Ein bisschen Hippie in Gokarna

Erstellt am 11. Dezember 2013 von Florian R

„Du hättest es vor 30 Jahren sehen müssen – beautiful!“ Diesen und ähnliche Sätze hört man oft in Gokarna. Sie stammen meist von Herrschaften in den späten 60igern, die auf ihren Plastikstühlen sitzen und auf die Bucht von Om-Beach blicken. Sie sehen nicht aus wie typische Rentner in ihrem Winterdomizil. Sie haben lange Dreadlocks oder bunt gefärbte Haare, sie tragen verschiedene Ketten und Armbänder oder sind am ganzen Körper tätowiert. Ja sie sind es: die alten Hippies aus den 70iger und 80iger Jahren, die sich einst aufmachten mit Ihrem VW-Bulli Indien zu entdecken und dafür ganz Europa und halb Asien durchquerten. Einige von Ihnen haben sich in jener Zeit durch ganz Indien geschlagen und was sie fanden, waren die wunderschönen Strände von Gokarna. Manch einer ist geblieben oder kommt regelmäßig zurück.

„Als ich 25 war, hatte ich die beste Zeit meines Lebens hier und nun mit 70 Jahren fühlt es sich immer noch ein bisschen wie damals an“. Als John das zu mir sagt, sitzt er wie jeden Morgen auf seinem Stuhl vor dem Restaurant und raucht seine Marlboro.


Wir schauen gemeinsam auf das Meer hinaus. Es ist früh am morgen, der Wind der vom Indischen Ozean kommt ist noch kalt. Der Strand ist noch verweist, ein paar Kühe laufen an uns vorbei und da kommt der Satz wieder: „Du hättest es vor 30 Jahren sehen müssen – beautiful!! – Damals gab es nichts hier, kein Guesthouse, keine Restaurants, keinen Strom und kein Internet“, dann schreitet ein Polizei-Officer an uns vorbei, kritisch blickt er auf unsere Morgenzigaretten, doch auch für ihn ist es zu früh, um sich mit uns anzulegen. (In Gokarna ist das Rauchen in der Öffentlichkeit verboten). John sagt mit einem Lächeln auf den Lippen: „Ach ja – Polizei gab es damals auch nicht.“ Ich muss schmunzeln.
John ist nur ein Beispiel für die Übriggebliebenen. Sie erzählen täglich ihre Geschichten von damals, sie beschreiben, sie erklären und sie träumen von längst vergangen Zeiten. So manche Geschichte macht mich neidisch. Om-Beach ist heute noch ein Paradies und einer der schönsten Orte die ich je in meinem Leben sehen durfte. Doch wie schön muss es erst völlig unberührt gewesen sein.

Aber dann frage ich mich, warum neidisch sein? Dieser Flecken Erde ist so wunderschön, jetzt und hier. Nicht vor 30 Jahren, sondern jetzt! Ich fange an über die „alten“ Hippies nach- zudenken. Sie hängen so sehr an der Vergangenheit, dass sie die immer noch vorhandene Schönheit und den Reiz nicht erkennen oder einfach ignorieren. Und sie profitieren ebenfalls von der verbesserten Infrastruktur. Ich kann mir kaum vorstellen das John mit seinen 70 Jahren und seinem vom Drogenkonsum geschunden Körper, Spaß daran hätte jeden Tag Feuerholz zu suchen, um sich sein Essen zu kochen. Es ist doch erheblich einfacher sich Kartoffelbrei und Schnitzel (sein Lieblingsessen) im Restaurant zu bestellen.

Es gibt für alles im Leben seine Zeit und seinen Ort. Die Zeiten, wo man in Indien unbekannte Orte finden konnte, sind leider nahezu vorbei. Doch wer das Gefühl von damals nachempfinden möchte, der kann es, wenn er will. Paradise-Beach heißt die Lösung. Dieser Strand ist nur per Boot oder durch einen beschwerlichen Fußweg zu erreichen. Dort gibt es nix! Kein Guesthouse, keine Restaurants, keinen Strom und kein Internet.- wie von John beschrieben.

Ich selbst habe 8 Nächte dort verbracht. Schlafen in der Hängematte, zwischen zwei Palmen, jeden Tag Feuerholz suchen und Feuer machen, um Essen zu kochen. Ich habe die Zeit und die Erfahrung am Paradise-Beach vollends genossen und kann auch etwas nachvollziehen, warum die „alten“ Hippies der Vergangenheit etwas nachtrauern. Doch weiß ich auch die moderne Art des Backpackings zu schätzen. Was ich allerdings noch mehr schätze sind die Momente, wenn diese zwei Reisewelten auf- einander treffen. Wenn die Hippies ihre Geschichten von früher erzählen und wir jungen Menschen gespannt zuhören und mit Ihnen gemeinsam zurück in der Zeit reisen und ich nun darüber im Internet schreiben darf.