Eigentlich kommen wir alle aus dem Wald!

Von Lilligreen @lilligreen

Ein Gespräch mit dem Fotografen Thiemo Boegner über ihn und seine Waldaufnahmen.

Von: Elke Kuehnle

Wie es zu Boegners Waldaufnahmen kam und was es damit auf sich hat, wollte ich genauer wissen und rief ihn an. Zwischen Familie, Job, Waldausflügen und, und, und, hat er eigentlich gar keine Zeit – aber der Wald fesselt ihn, berührt ihn. Der Wald ist ihm wichtig. Wir sprechen mindesten eine Stunde über ihn, den Wald und wie er ihn fotografiert hat, nachts, monatelang. Und dann mailt er mir: „ich bin die nächsten Tagen mit meinen Kindern im Wald und melde mich Mitte nächster Woche wieder“.

Elke Kuehnle (EK): Wann bemerkten Sie, dass Fotografie Ihr Leben ausfüllt?

Thiemo Boegner (TB): Im Alter von 15, 16, 17 wollte ich Kameramann werden. Mich faszinierte das Bewegte Bild, die Aufnahmetechniken, das Geschichten erzählen mit Bildern.

EK: Fotografie ist eine hohe Kunst des Geschichten Erzählens.  

TB: Als Fotograf und Künstler weiß man nie, was der Betrachter in den Aufnahmen sieht. Das ist ein sehr interessantes Spannungsfeld.

EK: Was hat Sie dabei wesentlich inspiriert?

TB: Ich machte für mein Fachabitur ein Praktikum beim Werbefotografen Ryszard Kopczynski dessen Arbeiten mir sehr gut gefallen. Dieses Wirkungsfeld hatte ich vorher noch nicht beachtet. Die Arbeit mit ihm, die angewandte Fotografie, führte dazu, dass ich die Fotografenkarriere gezielt verfolgt und Fotografie an der FH Bielefeld studiert habe. Lange begeisterte mich die technische Umsetzung, das Streben nach Perfektion, danach, die Dinge anders erscheinen zu lassen oder so darzustellen, dass sie der Betrachter bewusster wahrnimmt. In der Zeit entwickelte sich auch die künstlerische Arbeit und die Arbeit an Reportagen. An der FH arbeitete ich u.a. auch interdisziplinär mit den Modestudenten.

EK: Wann kam das Thema Wald?

TB: Wir bekamen 2009 ein Kind. Ich habe mir unser Baby mit einem Tuch um den Bauch gebunden und bin sehr oft im Wald spazieren gegangen. Dabei habe ich den Wald ganz anders erlebt. Ich spürte Ruhe und Spannung zugleich. Das ist es, was Wald für mich als Fotografen ausmacht und was ich in meinen Bilder zeige: eine Atmosphäre, die man nicht in Worte fassen kann, faszinierend, unaussprechlich. Damals war mir nicht bewusst, dass mich das Thema Wald und Natur beruflich und privat so sehr beschäftigen wird.

EK: Wie kam es zur Idee nachts den Wald zu fotografieren?

TB: … als ich eine kleine Technikstudie machen musste, für die mehrere Bilder übereinander gelegt werden sollten. Dafür fotografierte ich eine Nacht lang im Wald. Die Aufnahmereihe »Waldstudie« ist meine Diplomarbeit, mit der ich diese spannende Arbeit weiterführe.

EK: Betonen die Aufnahmen die pure Substanz des Waldes?

TB: Ja. Es ist natürlich nur ein Versuch in Bildern den Wald zu beschreiben. In großen Formaten wirken die Details der Bilder sehr stark, die vielen kleinen Strukturen, die ineinandergreifen. Das fasziniert mich sehr, denn wir sind ja prinzipiell ein Teil dessen, ein Teil solcher Strukturen und Vernetzungen.

EK: Was ist fotografisch besonders?

TB: Ich arbeite mit einer Wanderblitztechnik und lege viele Aufnahmen übereinander, die ich dann grafisch weiter bearbeite. Das Resultat ist für mich, das bewusste Erleben und der Versuch des Begreifens und Beschreibens eines Raumes der eine starke Faszination auf mich ausübt.

EK: Wie viele Nächte verbrachten Sie dafür im Wald?

TB: Das ist eine gute Frage, die ich mir noch gar nicht gestellt habe. 30 Nächte bestimmt, weil ich über mehrere Monate lang 30 Aufnahmereihen gemacht habe.

EK: Waren Sie dabei immer allein im Wald?

TB: Ja, meistens. Tagsüber habe ich Motive entdeckt und nachts bin ich wieder gekommen.

EK: Ist es einem unheimlich nachts im Wald?

TB: Ehrlich gesagt ist es ganz schön ruhig nachts im Wald. Da ist gar nichts. Einmal war es etwas aufregend, weil ein lautes Rufen direkt in meiner Nähe war. Wahrscheinlich ein Käuzchen. Das war nicht bedrohlich, aber doch sehr laut.

EK: Werden Sie auch internationale Wälder fotografieren?

TB: Ja auf jeden Fall. Das ist eines meiner Zukunftsziele.

EK: Was bedeutet Ihnen Wald als Künstler?

TB: Gerade in der aktuellen Folgestudie, in der die Nahrungswege des Waldes von mir bildlich dargestellt werden, entstehen interessante Momentaufnahmen von Beeren, Pilzen, Pflanzen und auch von Wechselwirkungen des Waldes mit dem Menschen, wie beispielsweise Spurrillen von Baumerntemaschinen, die ich ein Jahr nach ihrem Entstehen fotografiert habe. Auf diesen Bodenverdichtungen wächst fast nichts mehr. Der Wald gibt etwas ab und erhält von uns Menschen vorwiegend sein Wachstum hemmende Einflüsse. Abgesehen davon, dass es den Wald überhaupt noch gibt, sehe ich aktuell wenig Positives, das wir dem Wald zurückgeben. Der heutige Wald entsprang ja der Situation, dass fast keiner mehr vorhanden war und deshalb der Wald, den wir heute erleben aufgeforstet wurde.

EK: An welchem Projekt arbeiten Sie gerade?

TB: Ich arbeite an einer Folgestudie, die den Wald als Nähr- und Werkstofflieferanten thematisiert. Die Aufnahmen zeigen, was der Wald uns gibt und auch, was wir ihm zurückgeben.

EK: Leben sie im Wald?

TB: Wir leben am Stadtrand von Bielefeld, in der Nähe kleinerer Wäldchen und wir erfreuen uns der Aussicht auf den „nur“ ca. 8 km entfernten Teutoburger Wald.

EK: Können Sie sich vorstellen direkt im Wald zu wohnen, z.B. in einem Baumhaus?

TB: Klar ja, das fände ich gar nicht schlecht. Ich habe schon überlegt in einem alten Wasserturm zu leben, von dem aus man über den Wald blicken kann. Ich klettere sehr gerne auf Bäume und liebe den Blick von oben, über die Baumkronen.

EK: Sie haben Familie, Kinder, was macht ihre Frau beruflich?

TB: Ja, wir haben zwei Kinder, zwei und sechs Jahre alt. Meine Frau studiert aktuell nach einer Arbeit für eine biologische Station Pädagogik der Kindheit. Sie arbeitet freiberuflich in der Umwelt- und Erlebnispädagogik und geht mit Kindern in den Wald.

EK: Was bedeutet der Wald für Sie als Mensch?

TB: Wald ist für mich eine Art Heimat. Es ist ja so, dass wir ursprünglich als Menschen im Wald gelebt haben, was natürlich heute, bei der Masse an Menschen gar nicht mehr möglich wäre.

EK: Wie viele Bäume haben Sie in Ihrem Leben schon gepflanzt?

TB: Ehrlich gesagt noch keinen, fällt mir gerade auf. Und unseren letzten Weihnachtsbaum…

Ich bedanke mich für das Gespräch!

Thiemo Boegner

Thiemo Boegner ist 1984 geboren und lebt mit seiner Familie in Bielefeld. 2004 absolviert er ein Praktikum beim Werbefotografen Ryszard Kopzcynski in Wuppertal, dann studierte er von 2006-2011 Fotografie an der FH Bielefeld. 2006 beginnt er als Freier Fotoassistent zu arbeiten. Seit 2011 ist er freiberuflicher Diplom Fotodesigner. Seine Diplomarbeit „Waldstudie“ wurde von Prof. Axel Grünewald und Peter Hampel betreut. Mit den Aufnahmen gewann er u.a. den zweiten Preis des Wettbewerbs des Magazins Photographie, 2013, nachdem sie in einem großen Wettbewerb neben Aufnahmen von Michael Lange nicht gewürdigt wurden. Die Wald-Serie wurde u.a. in Ausstellungen im Deutschen Historischen Museum in Berlin, im Waldgeschichtlichen Museum St. Oswald, in der galeryr15 in Bochum und im Haus der Natur in Bonn gezeigt. (Photografie 1-2/14, S. 94-98)

thiemo-boegner.de

facebook.com/boegner.photography

www.portfoliopool.com/boegner

© Elke Kuehnle, Journalistin. Düsseldorf. 2015. 7783

Das Gespräch mit Thiemo Boegner fand am 25. April 2015 und am 06. Mai 2015 statt.

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