stabilisiert und damit geht noch einmal eine bedeutende Zunahme der Artenvielfalt einher. Nun bilden sich viele neue Lebensräume und Nischen und spezifische Anpassungen an diese heraus.

"A morphologically conservative and globally distributed post-extinction 'disaster fauna'; a major but cryptic and poorly sampled phylogenetic diversification with significantly elevated evolutionary rates; and a marked increase in species counts, abundance, and disparity contemporaneous with global ecosystem stabilization some 5 million years after the extinction. This multiphase event transformed global ecosystems, with far-reaching consequences for Mesozoic and modern faunas."

*) Bitte an dieser Stelle nichts durcheinander bringen. Vor 65 Millionen Jahren gab es keine Menschen und auch nichts, was an Menschen erinnern würde. Der Mensch evoluierte erst vor 1 Millionen Jahren (Homo erectus), bzw. vor 250.000 Millionen Jahren (Homo sapiens). Ich spreche von dieser Evolution des Menschen in diesem Zusammenhang nur, um einen zeitlichen VERGLEICH zu haben, eine Anschauung zu gewinnen von den Zeiträumen, in denen damals, vor 65 Millionen Jahren, sich Evolution vollzog.

  1. How life blossomed after the dinosaurs died. By Elizabeth Pennisi, Oct. 24, 2019, https://www.sciencemag.org/news/2019/10/how-life-blossomed-after-dinosaurs-died (Bild: https://www.sciencemag.org/sites/default/files/styles/inline__699w__no_aspect/public/Extinction_chart_3.5_Drupal_D1.jpg?itok=LMOv58ue)
  2. Exceptional continental record of biotic recovery after the Cretaceous-Paleogene mass extinction. T. R. Lyson, I. M. Miller, (...) D. W. Krause, S. G. B. Chester. https://science.sciencemag.org/content/early/2019/10/23/science.aay2268
  3. Ezcurra MD, Butler RJ. 2018: The rise of the ruling reptiles and ecosystem recovery from the Permo-Triassic mass extinction. Proc. R. Soc. B 285: 20180361. http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2018.0361
  4. https://en.wikipedia.org/wiki/Archosauromorpha
  5. https://de.wikipedia.org/wiki/Trias_(Geologie)

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