Menschen haben unterschiedliche Motivationen, warum sie in eine Tanzveranstaltung gehen. Manche bewundern die Ästhetik der Körper, manche möchten in Gegenwelten eintauchen, andere wiederum berauschen sich an poetischen Bildern oder Tönen. Besonders BesucherInnen des klassischen Balletts äußern diese Erwartungshaltungen häufig. Das Publikum von zeitgenössischen Tanzveranstaltungen wiederum erweitert oftmals seinen Anspruch und erwartet meist noch einen weiteren Informationsgehalt, der sich in irgendeiner Art und Weise auf das soziale Gefüge unserer Zeit bezieht. Freitag den 15. und Samstag den 16. März trat ein international Bekannter der Tanzszene im Tanzquartier in Wien auf und erfüllte wohl alle Ansprüche. Saburo Teshigawara präsentierte mit der Gruppe Karas eine Neuauflage seines 1991 uraufgeführten Stückes und machte wieder einmal klar, warum er ein internationaler Star geworden ist.
Saburo Teshigawara im Tanzquartier Wien – © Jun Ishikawa, Akihito Abe, Laurent Ziegler
Der Titel seines Abends – so erfährt man aus dem Programmheft – DAH-DAH-SKO-DAH-DAH greift lautmalerisch den Klang der jahrhundertealten Tradition der Kenbai-Taiko-Trommeln auf – das Pochen des Herzens und die Geräusche des Windes. Und tatsächlich beginnt die Aufführung im finsteren Saal, in welchem man nur ein wildes Brausen von einem Sturm hört, der einen frösteln lässt. Von Weitem vermeint man ein rhythmisches Klatschen zu vernehmen, als das Windgeräusch jedoch abebbt und die Bühne in ein partielles, weißes Licht getaucht wird, erkennt man, dass es sich nicht um Klatschgeräusche handelt, sondern dass eine Tänzerin steppt. Ihr regungsloser Oberkörper und ihre schlaff herabhängenden Arme stehen ganz im Kontrast zu ihren rastlosen Beinen, die eine unendlich lange Abfolge von teilweise schwierigen Rhythmusänderungen replizieren. Ihr Part ist erst beendet, als der Scheinwerfer, der auf sie gerichtet ist, erlischt und zwei weitere Tänzerinnen erfasst, die nun im Gleichklang ebenfalls eine unendlich scheinende Steppkaskade absolvieren. Gleichklang und Wiederholungen sind immer wieder vorkommende Momente an diesem Abend, bilden so etwas wie ein Korsett. Dieses wird nur selten durchbrochen. Dann zum Beispiel, wenn der Meister selbst auf der Bühne tanzt. Seine Tanzschritte scheinen unerschöpflich, wenngleich auch ein ihm ganz eigenes Bewegungsvokabular erkennbar wird. Die Arme bekommen bei Teshigawara einen ganz eigenen Stellenwert. Neben gefühlsbetonten, aus einer Verinnerlichung herrührenden Bewegungen sind es vor allem jene Kreis- oder Kurbelmomente, in denen diese Extremitäten wie kräftige Rotoren links und rechts des Rumpfes agieren. In einer Szene steigert der Choreograph diesen Eindruck ins Extreme. Durch eine ausgeklügelte Lichtregie, die, wie auch die Ausstattung und die Kostüme selbst seiner eigenen Kreativität entstammen, erhalten die Hände der Tänzerinnen einen fluoreszierenden Charakter und scheinen beinahe abgelöst vom Rest des Körpers zu agieren. Es sind Momente wie diese, welche man in sich aufsaugt, um diese Eindrücke dauerhaft in seinem Gedächtnis abzuspeichern, aber auch gänzlich andere. So z.Beispiel jene, in welchen Teshigawara auf einem großen Thron sitzend auf die Bühne geschoben wird. Ihm zur Seite ein überlebensgroßes katzenartiges Tier, das sich seines Amtes und seiner Würde bewusst zu sein scheint. Während Teshigawara seine Lippen zum auf Band vorgesprochenen surrealen Text bewegt, vollziehen 2 schwarz Gekleidete, an ihren Mützen als dem Militär Zuzuordnende, immer wieder kehrende synchron ausgeführte Bewegungen durch. Ihre Handschuhe – einer in Rot und einer in Weiß gehalten, markieren so etwas wie Leuchtpunkte auf der Bühne. Etwas in den Hintergrund gerückt ist eine Frau erkennbar, die 2 lange Stöcke hinter ihrem Körper hält und diese langsam bewegt. Was man sieht und was man hört, fügt sich zu einer Einheit, deren Inhalt jedoch trotz all der visuellen Informationen im Dunkeln bleibt. Es tauchen lang zurück iegende Erinnerungen an eine Zeit auf, in der einem selbst Märchen und Sagen von den Erwachsenen vorgelesen worden waren, die man aber aufgrund ihrer Komplexität und des kindlichen Alters in keiner Weise noch erfassen konnte. Ganz ähnlich sitzt nun das Publikum im Saal und folgt einer Erzählung, die nicht einmal ansatzweise wiedergegeben werden kann.
Teshigawaras Choreographie überrascht und verblüfft jedoch noch mehrmals. Abrupte Licht- und Szenenwechsel sind nicht dazu angetan, eine Geschichte mit einem durchgehenden Erzählstrang wiederzugeben. Vielmehr sind es hintereinander gesetzte kurze Szenen, die oftmals, so hat es zumindest lange Zeit den Anschein, nicht wirklich etwas miteinander zu tun haben. Dabei wechseln sich Soli mit Partien ab, in welchen alle Beteiligten auf der Bühne agieren. Die Geräuschkulisse changiert zwischen lautem, ultrahartem Beat über die Einspielung einer leicht verstimmten Brassband bis hin zu leisem Windpfeifen. Immer wieder fallen die uniformen Kostüme auf. Einfache Hosen und Shirts oder Hemden, jedoch immer für alle TänzerInnen in den gleichen Schnitten und Farben gehalten. Hier gibt es nur eine große Ausnahme, nämlich jene Szene, in der drei Menschen mit Blasmusikinstrumenten die Bühne überqueren. Sie spielen die Trompete, Posaune und das Horn so falsch, dass dies schon wieder eine Kunst ist, und agieren dabei in ganz unterschiedlichen Gewändern. Im Gegensatz zu allen anderen Kostümen sind diese nicht asiatisch schlicht ausgeführt, sondern geben alltägliche Bekleidungsstücke von Menschen in einer westlichen Großstadt wider wie zum Beispiel ein hellgrauer Staubmantel und ein darüber getragener schwarzer Hut. Mit diesem kleinen unerwarteten Szenenwechsel gelingt dem Japaner nicht nur das Aufzeigen von individuellen lustbetonten Lebensentwürfen einer Gesellschaft. Vielmehr verstärkt er noch die asiatische Uniformität, die bei ihm über weite Strecken von einer scheinbar rastlosen und menschenunwürdigen Arbeitshetze begleitet ist. Ein Entrinnen daraus gibt es nur durch körperlichen Zusammenbruch. Und tatsächlich sind es ungezählte Male, bei welchen den TänzerInnen scheinbar die Kraft abhandenkommt, und sie leblos auf den Boden fallen, um nach kurzer Regenerationsphase wieder aufzustehen und sich wieder in die nächste rasante Bewegungsarbeit einzugliedern.
So unterschiedlich die einzelnen Auftritte auch sind – die zu Beginn gezeigten Steppschritte kommen, wie schon erwähnt, als Konstante immer wieder und rhythmisieren so das vielfältige Geschehen an diesem Abend. So spielen Überraschung und Wiederholung in dieser Produktion als Gegensatzpaar eine ebenso große Rolle wie das Uniforme und das Individuelle. Poesie und Drill treten genauso nebeneinander zutage wie infernalischer Lärm oder einzig das Atemgeräusch von Saburo Teshigawara während eines Soloauftrittes. Die Lust an der Körperbewegung und die Plage, den Körper bewegen zu müssen – auch diesen beiden antipodischen Haltungen wird breiter Raum eingeräumt. Was jedoch auffällt, ist, dass sich in dieser Choreographie die soziale Interaktion auf ein Minimum beschränkt. Der Mensch agiert beinahe immer für sich alleine, auch wenn er in einer Gruppe auftritt und ihren Gesetzen folgt. Ein Austausch mit dem Gegenüber findet so gut wie gar nicht statt. Die Fokussierung auf das Ich steht im Vordergrund und lässt schließlich auch am Ende des Stückes im Geräusch des aufkommenden Windes ein Frösteln zurück. Der Kreis hat sich geschlossen und zurück bleiben nichts als ganz persönlich interpretierbare Bilder und deren Erinnerungen.
DAH-DAH-SKO-DAH-DAH aus dem Jahr 1992
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