Ein Artikel übers Radfahren ohne Rad zu fahren. „Häh? Was hat er denn für ein Problem?", werdet ihr euch jetzt vielleicht fragen. Und irgendwie habt ihr ja auch recht, denn für mich ist es schon tatsächlich fast eine Art Problem. Drei Wochen Urlaub, die ersten eineinhalb sind schon rum. Da sollte man meinen, dass ich schon etwas erholt bin. Ist ja auch so und ich freue mich riesig über diese Zeit, aber da ist auch eine große Leere. Irgendwie. Muss ich zugeben. Denn Radfahren ist in dieser Zeit bisher nicht drin gewesen auf dem Roadtrip zwischen den USA und Kanada. Die Familie ist froh, dass das Thema im Moment mal nicht allgegenwärtig ist. Die letzten Monate waren ja auch voller Events und Termine. Sicherlich kann ich das darum auch durchaus verstehen. Sie haben meinetwegen schon einige Entbehrungen und Kompromisse auf sich genommen. Da muss ich ihnen echt für danken und auch mal zurückstecken.
Doch ein dreiwöchiger Urlaub und dann fast so gut wie gar nicht mit dem Rad zu fahren? Das fühlt sich trotz allem wie ein kalter Entzug an. Zumindest stelle ich mir das so vor. Ja, in den drei Wochen werde ich zwar mal kurz auch mit dem Rad unterwegs sein. Zwei Touren sind da schon geplant. Doch wir reden von drei (!!!) Wochen. Für einen Vielfahrer, so würde ich mich ja schon einschätzen, ist die Zeit ohne seine Droge, dem Rad, eine harte Sache. Wenn wir da durch so schöne Örtchen zu Fuß flanieren und ich andere Radfahrer auf ihren frisch geputzten Fahrrädern durch die Straßen rollen sehe, dann geht ihnen mein Blick wehmütig hinterher, gefolgt mit einem innerlich tiefen Seufzer. Oder wenn sich da vor Traumkulissen von Natur sich plötzlich die tollsten (Rad)Wege auftun und ich das Gefühl habe genau hier und jetzt die besten und schönsten Momente auf dem Rad zu verpassen. Und auch hier dann im Geiste schon anfange zu planen, wie ich jemals hier und ganz genau hier fahren könnte. Kennt ihr das?
Mit dem Fahrrad zu den Niagara-Fällen! Das geht. Gilt gerade nur nicht für mich.
Ganz zu schweigen von dem Gefühl immer dicker zu werden. Zwar wird viel gelaufen und sich bewegt. Die Flanier-Meilen werden schon aufgesucht und auch das Sightseeing zu Fuß groß geschrieben, aber gegessen wird auch das ein andere Leckerchen. Und dass das nicht so effektiv wieder abgebaut wird, liegt auf der Hand. Dass diese Mischung in drei Wochen fatal sein kann, weil man ja auch gerade im Urlaub ungern darauf verzichtet und sich den kleinen Luxus dann doch mal gönnt, ist dann auch eher suboptimal.
Ich weiß es genau. Ihr denkt gerade darüber nach, wie ihr in dieser/ diesen Situation(en) verfahren würdet und wie ihr euch fühlen würdet. Aber ist das noch normal? Ist das Fahrrad wirklich wie eine Droge? Wie sich das Radfahren psychologisch auf unser Wohlbefinden auswirkt, ist schon öfters untersucht worden. Die Ergebnisse ähneln sich unterm Strich immer stark. Im Grunde wird immer von positiver Auswirkung auf die Gemütslage berichtet. Eine Tübinger Studie untersuchte dabei sogar depressive Menschen:
...Dazu ließen Sie ältere Menschen mit Depressionen rund 30 Minuten radeln. Zuvor und danach maßen Ärzte genau die Blutwerte, die bei der Entstehung von Depressionen eine zentrale Rolle spielen. Während die Werte der depressiven Menschen vor der Ausdauerbelastung wesentlich schlechter waren als die von gesunden Probanden, hatten sich die Werte bei fast allen Patienten nach dem Absolvieren der 30 Minuten wieder normalisiert.Als eine der wichtigsten Ursachen sehen die Wissenschaftler die verstärkte Ausschüttung sogenannter Glückshormone aufgrund der gleichmäßigen, zyklischen Bewegung. Diese Bewegungsform hat sowohl auf den Körper als auch auf die Psyche eine sehr entspannende Wirkung.
Bereits nach einer relativ kurzen Fahrt mit dem Fahrrad wird das Körpergefühl positiver und der Radler empfindet emotionale Harmonie...
Eine weitere Studie belegt weitere ( für bekennende Radfahrer nicht gänzlich unbekannte ) erstaunliche Fakten. Juliane Kämen, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität in Frankfurt/ Main stellte dazu in ihrer Masterarbeit in Zusammenarbeit mit der EcoLibro GmbH zum Thema „Mobilität und Gesundheit" fest:
- Nutzer aktiver Verkehrsmittel weisen die niedrigsten Body-Mass-Index (BMI) - Werte auf.
- Radfahrer weisen das höchste Wohlbefinden (Well-Being) auf.
- Das Fahrradfahren scheint eine positivere Auswirkung auf die Gesundheit der Mitarbeiter zu haben als die Ausübung von Sport.
- Die Zahl an unfallbedingten Krankheitstagen fällt bei ganzjährigen Fahrradfahrern gegen die sonstigen positiven Effekte vom Fahrradfahren auf die Gesundheit nicht ins Gewicht.
- Bei Teilnehmern mit über 30 Krankheitstagen pro Jahr machen PKW- und ÖPNV-Nutzer den höchsten Anteil aus, das Risiko einer Langzeiterkrankung ist bei Radfahrern dagegen am niedrigsten.
Aber was bedeutet das nun für mich persönlich? Warum sehne ich mich förmlich danach mich auf das Rad zu setzen und zu fahren? Was ist mein Antrieb? Warum geht es nicht mehr ohne Rad? Ich denke, eine Kombination aus verschiedenen Aspekten kommt da bei mir infrage. Einerseits habe ich von klein auf immer Sport betrieben. Lange Jahre erst Fußball, später dann das Radfahren. Ich bin dahingehend also quasi drauf programmiert mich zu bewegen, Sport gehört zu meinem Leben. Ich bin immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Manchmal versuche ich gerne, meine Zeiten auf gewissen Strava-Segmenten ( Ja, Strava! ) zu verbessern, um herauszufinden, wie weit ich vielleicht gehen kann und ob ich mich noch weiter verbessern kann. Das ist also so etwas wie der sportliche Faktor bei mir.
Gutes Essen ist super. Nur die Kalorien hinterher zu verbrennen ist manchmal im Urlaub ein kleines Problem.
Dazu kommt mein Interesse immer Neues auf Radtouren zu entdecken. Radtouren werden niemals langweilig. Man erlebt immer wieder spannende Dinge, sieht schöne Landschaften, kann in seiner unmittelbaren Heimatumgebung Sachen entdecken, die man nie zuvor dort wahrgenommen hat oder kommt mit netten Leuten ins Gespräch. Denn Radfahrer haben auf Touren oder auch Radreisen unweigerlich - zumindest meistens - einen friedliebenden Charakter. Das fällt es wesentlich leichter sich zu unterhalten. Und das Gefühl von Freiheit auf dem Rad ist unbeschreiblich. Aus eigener Kraft dahin zu gelangen, wohin man auch will. Das Fahrrad macht dies möglich! Und am Endejeder Tour wurde dann eine nicht unerhebliche Menge an Glückshormonen ausgeschüttet, die einen glückselig noch bis ins Bett verfolgen. Das beinhaltet also alles in allem einen nicht gerade geringen Wohlfühlfaktor. Ihr erinnert euch oben an das Wort „Well-Being" aus der Studie? Tut ihr? Ja?
Und nun der Gesundheits-Faktor! Muss ich eigentlich gar nicht mehr viel zu sagen, oder? Es gibt ja Beweise genug, inwieweit sich des Radfahren auf die Gesundheit auswirkt. Schriftlich habe ich das ja selber im Zuge der Vorbereitung für den Gran Fondo in der Emilia Romagna in diesem Jahr bekommen. Und das hat mich auch weiterhin darin bestärkt, das Radfahren als (m)eine Gesundheitsquelle zu nutzen.
All diese Faktoren gelten garantiert auch für viele von euch. Deshalb werdet ihr mich und mein momentanes „Problem" auch gut verstehen können. Trotzdem kann ich meinen Urlaub immer noch genießen, so ist es ja nicht. Spaß haben wir selbstverständlich und wir sind auch froh endlich mal ausgiebig Zeit miteinander zu verbringen. Doch zumindest ein kleines Licht am Horizont zeichnet sich ab. Denn schon bald werde ich einen netten Road-/Gravelbike-Ride im Großraum Toronto unternehmen und euch bald davon berichten. Vorausgesetzt meine Luft reicht noch aus...