Ein Blausäuregemisch, das die Welt veränderte • Zyklon B

Gewalt und deren Ausübung kennen und kannten Menschen schon immer, auch sie wird und wurde immer in den Wertekatalog der Menschen aufgenommen; ebenso wie das Maß der Gewalt, das als ‚erträglich’ zu gelten hatte. In allen Teilen der Menschheitsgeschichte gab es Gewalt und die Gesellschaften stellten sich darauf ein, hatten Mechanismen erlernt, sich dieser zu entziehen, beziehungsweise diese auszuüben; je nach Position des einzelnen Protagonisten.

Schlug Gewalt in Grausamkeit um, reagierte die Gesellschaft mit Sanktionen, diese konnten von der einfachen Missbilligung bis hin zur Verfolgung der Täter reichen, je nach Wertekatalog der entsprechenden Gesellschaftsordnung. Steigerungen von Grausamkeiten, fanden selten Eingang in gesellschaftliche Vorgänge, dies ist auch daran zu erkennen, dass den Menschen die Begrifflichkeit des Ausdruck ihres Entsetzens fehlt; denn für das, wofür es Bilder im Kopf der Zyklon B IMenschen gibt, gibt es auch Worte; werden solche Bilder für die Menschen unerträglich, fehlen auch die Begrifflichkeiten.

Hat Gewalttätigkeit noch eine Motivlage innerhalb einer Gesellschaft, wie zum Beispiel Macherhalt, Krieg oder auch Selbstverteidigung; so ist Grausamkeit sich selbst genug, benötigt also kein Motiv seitens des, beziehungsweise der Täter. Doch werden sich Täter, die Grausamkeiten verüben immer ‚Anerkennung’ verschaffen, ob es die Soldaten im Zweiten Weltkrieg waren, die die Bärte alter, jüdischer Männer anzündeten und dabei ihre lachenden Kameraden um sich scharrten, oder Jugendliche auf U-Bahnhöfen auf Wehrlose eintreten, immer werden die Täter sich ihre Grausamkeit von Umherstehenden ‚erlauben’ lassen. Erfolgen keinerlei Sanktionen gegen solche Täter seitens der Gesellschaft, werden diese Grausamkeiten zur perfiden ‚Lustbarkeit’.

Auch wenn in dieser sachlichen Kurzbeschreibung von Gewalt und Grausamkeit das Leid der Opfer kurz ausgeblendet wurde und auch nicht darauf eingegangen wird, welche charakterlichen Eigenschaften Täter von Grausamkeiten von vornherein in sich tragen, so ist doch auch hier deutlich, welchen Anteil eine Mehrheitsgesellschaft an Vorgängen von Grausamkeit hat, stellt sie sich dieser nicht entschieden entgegen.

Wie bereits angemerkt, haben Grausamkeiten und ihre Steigerungen seltenst Eingang in die Köpfe der Menschen gefunden, so ist es auch wenig verwunderlich, dass der Einzelne, der von Vergasungen von Menschen erfuhr, dies nicht glauben konnte. Selbst Überlebende der Shoah berichteten, dass sie, bereits im Vernichtungslager anwesend, wohl wissend um die Fakten, diese kaum erfassen konnten. Ein Überlebender des Sonderkommandos von Auschwitz, der im inneren der Hölle arbeiten musste, konnte kaum das offensichtliche begreifen. Der industrielle Ablauf der Vernichtung von Menschen hatte damals keine Vergleichbarkeiten für die Vorstellungskraft der Menschen, und bis Heute ist dies für uns kaum nachzuvollziehen, auch wenn wir um die Fakten und Vorgänge wissen.

So ist durchaus davon auszugehen, dass Walter Heerdt, der als Erfinder des sogenannten Zyklon B, einem Blausäuregemisch, gilt, eine andere Verwendung für seine Erfindung sah, die unter der Nummer DE 43 88 18 am 27. Dezember 1926 beim Reichspatentamt zum Patent ernannt wurde. Es galt als effizientes und für Menschen handhabungssicheres Schädlingsbekämpfungsmittel. Der Wirkstoff wurde von den Dessauer Werken für Zucker-Raffinerie GmbH und ab 1935 auch bei der Kaliwerke AG im tschechischen Kolín im Auftrag der Degesch hergestellt, einer Tochtergesellschaft der Degussa, des I.G. Farben-Konzerns. Zyklon B wurde über die Handelsunternehmen Tesch & Stabenow (Testa) und Heerdt Lingler (HeLi) vertrieben. Hauptsächlich benutzt wurde Zyklon B zum begasen von Massenunterkünften und Bekleidungskammern, zur Bekämpfung von Läusen und Wanzen. So sind die Fakten dieses Giftgases kurz beschrieben, noch kürzer in der Formel HCN. Den dickwandigen Dosen mit einem Granulat ähnlichem Gemisch wurde ein Reizstoff aus Bromessigsäuremethylester beigemischt, damit der Mensch bei Verdunstung gewarnt wurde, dieser warnende Reizstoff wurde später für die Vergasung von Menschen weggelassen.

In der NS-Zeit waren die Wehrmacht, aber auch die Konzentrationslager, um nur zwei zu nennen, große Abnehmer von Zyklon B, um Räume und Uniformen, beziehungsweise Häftlingskleidung von Schädlingen zu befreien.

Doch wie kommt man auf die Idee Menschen in größerem Umfang mit diesem Giftgas zu morden?
Rechnung Zyklon B ohne WarnstoffAls die Wahl auf das Zyklon B fiel, war der Schritt zur Ermordung von Menschen durch Giftgas bereits getan, denn neben Tabletten und Spritzen wurden im Rahmen der Euthanasie Tausende von Alten, Kranken und Behinderten durch Abgase ermordet, in Gaskammern, die in einzelnen psychiatrischen Anstalten installiert wurden. Diese ‚Erfahrungen’ flossen in die Überlegungen der groß angelegten Vernichtung von Millionen ein. Die nächste Stufe war die Vergasung von Menschen durch Abgase mittels riesiger Verbrennungsmotoren, ähnlich also dem Euthanasie-Programm, doch in weitaus größerem Ausmaß. Eine Methode, die in vielen Vernichtungslagern angewandt wurde. Hinzu kamen die ‚mobilen’ Vergasungsmethoden, hier wurden die Abgase in dafür umgebaute Busse gelenkt und die Opfer starben während der Fahrt zu den Massengräbern. Doch all diese Methoden hatten aus Sicht der Betreiber zu viele Einschränkungen, waren reparaturanfällig und gewährten nicht immer einen ‚reibungslosen’ Ablauf der entsprechenden Aktionen, so wurde weiter gesucht, um die leiseste Methode der Massenvernichtung von Menschen zu finden. Auf die Idee ein Schädlingsbekämpfungsmittel zu verwenden ist dann nicht weit hergeholt, wenn man sich die Sprache der Nationalsozialisten in Hinsicht auf die Juden anschaut. So schrieb Hitler in Mein Kampf: „Der Jude ist und bleibt der typische Parasit, ein Schmarotzer, der wie ein schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet, sowie nur ein günstiger Nährboden dazu einlädt.“ Auch gab es viele andere Vergleiche zwischen Schädlingen und jüdischen Menschen, meistens waren diese Vergleiche aus der Sprache der Schädlingsbekämpfung entlehnt, auch filmisch wurde ähnliches umgesetzt. Der gedankliche Schritt zum Mord durch ein Mittel dieser Art, war nach solcher Indoktrination kein besonders großer, deren Ausführung natürlich schon. Bereits 1940 soll es Versuche der Menschenvernichtung mit Zyklon B im Konzentrationslager Posen gegeben haben, doch diese Angaben sind historisch und faktisch nicht verifiziert, obwohl einiges darauf hindeutet. Erst Rudolf Höß, der Lagerkommandant von Auschwitz, verwendete Zyklon B in großem Stil, hier im Stammlager Auschwitz wurden auch die ersten ‚Probevergasungen’ an Menschen vollzogen, zuerst an Polen, dann an sowjetischen Kriegsgefangenen. Im September 1941 wurde im Lager Auschwitz I eine Gruppe sowjetischer Kriegsgefangener und anderer Häftlinge mit Zyklon B getötet, bei einer dieser ‚Probevergasungen’ war Heinrich Himmler anwesend; als dieser ‚zufrieden’ mit dem Ergebnis und der Schnelligkeit der Tötung war, setzte Rudolf Höß die Planung von weiteren Gaskammern und den dazugehörigen Krematorien in Auschwitz-Birkenau fort.

Hunderte, Tausende, Millionen von Menschen wurden durch Zyklon B ermordet, neben Roma und Sinti, Kriegsgefangenen und Kranken, vor allen Dingen Juden: Männer, Frauen und Kinder aus ganz Europa.

Etikett Zyklon BAuch in anderen Lagern wurde Zyklon B zur Vernichtung von Menschen verwendet, so in Majdanek, Stutthof, Neuengamme, doch in weitaus geringerem Maße. In Dachau gab es eine neu errichtete Gaskammer für die Verwendung von Zyklon B, doch kam diese hier vor der Befreiung durch die Alliierten nicht mehr zum Einsatz.  

Bei der Beschaffung von Zyklon B im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau war SS-Obersturmführer Robert Mulka tätig, der auch Opfer in die Gaskammern führte und unter anderem deswegen beim Frankfurter Auschwitz-Prozess verurteilt wurde. Auch die Verantwortlichen der Lieferfirmen Degesch/HeLi und Testa standen vor Gericht. Bruno Tesch und sein Geschäftsführer wurden von der britischen Militärjustiz im Testa-Prozess zum Tode verurteilt und hingerichtet. Gerhard Peters von der Degesch wurde zunächst zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, nach teilweiser Verbüßung jedoch im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen.

Weiterlesen:

➼ Stammlager Auschwitz I • Einrichtung und Entstehung

➼ Die Häftlings-Euthanasie • Die Aktion 14 f 13

Quelle aller Fotos: wikimedia.org 


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