Ein anderes Wort für Sabotage

Ein anderes Wort für Sabotage

Saboteure bei der Arbeit

Fast täglich erfährt man, wie Menschen unter diesem Regulierungsterror, der sich Zeitmanagement nennt, leiden. Ich schrieb kürzlich darüber und nannte es »den Plan«. Im Kleinen, wie im Großen spielt er sich ab. Viele überspielen das. Merken es selber kaum. Sie schauen nur immer auf die Uhr. Gehen im Geiste schon den nächsten Termin durch und gelten alles in allem trotzdem als ausgeglichene Menschen. »Agenda-Menschen« nannte Friedhelm Hengsbach diese Leute mal. Sie leiden mal bewusst, mal unbewusst im täglichen Dickicht der Ereignisabfolge ebenso, wie in der gesamten Lebensverplanung. Kinder leiden unter dieser Planungswütigkeit besonders. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der AOK ist nur ein weiteres Indiz dafür.
Schon der Tagesablauf von Kindern soll heute im optimalen Falle Struktur haben. Weil alles getaktet sein soll, schicken viele Eltern ihre Kinder schon vorzeitig in die Schule, wehren sich gegen die Zurückstellung und ordnen ihre Kinder schon frühzeitig dem Ernst des Lebens unter. Sie haben sich eben ihre Vorstellungen gemacht und wollen jetzt nicht aus dem Plan geraten. Frühe Einschulungen, so sagt die oben genannte Studie aber, führen häufiger zur Diagnose ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung). Nicht etwa, weil diese jungen Schüler wirklich eine »psychische Störung« mit diesem Namen hätten, sondern lediglich, weil sie noch zu verspielt sind, noch nicht schulreif. Eltern wie Schulen gehen auf den Spieltrieb nicht ein. Der Zeitplan ist straff, für Spielereien bleiben da keine Zeitressourcen. Konventionen verlangten zudem funktionierende Kinder. Für Kindereien sichert auch die Politik keine Räume. Kindliches Spiel ist schließlich Sabotage am Mehrwert, an der Wertschöpfung, an der Ökonomie. Also wirft man den Spielkindern Ritalin in den Schlund, damit es ohne Störungen planvoll weitergehen kann.

Aus meiner langjährigen Karriere als Vater eines schulpflichtigen Kindes weiß ich, dass es bei Elternabenden immer in erster Linie darum geht, die Kinder untergebracht und eingeplant zu wissen. Wie und wo ist zweitrangig. Wie zum Beispiel der Ablauf von Ganztagsklassen geschieht, ist weniger wichtig, als dass es zu einem solchen Ganztagsklassenangebot überhaupt erst kommt. Der Plan macht die Vorgaben, er diktiert den Eltern, dass sie nicht über Qualität zu sprechen haben, sondern nur darüber, dass es überhaupt zur Planungssicherheit kommt.
Bei einem Treffen der Klassenelternbeiräte musste ich mich zum Beispiel mal anfeinden lassen. Es ging um eine Abstimmung, die der Rektor vornehmen wollte. Wäre eine Mehrheit für eine Ausweitung der Ganztagsklassen entstanden, hätte er beim Kultusministerium Gelder beantragen können. Ich war der einzige, der nach seinen Vorstellungen gefragt hat. Ich wollte wissen, ob er beabsichtige, die nächste Stufe des Ausbaus des Ganztagsangebotes auch noch zu nehmen. Das hätte weitere Gelder bedeutet und einen durchgehenden Unterricht bis in den späten Nachmittag hinein. Freizeit- und Spielangebote wären in einem solchen Modell nicht mehr vorgesehen. Ich nervte ihn und die anderen Eltern sichtlich. Aber ich wollte es genau wissen. Sie aber wollten abstimmen, sich nicht weiter mit Informationen aufhalten. Und so gaben sie ihm seine Mehrheit, ohne auch nur etwas erfragt zu haben.
Als er mich nach getaner Abstimmung fragte, weshalb ich dem Vorhaben keine Ja-Stimme verlieh, legte ich ihm dar, dass das nicht meine Vorstellung von Kindheit sei. Wir reden ja nicht von kleinen Kindern, die man dauerüberwachen müsste, sondern von Teenagern, die auch mal Freiheit genießen sollten. Rausgehen, ein bisschen selbstbestimmt sein. Das hat Kindern vor einem Vierteljahrhundert auch nicht geschadet. Heute tun wir gerade so, als seien unbetreute Phasen einer Kindheit irgendwie eine Gefahr für die geistige und moralische Entwicklung. Er nickte und akzeptierte meine Einwände. Seine Mehrheit hatte er ja schon. Er konnte deswegen großzügig auftreten. Die Eltern keiften mich aber an. Sie wurden wütend. Gifteten. Sie konnten nicht akzeptieren, dass da einer etwas gegen die Verplanung von Kindern hatte.
Dass diese Leute natürlich auch unter Zugzwang litten, weil sie ihre Kinder untergebracht haben müssen, während sie ihrem Tagwerk nachgehen, kann ich rein von den Sachzwängen aus betrachtet ja nachvollziehen. Wobei da immer auch Hysterie dabei ist. Teenager können auch mal auf sich alleine gestellt sein. Dass sie aber einem, der ihren Zugzwang grundsätzlich hinterfragt und nicht für angebracht hält, als den Überbringer schlechter Nachrichten »lynchen« wollen, ist etwas anderes. Ich habe sie doch nicht in die Lage gebracht. Bin doch unschuldig. Wir alle haben es so weit kommen lassen; wir alle als beschleunigte und auch hysterische Gesellschaft.
Wann hat das eigentlich angefangen, dass man sich der Diktatur des Schemas und des Plans unterworfen hat? Das war doch nicht immer so, dass das alltägliche Leben nach einer Skizze gelebt wurde. Ganz zu schweigen von der Frage, ob es so besonders gut ist, lückenlos ausgebucht zu sein. Wo bleibt denn da Kreativität und Selbstbestimmung? Was für Kinder ziehen wir da heran, denen dieser Drang nach Auslauf genommen wird?
Ich finde es witzig, wenn mir Leute, die zur Verschwörungstheorie neigen sagen, dass es da einen großen Plan des Kapitals gäbe, die Menschheit an Fäden zu nehmen. Daran glaube ich nicht. Interessen sollte man nicht mit Plänen verwechseln. Der Plan ist eine ganz andere Sache. Er ist nicht Ausbeutung von oben, sondern die in Kauf genommene Selbstausbeutung der Ressource Mensch. Die Eile, das Kalkül, der Trott des Schemas.
Vielleicht ist das momentan nicht aufzuhalten. Der Zeitgeist ist so, kann sich aber wandeln. Meine Hoffnung ist daher, dass die Kinder, die in diesem Klima heranwachsen, sich als Erwachsene Gedanken machen werden über das Treiben der Alten. Und dann sagen sie »Halt!« und »Gemach!« und denken um. Warum sollte die Beschleunigung nicht auch wieder entschleunigt werden können, wenn es nur genug Menschen wollten? Und dann klagen sie gegen Ärzte, Eltern und eine Gesellschaft, die ihnen Ritalin verabreicht haben, wo sie einfach nur kindliche Freiheit gebraucht hätten. Wenn der Richter selbst so ein Kind war, stehen die Chancen nicht mal schlecht.
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