Stephen Stuart : Oliver, berichte doch einmal, wie Du dazu gekommen bist, Dich in der Humanisten-Bewegung zu engagieren?
Oliver-Martin Rapsch: Das ist eine lange Geschichte. Nachdem ich getauft wurde und in einer oberflächlich-christlichen Familie groß geworden bin, entwickelte ich nach und nach ein Interesse an Wissenschaften. Meine erste Freundin entstammte einer tiefreligiösen katholischen Familie und da man ja als junger, verliebter Mensch alles über seine Partnerin erfahren möchte, begleitete ich sie und ihre Familie zur Messe. Ich war etwas schockiert, erst zu sehen wie sich Menschen bekreuzigten und unterwürfig verhielten und dann anschließend arrogant gesagt zu bekommen, dass ich als Lutheraner ja sowieso nichts verstehen würde. Bei dieser Gelegenheit habe ich zum ersten Mal gemerkt, was die Kirche aus einem Menschen machen kann. Als ich mehr und mehr über Wissenschaft las war das wie ein geistiger Sonnenaufgang: Ein Weltbild, dass keinen Gott erforderte, stattdessen Evolution – was für ein aufregender Gedanke! Vor ungefähr acht Jahren traf ich dann meine jetzige Freundin, die einer methodistischen Familie entstammt, in der mir dann wieder dasselbe bornierte Verhalten begegnete. Ich dachte, dass sie wohl sehr unsicher sein müssten und nach jemandem suchten der ihnen Geborgenheit geben würde. Ich bin daran gewöhnt, rational zu denken und schließlich gerieten wir aneinander. Von meinen Verwandten war niemand daran interessiert, zu philosophieren.
Auf den Humanismus bin ich durch Zufall gestoßen, ich hatte über Erasmus von Rotterdam gelesen und fand seine Gedanken sehr attraktiv und was ich über den neuen Humanismus las, zog mich sogar noch mehr an. Ich nahm an einer Versammlung von Humanisten in Berlin teil und fand heraus, dass es noch mehr Leute gab, die dachten wie ich: Plötzlich war ich nicht mehr allein. Ich bin sehr froh, dass ich diese Menschen getroffen habe und auch froh über den entspannten Umgang, den wir miteinander haben.
Stuart: Es ist eigenartig, dass wir religiöse Gruppierungen missbilligen und doch nichtreligiöse Gruppen bilden, die sich gegenseitig unterstützen. Es ist eine wahrhaft menschliche Eigenschaft, dass man häufig Unterstützung benötigt, die man von Menschen erhält, die auf derselben Ebene denken.
Rapsch: Na ja, ich missbillige religiöse Gruppen ja nicht: Sie besitzen das absolute Recht, ihren Glauben zu haben und ihn auszuüben, so lange sie niemand anderen dadurch unterdrücken. Unglücklicherweise tendieren sie dazu, sich innerhalb ihrer Gruppe zu respektieren, aber auf die herabzusehen, die nicht dazugehören. Uns allen kann das passieren, aber ich glaube, wir Humanisten sind da etwas toleranter.
Stuart: Wenn man Deutschland als Ganzes betrachtet, wie sieht die derzeitige Situation des Humanismus und dessen Entwicklung aus?
Rapsch: Um ehrlich zu sein: Humanisten bilden nur einen Bruchteil der Gesellschaft. Was die GBS sich als Ziel gesetzt hat, ist die Arbeit als „Think-Tank“, eine Ethik des 21. Jahrhunderts zu entwickeln. Die Hauptaufgabe, so wie ich sie sehe, besteht darin, Menschen, die ähnlich denken, zusammenzubringen. Die meisten Humanisten sind recht gebildet und an neuen Ideen interessiert. Unglücklicherweise gibt es meiner Ansicht nach keinen Politiker, der sich öffentlich zum Humanismus bekennt. Es ist offensichtlich leichter, Wählerstimmen zu gewinnen, indem man auf christliche Geschichte und christliche Werte in den Vordergrund stellt und es gibt nicht viele Menschen, die humanistische Werte als solche kennen.
Stuart: Daraus folgt, dass eine Aufgabe des Humanismus darin besteht, die Menschen im allgemeinen darüber zu informieren, dass man auch ohne religiösen Glauben ein guter Mensch sein kann, dass man sich selbst respektieren und sich auch ohne Gott ehrenwert verhalten kann
Rapsch: Ich hätte es selbst nicht besser ausdrücken können: Das ist definitiv der Fall. Das Interessante daran ist, dass die große Mehrheit in Berlin das bereits verstanden hat ohne sich darüber im Klaren zu sein. Erst letztes Jahr gab es eine Abstimmung über Religionsunterricht in Schulen, in der Leute gebeten wurden, darüber zu entscheiden, ob Religionsunterricht verbindlich sein sollte oder nicht. Der Lehrplan beinhaltete bereits Ethik und man sollte zwischen evangelischen, katholischen oder muslimischen Unterricht und Ethik wählen können. Der Antrag, dass Religionsunterricht verbindlich sein sollte wurde von den Kirchen gestellt.
Stuart: War die Abstimmung etwas, dass wir ein Referendum nennen, also verbindlich für die Regierung oder handelte es sich um eine Empfehlung für die Regierung, wie sie handeln sollte?
Rapsch: Sie wäre verbindlich für die Regierung gewesen. Eine Volksabstimmung war etwas sehr Neues für Deutschland und Berlin, denn man war bisher nicht in der Lage gewesen, Entscheidungen direkt beeinflussen zu können. Es wurden viele Leute benötigt, die eine Petition unterschreiben mussten um die Volksabstimmung durchführen zu können, im Falle Berlins so ungefähr 300.000, und diese Zahl wurde auch erreicht. Als dann die Volksabstimmung tatsächlich durchgeführt wurde und die Leute tatsächlich abstimmten, na ja, von da an ging es bergab für die Kirche. Die Menschen informierten sich darüber, was die Kirche tatsächlich unter dem Begriff Religionsunterricht verstand und meinten: „Nein, SO wollen wir das nicht, es stimmt nicht, dass Werte Gott benötigen“. Dies war eines der Schlagworte, die die Kirche benutzte: „Werte brauchen Gott“ und damit Leute, die eben nicht an Gott glauben beinahe zu Kriminellen stempelte. Dies war einer der Gründe, die Leute dazu brachten, mit „Nein“ zu stimmen.
Ethikunterricht wird also weiterhin durchgeführt und kann nicht abgewählt werden, indem man ihn durch Religionsunterricht ersetzt. Die Gründe für die Einführung des Ethikunterrichts war übrigens ein so genannter „Ehrenmord“, bei dem ein Mädchen von ihren Brüdern getötet wurde, weil diese der Ansicht waren, sie hätte die Familie entehrt.
Stuart Ich glaube, es gibt einen derartigen Fall nicht in Australien, zumindest keiner, der mir bekannt wäre. Aber das ist natürlich eine Bedrohung und ich hoffe wir sind in der Lage, angemessen darauf zu reagieren. Was wir bisher getan haben, ist die Beschneidung von Mädchen absolut illegal zu machen. Es ist zumindest ein Schritt gegen die Scharia oder wogegen auch immer.
Rapsch: In diesem Zusammenhang ist es vielleicht interessant zu erfahren, dass es in Deutschland sehr populär ist, Kinder aus der Dritten Welt virtuell zu adoptieren indem man sie durch regelmäßige Geldüberweisungen unterstützt, die primär für die Ausbildung des Kindes gedacht sind, welches Afrika oder Bangladesch oder wo auch immer bleibt. Die überwältigende Mehrheit der Menschen, die sich für dafür interessieren, sind sich jedoch nicht darüber im Klaren, dass keine der Organisationen, die diese Adoptionsform anbietet, sich gegen weibliche Beschneidungen aussprechen, dies würde als Post-Imperialistische Einmischung betrachtet.
Stuart: Aber dies findet in deren eigenem Land statt, ich sprach hingegen über Dinge, die in diesem Land geschehen.
Rapsch: Ja, aber diese Organisationen können Einfluss nehmen. Sie sollten sagen: „Wenn ihr euer Kind beschneiden lasst, bekommt ihr kein Geld von uns, da ihr es verstümmelt und ihm schadet.“
Stuart: Also sollten Humanisten das publik machen?
Rapsch: Ja. Die einzige Organisation, die ich kenne und die sich dieses Themas annimmt, heißt WHOA.
Stuart: Australier halten Deutschland für die Wiege des Europäischen Individualismus und sind daher über die Verflechtung von Kirche und Staat überrascht. Wir meinen, Deutschland sei ein Bannerträger der Säkularisierung, zwar ohne Zweifel sehr religiös aber als Privatsache. Inwiefern ist es keine Privatsache? Und wie kam es dazu? Ist es eine Geschichte, die bis zum Kaiser zurückgeht?
Rapsch: Nun, sogar noch weiter. Im Mittelalter erhielten nicht nur weltliche Fürsten, wie z.B. Herzöge, ihr Land vom Kaiser als Lehen, sondern auch Kirchenvertreter wurden Vasallen. Dies führte zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Kaiser und der Kirche über das Recht, einen Bischof einzusetzen, den sogenannten Investiturstreit: Der Kaiser meinte, er würde natürlich berechtigt sein, zum Bischof zu ernennen wen immer er wollte, denn es sei ja schließlich sein Land, wohingegen der Papst meinte, sein Reich sei nicht von dieser Welt, nur er könne Menschen erheben oder erniedrigen. Dies geschah bereits recht früh, im 11. Jahrhundert, als der Kaiser schließlich nach Canossa gehen musste um sich vor dem Papst in den Staub zu werfen, da dieser ihn zuvor mit dem Kirchenbann belegt hatte. Später kam es zwischen Protestanten und Katholiken zum Dreißigjährigen Krieg, der das Deutsche Reich verwüstete und es in viele kleine Fürstentürmer aufgeteilt hinterließ. Das Deutsche Reich existierte weiter bis 1805, als es durch Napoleon Bonaparte abgeschafft wurde.
Aber bereits 1803, als Napoleon die westrheinischen Fürstentümer besetzt hielt, verloren einige Herzöge und Grafen ihr Ländereien und etwas musste geschehen, da diese von dem Land lebten und weder willens noch in der Lage waren für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten. Also wurde ein Beschluss gefasst, Kirchenländereien aufzulösen und den Gebieten säkularer Herrscher zuzuschlagen. Plötzlich hatten die Kardinäle und Bischöfe keine Lehnsgüter mehr, und mussten daher vom Staat unterhalten werden. Dieser Ausgleich war allerdings nur für eine Generation gedacht, wird tatsächlich aber bis zum heutigen Tag gezahlt. Die Grundlage für die Besoldung der Kirchenfürsten durch den Staat wurde also bereits 1803 gelegt.
Um 1870 führte der damalige Reichskanzler Bismarck einen sogenannten „Kulturkampf“ gegen die Katholische Kirche, den er verlor. Er war lediglich in der Lage, die „Zivilehe“ einzuführen, bei der die Ehepartner verpflichtet sind, ihre Ehe durch eine staatliche Einrichtung bestätigen zu lassen. Man kann zwar zusätzlich eine Zeremonie in einer Kirche durchführen lassen, aber diese allein macht die Verbindung nicht gültig. Bismarck gelang es nicht, Deutschland weiter zu säkularisieren. Er wurde noch erreicht, dass Religionsunterricht durch den Staat angeboten wurde. Seitdem kann die Kirche auch verlangen, dass ein gewisser Prozentsatz der Professorenstellen in Deutschland durch die Kirche vergeben wird, da die Kirche diese Professuren praktisch besitzt. Ein weiterer Schritt zur Verflechtung von Staat und Kirche.
Als Adolf Hitler 1933 an die Macht kam, wurde er unverzüglich vom Vatikan um den Abschluss eines Konkordats, eines Vertrages zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan, ersucht.
Stuart: Glaubst Du persönlich, dass Hitler Katholik war? Manche Leute behaupten, er sei Atheist gewesen.
Rapsch: Nun ja, er war definitiv kein Atheist, er glaubte ja unter anderem an die Vorsehung. Er wurde zwar als Katholik erzogen, aber ich würde ihn nicht als strenggläubigen Katholiken bezeichnen. Aber er war auch kein Atheist. Ihm war sehr wohl bewusst, wie er die Kirche instrumentalisieren konnte und er wurde unbestreitbar von der katholischen Kirche unterstützt. Erst 1944 wandten sich einige Kardinäle gegen ihn, aber das war sehr spät, als bereits das Ende absehbar war. Widerstand, sofern es die Kirche betraf, kam aus den Reihen der Protestanten, allerdings gegen den Willen ihrer Kirche. Die Kirchenorganisationen unterstützten Hitler voll und ganz. Durch den methodistischen Hintergrund meine Freundin beschäftigte ich mich auch mit der Rolle dieser Kirche im Dritten Reich und erfuhr, dass die Methodisten Hitler bis zum Schluss unterstützen, er ist durch sie nie kritisiert worden – eines der dunklen Kapitel dieser Kirche.
In den fünfziger Jahren wurde die Gültigkeit des Konkordats bestätigt und es bleibt bis zum heutigen Tage gültig. Wir haben also derzeit eine Situation, in der die Kirche in Deutschland sehr stark aufgestellt ist, obwohl dies nicht mehr die Bevölkerungsstruktur widerspiegelt. In Deutschland sind zurzeit etwa 30% der Bevölkerung protestantisch, weitere 30% katholisch und der Rest gehört anderen Religionen an oder ist konfessionslos.. Methodisten beispielsweise zählen dabei zu den Protestanten.
Stuart: Erzähl mir jetzt bitte etwas mehr über das Steuersystem, dass durch das Konkordat und andere Einflüsse etabliert worden ist.
Rapsch: Dies ist in der Tat sehr interessant, da der Staat den Kirchen bei der Eintreibung der Steuern hilft. Wenn auf der Steuerkarte „katholisch“ oder „evangelisch“ steht, zieht der Staat automatisch 9% von der Einkommensteuer ein und leitet sie an die jeweiligen Kirchen weiter. Dies ist ein Steuergeschenk des Staates an die Kirchen. Nun wird häufig gesagt: „Wenn Du die Kirche nicht mehr finanziell unterstützen willst, warum trittst Du dann nicht einfach aus und zahlst keine Kirchensteuer mehr?“. Nun, man vermeidet dann zwar, diese 9% Kirchensteuer zu zahlen, verhindert dadurch aber nicht die Finanzierung der Kirchen durch Steuergelder, denn die hauptsächliche Anteil der Finanzierung der Kirchen geschieht durch den Staat mit Steuermitteln. Für Sozialdienste wie z.B. katholische Kindergärten, katholische Krankenhäuser oder evangelische Krankenhäuser steuern die Kirchen nur 2% der Mittel bei, der Rest wird aus Steuermitteln finanziert, also durch jeden: Muslim, Humanist, Atheist oder wen auch immer. Nun behaupten die Kirchen, sie böten ihre Dienste schließlich für jeden an. Ja, das stimmt zwar, aber um z.B. als Krankenschwester in einem katholischen Krankenhaus arbeiten zu können, muss man der katholischen Glaubensgemeinschaft angehören und somit 9% Kirchensteuer zahlen. Das System finanziert sich also nahezu von selbst, da die Angestellten gezwungen sind, für die Kirchenzugehörigkeit zu zahlen.
Stuart Wie sieht es mit den Schulen aus? Würden die Lehrer dem richtigen Glauben angehören müssen?
Rapsch: Wir haben zwar einige Schulen, die der Kirche gehören, allerdings sind diese in der Minderheit, da die meisten Schulen durch den Staat verwaltet werden. Aber doch, ja, sobald Du bei einer kirchlichen Organisation angestellt bist, musst Du deren Glaubensrichtung angehören. Derzeit gehören ca. 80 bis 90% aller sozialen Einrichtungen in Deutschland der Kirche. Als Atheist muss man also entweder heucheln und vorgeben evangelisch oder katholisch zu sein und Kirchensteuer zahlen oder damit rechnen, keine Arbeitsstelle zu bekommen.
Stuart: In Krankenhäusern ist das ziemlich kritisch, oder? Denn es gibt ja viele kirchliche Krankenhäuser. Wenn es nur wenige kirchliche Schulen gibt, kann ein Lehrer ja „Nein, Danke, ich arbeite lieber in einer anderen Schule“ sagen. Aber als Chirurg in einer Klinik hätte man weniger Wahlmöglichkeiten.
Rapsch: Ich glaube nicht, dass die Situation so ernst ist, was Krankenhäuser betrifft. Sozialeinrichtungen sind schlimmer dran. Wenn Menschen alt und gebrechlich werden und man sich um sie kümmern muss, liegt deren Pflege fest in den Händen der Kirche. Meine Freundin leidet ebenfalls darunter. Sie ist Humanistin und arbeitet für eine Pflegeeinrichtung. Ihr Arbeitsvertrag legt klipp und klar fest, dass sie sich nicht an atheistischen Veranstaltungen beteiligen darf. Wenn sie sich jemals humanistisch engagieren wollte, dürfte sie das nicht. Wir Humanisten verstehen uns zwar nicht automatisch als Atheisten, da gibt es schon noch einen Unterschied – aber die Kirche sieht das wohl etwas anders.
Stuart: Erzähl uns mehr über die Giordano Bruno Stiftung.
Rapsch: Ich habe schon erwähnt, dass die GBS sich als Think Tank versteht, die eine Ethik für das 21. Jahrhundert entwickelt. Menschen können Werte auch ohne Gott haben. Wir finden diese Werte größtenteils bereits vor. Dies ist eine der Aufgaben der GBS. Wie viel ist ein dem Menschen eigentümlicher Sinn für Fairness und wie viel davon ist Erziehung? Es ist sehr interessant, diese Diskussion zu verfolgen. Eine Diskussion ohne Grenzen, die sich über Jahre, vielleicht Jahrhunderte hinzieht. Was heute als ethisch gilt, mag auch in tausend Jahren seine Gültigkeit haben, wohingegen Moral von der jeweiligen Gesellschaft abhängig ist. Ein Bürger des Römischen Reiches mag eine andere Vorstellung von Moral gehabt haben als ein Mensch im mittelalterlichen Deutschland oder ein Einwohner des Dritten Reiches. Moral wird von der Gesellschaft diktiert, wohingegen Ethik ein allgemeines faires Verhalten der Menschen untereinander meint.
Die Goldene Regel „verhalte Dich anderen gegenüber so, wie Du selbst behandelt werden möchtest“, steht zwar auch in der Bibel, gab es aber schon viel früher und ist immer noch gültig. Dies ist in groben Zügen, womit sich die GBS beschäftigt.
Wie ein Konzern Tochtergesellschaften hat, so hat die GBS Ortsgruppen, eine davon in Berlin. Es gibt noch andere, in Köln z.B. oder in der Schweiz, wo sich gerade eine Ortsgruppe gründet. Die Berliner Gruppe wurde letztes Jahr im Juli gegründet, direkt im Anschluss an die Buskampagne. Die Buskampagne kam ursprünglich aus England, Busse wurden mit Aufschriften versehen „Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott. Ein erfülltes Leben braucht keinen Glauben.“. In Deutschland wollten wir das ebenfalls machen. Unglücklicherweise war ich daran nicht beteiligt, ich bin erst später dazugestossen. Der erste Vorsitzende unserer Ortsgruppe in Berlin war übrigens Sprecher der Buskampagne aber ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, wie ich ihn kontaktieren konnte.
Stuart: Du hast gesagt, für die Buskampagne sollte ein Bus gemietet werden und umherfahren. Nur in Berlin oder auch außerhalb?
Rapsch: Durch ganz Deutschland. Es war notwendig geworden, einen Bus zu mieten, da die Betreiber der öffentlichen Verkehrsmittel durch die Bank weg die Erlaubnis verweigerten, eine entsprechende Anzeige auf ihren Fahrzeugen zu schalten. Sie redeten sich damit heraus, dass sie keine weltanschauliche Werbung zulassen würden und vergaßen dabei, dass bereits überall große Plakate mit Sprüchen wie „Jesus, Richter oder Retter?“ und dergleichen gezeigt wurden. Das gab uns allerdings die Chance, auf diese Umstände hinzuweisen und zumindest in Berlin verschwanden diese Anzeigen. Ab und an sieht man noch welche, allerdings recht klein und nicht für lange. Sie haben meiner Ansicht nach also eher das Gegenteil dessen was sie beabsichtigten erreicht.
Nach der Buskampagne stellte sich heraus, dass eine ganze Anzahl Menschen daran interessiert ist, Gleichgesinnte zu treffen und die Berliner Ortsgruppe wurde gegründet. Ich wusste damals von der GBS, mir war aber nichts über die Ortsgruppen bekannt. Allerdings interessierte ich mich sehr für den Sprecher der GBS, Michael Schmidt-Salomon, der drei Monate nach der Gründung der Ortsgruppe nach Berlin kam. Dabei hatte ich die Gelegenheit, einem Vortrag zuzuhören und erfuhr dort auch über die Existenz der Berliner Ortsgruppe, der ich umgehend beitrat. Michael Schmidt-Salomon präsentierte sein Buch „Jenseits von Gut und Böse“, in dem er zwischen Ethik und Moral unterscheidet – wir haben ja bereits darüber gesprochen. Er schreibt, dass Menschen, die wir gemeinhin als „böse“ ansehen, sich selbst nicht als böse betrachten. Sogar Hitler dachte, er würde dem deutschen Volk etwas Gutes tun, indem er ein Volk vernichtete, von dem er annahm, es würde sein auserwähltes deutsches Volk unterdrücken. Er betrachtete sich selbst also sicherlich nicht als „böse“. Um dieses Prinzip geht es in dem Buch: „Gut“ und „Böse“ als absolute Werte abzuschaffen und durch eine ethische Sichtweise zu ersetzen: „Ist das, was ich tue, fair gegenüber anderen?“, „Würde ich selbst behandelt werden wollen, wie ich andere behandele?“.
Stuart: Fairness klingt relativer als Gut und Böse, die beide absolut Werte sind. Man kann sich etwas ziemlich Faires vorstellen, etwas, das noch fairer ist oder etwas sehr Faires. Leute zu ermutigen in diesen Bahnen zu denken klingt bescheidener als sie aufzufordern grundsätzlich gut zu sein.
Rapsch: Ich finde diese Idee sehr anziehend, aber mir ist auch klar, dass einige Menschen nun einmal absolute Werte brauchen. Sie wollen nicht dieses knallharte Logik-Ding sondern sie benötigen einen festen Punkt in ihrem Leben. Ich verstehe das, aber ich wünschte, es wäre nicht so. Deshalb bin ich schließlich auch Humanist.
Jedenfalls, nachdem ich einige Monate Mitglied der Berliner Ortsgruppe war, trat der damalige 2. Vorsitzende aus persönlichen Gründen zurück und ich wurde an seiner Stelle gewählt, worüber ich sehr stolz bin.
Stuart: Glückwunsch!
Rapsch: Vielen Dank! Es handelt sich dabei um Menschen, mit denen ich gerne zusammen bin und die ich sehr schätze und ich bin stolz darauf, von diesen Leuten gewählt worden zu sein.
Stuart: Habt Ihr aktuell Aktionen zu laufen?
Rapsch: Ja, wir wollen humanistische Ideen aktiv fördern. Ich fürchte, wir haben keine Chance, der gesamten Bevölkerung den Humanismus nahezubringen aber wir wollen uns zumindest denen bekanntmachen, die sich bisher nicht darüber im Klaren sind, dass es noch mehr Leute gibt, die denken wie sie und sie wissen zu lassen, dass es uns gibt, wenn sie uns brauchen.
Und dann haben wir natürlich diese Situation mit der Kirche, die sich tief in Staatsangelegenheiten verstrickt hat. Wir wollen dagegen angehen, indem wir Leute darauf aufmerksam machen, denn die meisten Menschen wissen gar nicht, dass 98% der Finanzierung der Kirchenorganisationen durch ihre Steuergelder erfolgt. Fast eine halbe Milliarde Euro an Steuergeldern werden alleine für die Gehälter der Bischöfe und Kardinäle und deren Gefolgschaft ausgegeben. Soweit ich weiß betrifft das allerdings nicht den niederen Klerus, was auch erklärlich ist, wenn man sich an die Säkularisierung von 1803 erinnert, als die Kirchenfürsten durch den Staat bezahlt werden mussten.
Ansonsten kümmern wir uns um unsere eigene Weiterbildung und üben, wie man korrekt diskutiert und sammeln die Argumente die Gläubigen und Humanisten zur Verfügung stehen, denn man steht immer und immer wieder derselben Argumentation gegenüber. Welche Einwände gibt es dann? Unsere Mitglieder darüber zu informieren ist ebenfalls etwas, das wir tun.