Von Stefan Sasse
Am Montagabend war ich Gast auf dem zweiwöchentlichen Stammtisch der Piratenpartei Stuttgart. Ich wollte mir endlich einmal persönlich ansehen, wie Transparenz und Basisdemokratie sich in der Praxis ausnehmen und die Piraten zu bestimmten Themen befragen, die in der öffentlichen Debatte meiner Meinung nach deutlich zu kurz kommen. Im ersten Teil der Erzählung dieses Abends will ich den organisatorischen Teil schildern. Ich hoffe, ihr gebt mir ein bisschen Bonuspunkte dafür, dass ich in dem Artikel auf dämliche Piratenmetaphern verzichte. Kein Schiff ahoi, Entern, Klarmachen oder Kapern. Ich tauge wohl nicht zum Spiegel-Redakteur. - Aber ich schweife ab. Der Piratenstammtisch ist offen für alle, ob sie nun Mitglieder sind oder nicht. Man kann einfach vorbeigehen und, was wohl ein einzigartiges Experiment ist, mitreden und mitabstimmen, auch wenn man nicht Mitglied ist. Zu Beginn ihrer Stammtische arbeiten die Stuttgarter Piraten immer ihre organisatorischen Fragen ab. Dieses Mal war das in Form von sieben Tagesordnungspunkten organisiert und wurde, straff moderiert von Versammlungsleiter Dave, in knapp einer Stunde abgehandelt. Für Nicht-Piraten - und davon war eine ganze Menge anwesend - war das relativ ermüdend. Die Piraten selbst legten allerdings Wert darauf, dass dies der Preis der Transparenz sei. Ihre Versammlungen finden gleichsam unter freiem Himmel statt (oder, in diesem Fall, in einer Pizzeria) und kennen keine abgeschlossenen Vorstandsbschlüsse. Das Unbequeme gehört mit zur Basisdemokratie, dieser Einsicht verschließt man sich nicht, man umarmt sie eher.
Die Tagesordnungspunkte. Der erste war Organisatorisches, es ging um die Verteilung des gedruckten Mittelungsblatts "Kaperbrief" (von dem diverse Exemplare gleich vor Ort verteilt wurden), um die Organisation des Infostands, und, oh die Ironie, die Offline Erreichbarkeit. Gerade die überbordende Netzpräsenz der Piraten macht es schwierig, essenzielle Informationen zu finden. Mehrmals wurde von verschiedenen Piraten erklärt, dass bestimmte Informationen wie der Treffpunkt des Stammtischs "im Wiki versteckt" seien. Auch existiert bisher keine Möglichkeit, sich vor Ort für die Mailingliste einzutragen. Es ist paradox, dass die Partei zwar über massenhaft Instrumente im Netz verfügt, um ihre Basisdemokratie zu ermöglichen, aber die Einstiegshürden dafür absurd gesetzt wurden. Hier besteht definitiv noch Verbesserungspotential, wenn die Piraten wirklich auch jenseits der netzaffinen Bevölkerung Mitglieder werben wollen. Auch der zweite Tagesordnungspunkt beschäftigte sich mit dem "Kaperbrief", dieses Mal mit der Verteilung; im vierten Punkt wurde dann diskutiert, ob man ihn als Mittel der Werbung für kommunale Politik nicht monatlich herausgeben wolle. In einer späteren Abstimmung zeigte sich, dass dafür schlicht nicht die Leute vorhanden waren, eine Vermutung, die der Versammlungsleiter bereits vorher ausgesprochen hatte und die als Ausweis für den "pragmatischen" Ansatz der Piraten dienen kann. Überhaupt, "pragmatisch". Das Wort fiel erstaunlich oft als Selbstbeschreibung, oft mit "Vernunft" verbunden. Mit dem Verweis auf Pragmatismus und Vernunft der meisten Mitglieder bürsten die Piraten die meisten kritischen Fragen zu ihrer Basisdemokratie ab.
Die Tagesordnung war damit abgehakt. Was nun folgte war eine Art moderierte Diskussion. Wie bereits vorher bei den Tagesordnungspunkten wurden Handmeldungen in Meldereihenfolge aufgerufen; der Versammlungsleiter, dessen Position relativ bald vom stellvertretenden Kreisverbandsvorsitzenden Sören übernommen wurde, sorgte dafür, dass eine grundlegende Ordnung gewahrt blieb. Angesichts der puren Zahl der Anwesenden, die um die 30er Marke liegen dürfte, war das auch dringend nötig. Überhaupt war ich nicht nur von der Masse der Anwesenden und ihrer großen Ordnung überrascht - hatte man doch irgendwie ein basisdemokratisches Chaos erwartet - sondern auch angesichts des fortgeschrittenen Alters vieler Anwesender, wird in den Medien doch das Bild einer U30-Partei gezeichnet, das sich zumindest vom Bild dieses Abends nicht halten lässt. Der erste Diskussionspunkt betraf dann auch den Stammtisch selbst. Ein Gast beklagte sich darüber, dass das Organisatorische zu lang sei, was mit dem Transparenzanspruch gekontert wurde. Generell zeigte sich, dass das Informationsgefälle groß war. "Ich habe keine Ahnung, worum es geht, hätte aber gerne mehr Infos" war ein symptomatisches Zitat für die Kommunikationsprobleme, denen sich die Piraten derzeit gegenüber sehen. Der Trend in Stuttgart geht derzeit dazu, die Stammtische aufzuteilen und über die Stadt zu verteilen, um echte Diskussionen besser möglich zu machen.
Danach begann ein wilder Parforce-Ritt durch diverse Themen. Auf Anfrage der Mitglieder legten die drei de-facto-Sprecher der Partei Dave, Sören und Andreas die Position der Partei dar, die aber - auch dies wohl ein Alleinstellungsmerkmal der Piraten - immer mit ihrer eigenen Meinung durchmischt war. Das so entstehende Amalgam war mehr als interessant. So war die erste Frage sofort die nach dem aktuellen Verfassungsschutz-Skandal und den Neonazis. Sören klärte zuerst für alle die Situation, indem er die bekannten Fakten darlegte, ehe er erklärte, dass man für eine fundierte Meinung zu wenig Informationen habe und erst abwarten müsse, was die Nachforschungen ergäben. Das ist natürlich ein Luxus, den sich die Piraten vor allem deswegen erlauben können, weil ihre Pressesprecher noch nicht von den Medien belagert werden. Die nächste Frage drehte sich, fast erwartungsgemäß, um Jörg Tauss und das Verhältnis der Piraten zu ihm; gestellt wurde sie auch von einem Gast. Sören erklärte dazu sehr lange die Situation und bisherigen Ereignisse, ehe er berichtete dass er ihn persönlich kannte und für einen Dickkopf halte, der seiner Meinung nach der Partei schade.
Zum nächsten Themenpunkt meldete sich ein Neumitglied zu Wort, das auch die einzige Piratenmetapher des Abends beisteurte, als es sich nach der Lage des "Aufbau Ost bei den Einäugigen" erkundigte, besonders in Mecklenburg-Vorpommern. Offen erklärten die Piraten, dass Mecklenburg-Vorpommern einerseits ein Flächenland sei - und bestätigten damit das verbreitete Medienurteil, eine Großstadtpartei zu sein - und dass es tatsächlich schon Übergriffe von Neonazis gegeben hatte, bei denen wahlwerbenden Piraten nur die Flucht geblieben sei. Ein Rezept gegen solche Übergriffe existiert derzeit erkennbar nicht. Auch die nächste Anfrage war erwartungsgemäß und drehte sich um die Frage einer früheren NPD- oder CDU-Mitgliedschaft mancher Piraten. Auch hier erklärte Sören erst ausführlich, welche Fälle vorgekommen waren und blieb dabei äußerst sachlich. Erst danach, wieder als Privatmeinung, erklärte er, dass das Problem schlicht darin bestehe, dass die zwei bekanntesten Fälle gelogen hatten und dies ein No-Go sei. Jedermann hätte jedoch eine zweite Chance verdient, wenn er offen zu seiner Vergangenheit stehe. Tatsächlich ist dieses Thema für die Piraten erkennbar unangenehm.
Das folgende Thema war unerwartet; es betraf den Umgang mit BILD und RTL. Der Pressesprecher erklärte, dass die Piraten generell keine Interviewanfragen der BILD beantworteten, und dass man dem Springer-Medium außerdem Hausverbot erteilt habe. Während manche Anwesende dies mit lauten Beifallsbekundungen begrüßten, waren andere deutlich skeptisch. Das Thema war das erste, das nicht auf einen generellen Konsens stieß. Pressesprecher Andreas versuchte zu erläutern, dass die BILD ohnehin schreibe, was sie wolle, und dass man das nicht zu unterstützen brauche. Auch dies stieß wieder auf Beifall bei manchen. Direkt im Anschluss wurde der NDR-Beitrag debattiert, in dem die Piraten äußerst negativ und völlig überzeichnet dargestellt worden waren. Während das darauf erfolgte Hausverbot für den NDR bei den Bremer Piraten von manchen erneut mit Beifall begrüßt wurden, beklagten andere das dünne Fell der Piraten, die zwar "gerne über andere herziehen, aber selbst keinen Spaß verstehen" - eine ehrliche, aber sicher nicht auf die Piraten beschränkte Einschätzung. Das letzte Thema dieser allgemeinen Fragerunde war INDECT, das europäische Projekt zur Zusammenlegung von Datenbanken und zum Versuch ein "Pre-Crime" zu errichten.
Dies war das wohl genuinste Piratenthema, das an diesem Abend diskutiert wurde. Die meisten - mich eingeschlossen - hatten davon noch nie gehört. Tatsächlich geht es wohl darum, durch möglichst flächendeckende Videoüberwachung und Erkennungsmuster Verbrechen zu verhindern, bevor sie geschehen. Die spöttische Nachfrage, ob dazu auch drei Klone in einem Wasserbecken geplant seien (wie im Hollywood-Film "Minority Report") wurde zwar verneint, aber das Thema ist doch ein sehr reales. Die Position der Piraten ist hier zweigleisig: sie betonen zum Einen die großen Gefahren, die von diesem Projekt ausgehen (und die angesichts der in einer Hand vereinten Datenmenge offensichtlich sind) und positionieren sich daher klar dagegen, zum anderen aber auch die technische Unmöglichkeit. Andreas erklärte, dass es niemals funktionieren könne, "wie die sich das vorstellen". Ich verstehe zwar, was er damit sagen will - dass die Informationen dann quasi für andere Anwendungen offen und damit dem Missbrauch zugänglich sind -, ich fürchte aber, dass dieses Argument in der öffentlichen Debatte eher wie ein Bumerang wirkt und deswegen besser nicht gebracht werden sollte.
Nachdem diese Thematik abgehandelt wurde, löste sich der Stammtisch in kleine Diskussionsrunden auf. Für etwa die Hälfte war dies das Signal zum Aufbruch, und in der folgenden Stunde verließen die meisten anderen Anwesenden den Stammtisch ebenfalls. Ich habe in den zwei Stunden, die bis zur Abfahrt der letzten Bahn blieben, ein intensives Gespräch mit dem Kreisverbandsvorsitzenden und ehemaligen Landtagskandidaten Sören geführt. Die Ergebnisse dieses Gesprächs beschriebe ich morgen im zweiten Teil dieses Artikels, zusammen mit meinen Analysen und Einschätzungen zur Piratenpartei. Stay tuned.
Am Montagabend war ich Gast auf dem zweiwöchentlichen Stammtisch der Piratenpartei Stuttgart. Ich wollte mir endlich einmal persönlich ansehen, wie Transparenz und Basisdemokratie sich in der Praxis ausnehmen und die Piraten zu bestimmten Themen befragen, die in der öffentlichen Debatte meiner Meinung nach deutlich zu kurz kommen. Im ersten Teil der Erzählung dieses Abends will ich den organisatorischen Teil schildern. Ich hoffe, ihr gebt mir ein bisschen Bonuspunkte dafür, dass ich in dem Artikel auf dämliche Piratenmetaphern verzichte. Kein Schiff ahoi, Entern, Klarmachen oder Kapern. Ich tauge wohl nicht zum Spiegel-Redakteur. - Aber ich schweife ab. Der Piratenstammtisch ist offen für alle, ob sie nun Mitglieder sind oder nicht. Man kann einfach vorbeigehen und, was wohl ein einzigartiges Experiment ist, mitreden und mitabstimmen, auch wenn man nicht Mitglied ist. Zu Beginn ihrer Stammtische arbeiten die Stuttgarter Piraten immer ihre organisatorischen Fragen ab. Dieses Mal war das in Form von sieben Tagesordnungspunkten organisiert und wurde, straff moderiert von Versammlungsleiter Dave, in knapp einer Stunde abgehandelt. Für Nicht-Piraten - und davon war eine ganze Menge anwesend - war das relativ ermüdend. Die Piraten selbst legten allerdings Wert darauf, dass dies der Preis der Transparenz sei. Ihre Versammlungen finden gleichsam unter freiem Himmel statt (oder, in diesem Fall, in einer Pizzeria) und kennen keine abgeschlossenen Vorstandsbschlüsse. Das Unbequeme gehört mit zur Basisdemokratie, dieser Einsicht verschließt man sich nicht, man umarmt sie eher.
Die Tagesordnungspunkte. Der erste war Organisatorisches, es ging um die Verteilung des gedruckten Mittelungsblatts "Kaperbrief" (von dem diverse Exemplare gleich vor Ort verteilt wurden), um die Organisation des Infostands, und, oh die Ironie, die Offline Erreichbarkeit. Gerade die überbordende Netzpräsenz der Piraten macht es schwierig, essenzielle Informationen zu finden. Mehrmals wurde von verschiedenen Piraten erklärt, dass bestimmte Informationen wie der Treffpunkt des Stammtischs "im Wiki versteckt" seien. Auch existiert bisher keine Möglichkeit, sich vor Ort für die Mailingliste einzutragen. Es ist paradox, dass die Partei zwar über massenhaft Instrumente im Netz verfügt, um ihre Basisdemokratie zu ermöglichen, aber die Einstiegshürden dafür absurd gesetzt wurden. Hier besteht definitiv noch Verbesserungspotential, wenn die Piraten wirklich auch jenseits der netzaffinen Bevölkerung Mitglieder werben wollen. Auch der zweite Tagesordnungspunkt beschäftigte sich mit dem "Kaperbrief", dieses Mal mit der Verteilung; im vierten Punkt wurde dann diskutiert, ob man ihn als Mittel der Werbung für kommunale Politik nicht monatlich herausgeben wolle. In einer späteren Abstimmung zeigte sich, dass dafür schlicht nicht die Leute vorhanden waren, eine Vermutung, die der Versammlungsleiter bereits vorher ausgesprochen hatte und die als Ausweis für den "pragmatischen" Ansatz der Piraten dienen kann. Überhaupt, "pragmatisch". Das Wort fiel erstaunlich oft als Selbstbeschreibung, oft mit "Vernunft" verbunden. Mit dem Verweis auf Pragmatismus und Vernunft der meisten Mitglieder bürsten die Piraten die meisten kritischen Fragen zu ihrer Basisdemokratie ab.
Der aktuelle Kaperbrief auf meinem Sofa
Nachdem die Frage der Teilnahme am Bundesparteitag und des Aufbaus von Infoständen schnell abgehakt wurden, kam es zur ersten auch für Außenseiter interessanten Frage des Abends im letzten Tagesordnungspunkt. Eine "Cornelia" (ihre Identität schien irgendwie als gegeben vorausgesetzt zu werden) hatte ein Bürgerbegehren gefordert, um die Netze von der ENBW zurückzukaufen und kommunal zu verwalten, und für die Piraten stand die Frage an, ob sie der Bitte der Petitoren nachkommen und die Petition unterstützen wollten. Der ehemalige Pressesprecher bestätigte, dass diese Petition sich zu 100% mit dem Programm der Piraten decke. Da niemand genau wusste, um was es überhaupt ging, war es an ihm die Situation zu erklären. Hier entspannte sich der erste wahrnehmbare politische Dialog zwischen der örtlichen Parteiführung und der Basis, da erstere der Basis erklärten, um was es genau gehe. Man ging dabei sehr bedacht vor, um nicht den Eindruck einer Vorwegnahme eines Ergebnisses zu wecken. Obwohl im gegebenen Forum die Informierung nur Stückwerk bleiben konnte - letztlich geht es um eine relativ komplexe Thematik - war das grundlegende Problem zumindest dem Anschein nach allen Anwesenden klar, so dass sie eine relativ informierte Entscheidung treffen konnten. Gerade das Fehlen einer solchen Informationsbasis ist ja einer der penetrantesten wie berechtigsten Vorwürfe an die etablierten Parteien; das System der Piraten, bei dem die Basis informiert wird, ehe sie die Entscheidung trifft und bei der die Parteiführung selbst zumindest nominell kaum ein Mitspracherecht hat und sich auch bescheiden zurücknimmt und die Entscheidung eben der Basis überlässt unterscheidet die Piraten deutlich von anderen Parteien.Die Tagesordnung war damit abgehakt. Was nun folgte war eine Art moderierte Diskussion. Wie bereits vorher bei den Tagesordnungspunkten wurden Handmeldungen in Meldereihenfolge aufgerufen; der Versammlungsleiter, dessen Position relativ bald vom stellvertretenden Kreisverbandsvorsitzenden Sören übernommen wurde, sorgte dafür, dass eine grundlegende Ordnung gewahrt blieb. Angesichts der puren Zahl der Anwesenden, die um die 30er Marke liegen dürfte, war das auch dringend nötig. Überhaupt war ich nicht nur von der Masse der Anwesenden und ihrer großen Ordnung überrascht - hatte man doch irgendwie ein basisdemokratisches Chaos erwartet - sondern auch angesichts des fortgeschrittenen Alters vieler Anwesender, wird in den Medien doch das Bild einer U30-Partei gezeichnet, das sich zumindest vom Bild dieses Abends nicht halten lässt. Der erste Diskussionspunkt betraf dann auch den Stammtisch selbst. Ein Gast beklagte sich darüber, dass das Organisatorische zu lang sei, was mit dem Transparenzanspruch gekontert wurde. Generell zeigte sich, dass das Informationsgefälle groß war. "Ich habe keine Ahnung, worum es geht, hätte aber gerne mehr Infos" war ein symptomatisches Zitat für die Kommunikationsprobleme, denen sich die Piraten derzeit gegenüber sehen. Der Trend in Stuttgart geht derzeit dazu, die Stammtische aufzuteilen und über die Stadt zu verteilen, um echte Diskussionen besser möglich zu machen.
Danach begann ein wilder Parforce-Ritt durch diverse Themen. Auf Anfrage der Mitglieder legten die drei de-facto-Sprecher der Partei Dave, Sören und Andreas die Position der Partei dar, die aber - auch dies wohl ein Alleinstellungsmerkmal der Piraten - immer mit ihrer eigenen Meinung durchmischt war. Das so entstehende Amalgam war mehr als interessant. So war die erste Frage sofort die nach dem aktuellen Verfassungsschutz-Skandal und den Neonazis. Sören klärte zuerst für alle die Situation, indem er die bekannten Fakten darlegte, ehe er erklärte, dass man für eine fundierte Meinung zu wenig Informationen habe und erst abwarten müsse, was die Nachforschungen ergäben. Das ist natürlich ein Luxus, den sich die Piraten vor allem deswegen erlauben können, weil ihre Pressesprecher noch nicht von den Medien belagert werden. Die nächste Frage drehte sich, fast erwartungsgemäß, um Jörg Tauss und das Verhältnis der Piraten zu ihm; gestellt wurde sie auch von einem Gast. Sören erklärte dazu sehr lange die Situation und bisherigen Ereignisse, ehe er berichtete dass er ihn persönlich kannte und für einen Dickkopf halte, der seiner Meinung nach der Partei schade.
Zum nächsten Themenpunkt meldete sich ein Neumitglied zu Wort, das auch die einzige Piratenmetapher des Abends beisteurte, als es sich nach der Lage des "Aufbau Ost bei den Einäugigen" erkundigte, besonders in Mecklenburg-Vorpommern. Offen erklärten die Piraten, dass Mecklenburg-Vorpommern einerseits ein Flächenland sei - und bestätigten damit das verbreitete Medienurteil, eine Großstadtpartei zu sein - und dass es tatsächlich schon Übergriffe von Neonazis gegeben hatte, bei denen wahlwerbenden Piraten nur die Flucht geblieben sei. Ein Rezept gegen solche Übergriffe existiert derzeit erkennbar nicht. Auch die nächste Anfrage war erwartungsgemäß und drehte sich um die Frage einer früheren NPD- oder CDU-Mitgliedschaft mancher Piraten. Auch hier erklärte Sören erst ausführlich, welche Fälle vorgekommen waren und blieb dabei äußerst sachlich. Erst danach, wieder als Privatmeinung, erklärte er, dass das Problem schlicht darin bestehe, dass die zwei bekanntesten Fälle gelogen hatten und dies ein No-Go sei. Jedermann hätte jedoch eine zweite Chance verdient, wenn er offen zu seiner Vergangenheit stehe. Tatsächlich ist dieses Thema für die Piraten erkennbar unangenehm.
Das folgende Thema war unerwartet; es betraf den Umgang mit BILD und RTL. Der Pressesprecher erklärte, dass die Piraten generell keine Interviewanfragen der BILD beantworteten, und dass man dem Springer-Medium außerdem Hausverbot erteilt habe. Während manche Anwesende dies mit lauten Beifallsbekundungen begrüßten, waren andere deutlich skeptisch. Das Thema war das erste, das nicht auf einen generellen Konsens stieß. Pressesprecher Andreas versuchte zu erläutern, dass die BILD ohnehin schreibe, was sie wolle, und dass man das nicht zu unterstützen brauche. Auch dies stieß wieder auf Beifall bei manchen. Direkt im Anschluss wurde der NDR-Beitrag debattiert, in dem die Piraten äußerst negativ und völlig überzeichnet dargestellt worden waren. Während das darauf erfolgte Hausverbot für den NDR bei den Bremer Piraten von manchen erneut mit Beifall begrüßt wurden, beklagten andere das dünne Fell der Piraten, die zwar "gerne über andere herziehen, aber selbst keinen Spaß verstehen" - eine ehrliche, aber sicher nicht auf die Piraten beschränkte Einschätzung. Das letzte Thema dieser allgemeinen Fragerunde war INDECT, das europäische Projekt zur Zusammenlegung von Datenbanken und zum Versuch ein "Pre-Crime" zu errichten.
Dies war das wohl genuinste Piratenthema, das an diesem Abend diskutiert wurde. Die meisten - mich eingeschlossen - hatten davon noch nie gehört. Tatsächlich geht es wohl darum, durch möglichst flächendeckende Videoüberwachung und Erkennungsmuster Verbrechen zu verhindern, bevor sie geschehen. Die spöttische Nachfrage, ob dazu auch drei Klone in einem Wasserbecken geplant seien (wie im Hollywood-Film "Minority Report") wurde zwar verneint, aber das Thema ist doch ein sehr reales. Die Position der Piraten ist hier zweigleisig: sie betonen zum Einen die großen Gefahren, die von diesem Projekt ausgehen (und die angesichts der in einer Hand vereinten Datenmenge offensichtlich sind) und positionieren sich daher klar dagegen, zum anderen aber auch die technische Unmöglichkeit. Andreas erklärte, dass es niemals funktionieren könne, "wie die sich das vorstellen". Ich verstehe zwar, was er damit sagen will - dass die Informationen dann quasi für andere Anwendungen offen und damit dem Missbrauch zugänglich sind -, ich fürchte aber, dass dieses Argument in der öffentlichen Debatte eher wie ein Bumerang wirkt und deswegen besser nicht gebracht werden sollte.
Nachdem diese Thematik abgehandelt wurde, löste sich der Stammtisch in kleine Diskussionsrunden auf. Für etwa die Hälfte war dies das Signal zum Aufbruch, und in der folgenden Stunde verließen die meisten anderen Anwesenden den Stammtisch ebenfalls. Ich habe in den zwei Stunden, die bis zur Abfahrt der letzten Bahn blieben, ein intensives Gespräch mit dem Kreisverbandsvorsitzenden und ehemaligen Landtagskandidaten Sören geführt. Die Ergebnisse dieses Gesprächs beschriebe ich morgen im zweiten Teil dieses Artikels, zusammen mit meinen Analysen und Einschätzungen zur Piratenpartei. Stay tuned.