Ein Alb-Traumland löst sich auf

Gute Literatur, wie gute Kunst im Allgemeinen, zeichnet sich dadurch aus, dass sie auch lange nach ihrer Entstehung aktuell bleibt. Das Schauspielhaus zeigt derzeit „Traum, Perle, Tod“ nach dem einzigen Roman von Alfred Kubin „Die andere Seite“. Dass es ein guter Roman ist, einer der weit über seine Zeit hinaus von Bedeutung blieb und wahrscheinlich auch bleiben wird, wird in dieser Produktion überdeutlich.

Traum Perle Tod (c) Susanne EinzenbergerTraum Perle Tod (c) Susanne Einzenberger

Thomas Schweigen pflegt eine eigene Theaterästhetik

Unter der Regie des Schauspielhausleiters, Thomas Schweigen, und mit dem Bühnenbild von Stephan Weber entstand ein Abend, der einer ganz besonderen Ästhetik verpflichtet ist. Seit Schweigens Intendanz sind es verschiedene, immer wieder verwendete Stilmittel, welche Produktionen auf den ersten Blick als solche des Schauspielhauses kennzeichnen.

Das ist zum einen der Umgang mit Musik (Jacob Suske). Das Ensemble macht diese auf der Bühne selbst. Greift in die Saiten, bedient Percussion- und Tasteninstrumente und singt dazu. Zum anderen ist es der ungewöhnliche Umgang mit dem Bühnenraum. In dieser Produktion sitzt das Publikum nicht wie gewohnt in Reihen, die in die Saaltiefe gehen. Vielmehr erstreckt sich die Bühne über die ganze Raumlänge und lässt die Zusehenden auf der Gegenüberseite Platz nehmen. Auch technische Eingriffe, wie das Ein- und Ausschalten von Licht, werden vom Ensemble selbst vorgenommen. Auch das Betreten des Zuschauerbereiches – hier durch rasche Auf- und Abgänge während des Stücks – gehört zum bereits bewährten Gestaltungskanon. Als Kostüme dienen Arbeitsoveralls jeglicher Couleur, das Bühnenbild präsentiert sich minimalistisch, aber stets trashig.

Traum Perle Tod (c) Susanne EinzenbergerTraum Perle Tod (c) Susanne Einzenberger

Nicht zuletzt ist es ein permanentes Augenzwinkern, mit dem Schweigen seine Inszenierungen ausstattet. Ein Augenzwinkern, das eine gewisse Distanz zum Theatermachen an sich offenbart. Nicht, dass dieses nicht lustvoll geschieht. Aber es als das Maß aller Dinge anzusehen, den Schauspielerinnen und Schauspielern gar Kultstatus zu verleihen, scheint ihm fern zu liegen. Damit schafft er aber zugleich auch eine Handreiche zu seinem Publikum, das sich oft aufgefordert fühlt, wenn schon nicht direkt mitzumachen, dann zumindest davor oder danach in irgendeiner Form partizipativ zu werden.

Das Geschehen orientiert sich an Kubins Text

In „Traum, Perle, Tod“ bleibt Schweigen zumindest vor der Pause sehr nahe an Kubins Text. In der ersten Spielhälfte wird eine Traumsequenz nach der anderen produziert. Dies geschieht durch den permanenten Einsatz von kleinen Scheinwerfern, welche die jeweils sprechende Person individuell beleuchtet, den Rest des Raumes aber im Dunkel belässt. Gautsch, ein Agent, der als einziger das Traumland verlassen darf, stellt diese dem Publikum vor. Geschaffen wurde es von Patera, jenem reichen Mann, der sich die Menschen, die darin wohnen dürfen, selbst aussucht. Das Verbot von neuer Technik ist eine Restriktion, der alle gehorchen. Obwohl in die Hauptstadt des Landes, Perle, kein Sonnenstrahl eindringt, macht dies den Bewohnern scheinbar nichts aus. Der Arzt und seine Frau, ein stets nach einer Liebschaft Suchender, ein Frisör, sie alle haben sich an die düsteren Lichtumstände gewöhnt. Nur die Frau des Erzählers, der niemals sichtbar wird, begehrt bald auf, wird depressiv und stirbt nach gar nicht allzu langer Zeit in der Stadt.

Kubins Text, früher häufig unter dem Blickwinkel von Tramdeutungsideen seziert, bekommt unter den derzeitigen globalen, gesellschaftlichen Bedingungen einen neuen Dreh. Eine drohende Diktatur, wie auch immer politisch sie gestaltet sein mag, lässt sich mit jenen Zuständen gut vergleichen, in welchen die Menschen in Perle leben. Wer nichts hinterfragt und in seiner eigenen Traumwelt gefangen bleibt, hat nichts zu befürchten. Wer wissen möchte, wer hinter dem sagenumwobenen Übervater Patera steckt, ihn vielleicht auch noch sprechen möchte, setzt sich allergrößten Gefahren aus.

Die zwei Widersacher treffen aufeinander

Patera, der sich schließlich in der Inszenierung als Gautsch entpuppt, bekommt in der Halbzeit einen Widersacher. Mit dem Amerikaner Herkules Bell betritt ein Mann das Land, der mit Dosenfleisch seinen Reichtum erarbeitet hat und sich nun nichts sehnlicher wünscht, als gegen Patera und seine Herrschaft anzutreten. Der Kampf der beiden endet schließlich in einem wilden Revolver-Buben-Duell, während sich das Land rund um sie bereits in der vollkommenen Auflösung befindet.

Traum Perle Tod (c) Susanne EinzenbergerTraum Perle Tod (c) Susanne Einzenberger

Die Bühne wurde zur Pause mittels Vorhang in zwei Hälften getrennt. Jener, in der sich das duster das Traumland befindet und jener, in der Bell auf der anderen Seite von Scheinwerfern erleuchtet sich auf die Auseinandersetzung mit Patera vorbereitet. Zuvor dürfen sie sich noch im philosophischen Diskurs über die Demokratie ereifern. Während sich das Chaos im führungslosen Land ausbreitet, nimmt die Herrschaft von Tieren, welche das Land sukzessive bevölkern, überhand. An dieser Stelle ist die Inszenierung nicht weniger hypertroph angelegt als Kubins Text selbst. Haare, die mittels Perücken bis zum Boden wachsen, Arme, welche die doppelte Länge einer normal gewachsenen Statur erreichen, Brüste und Hinterteile, die so gewaltig sind, dass man meint, ihre Trägerin könne darin nur schwer das Gleichgewicht halten, sind nur einige Monstrositäten, mit welchen die Traumfiguren ausgestattet sind. Ein ständiges Hin- und Her, der sich wiederholende Versuch einer Figur, sich in den Tod zu stürzen, gegenseitige Liebesbekundungen, alles geschieht beinahe gleichzeitig und zeigt auf, dass die Menschen in diesem Land unfähig sind, in selbst gewählter Freiheit zu leben.

Hochaktuelle Gesellschaftsbezüge

Die Auflösungserscheinungen der Traumlandgesellschaft, die mit erschreckender Klarheit wenn schon nicht mit unserer Gegenwart, dann doch mit einer nahen Zukunft verglichen werden können, machen das Stück im Schauspielhaus hoch aktuell. Die Erkenntnis, dass sich Systeme abwechseln, jedoch nicht unbedingt zum gesellschaftlichen Vorteil hin verändern, bleibt eine bittere Pille. Wer könnte jedoch unsere Zeit glaubhaft in rosa Theater-Zuckerwatte verpacken? Das Team im Schauspielhaus um Thomas Schweigen sicher nicht.

Es spielen: Simon Bauer, Vera von Gunten, Jesse Inman, Steffen Link, Vassilissa Reznikoff, Sebastian Schindegger

Weitere Infos auf der Homepage des Schauspielhauses.


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