Ehrlichkeit

Ehrlichkeit

Wie an anderer Stelle schon einmal erwähnt, gibt es – gerade bei den Top-Profis – eine ganze Reihe von Athleten, die absolut ehrlich mit sich sind und sich nicht in die eigene Tasche lügen. Diese Ehrlichkeit halte ich für einen der Grundpfeiler, wenn es darum geht, das eigene Potenzial voll auszuloten. Inspiriert wurde dieser Artikel von einem Twitter-Post von Sebi (siehe oben). Scherzhaft fragt er darin nach einer guten Ausrede für die beiden vergurkten letzten Rennen. Das ist wohlgemerkt seine Selbsteinschätzung. Ich finde, dass beide Leistungen allergrößte Anerkennung verdienen. Okay, die reine Platzierung war natürlich suboptimal und ich kann nicht in ihn hineinschauen und sehen, wie sehr er alles gegeben hat. Aber die Art und Weise, wie er die Rennen bestritt, war Weltklasse. Er muss sich aus meiner Sicht noch ehrlicher fragen, warum da einfach beim Schwimmen kein Durchbruch kommt. Warum bekommt es ein Bewegungstalent wie Lionel Sanders hin (Vorsicht: Ironie!), in vergleichsweise kurzer Zeit so schnell zu schwimmen und er nicht? :o)

Selbstzweifel

Im Grunde genommen klingt es zuerst einmal paradox, wenn sich die Besten der Besten ständig selbst in Frage stellen, an sich, dem Trainer und dem Training zweifeln. Und auf der anderen Seite scheint es mir so, als ob das Wörtchen Selbstzweifel am unteren Ende der Ergebnisliste kaum bekannt ist. Zweifel? Fehlanzeige. Das ist natürlich in dem Maße völlig in Ordnung, wo Menschen ohne jede Ambition Sport treiben, um sich zu entspannen, den Stress der Arbeitswelt abfallen zu lassen oder aus sozialen Gründen. Gleichzeitig fängt bereits dort für mich das Thema Ehrlichkeit an. Trainiere ich wirklich jenseits der zehn Stunden jede Woche, um „einfach nur Spaß zu haben“? Ehrlich? Ganz, ganz ehrlich? Ziehe ich mir beim Schwimmtraining mit dem Verein (Kosten! Zeitaufwand!) ernsthaft die fiesesten Intervalle rein und hänge leblos am Beckenrand, weil mir das ja so viel Freude bereitet? Wirklich jetzt? Ich kann an dieser Stelle eine gewisse Skepsis kaum unterdrücken.

Ehrlichkeit nach Außen

Neben der omnipräsenten Selbstverarschung („Also ich bin ja reiner Genussläufer!“) können wir aber auch in der Außenkommunikation die selbe Unaufrichtigkeit beobachten. Wobei oft nicht klar ist, ob es sich um gezielte Unwahrheiten handelt, oder die Menschen wirklich an das Gesagte glauben. Denn da sind natürlich gewisse Muster zu erkennen. Aussagen, wie „Ich bin total zufrieden mit meinem Ergebnis heute!“ hört man eben sehr selten von Sebi & Co. und am anderen Ende des Spektrums ständig.

Der scheinbare Widerspruch

Aus der Entfernung betrachtet wird aber recht schnell alles sehr verständlich. Retrospektiv betrachtet wird nämlich durchaus ein Schuh draus! Warum sind die Top-Performer (in praktisch allen Bereichen des Lebens) denn so gut? Eben GERADE WEIL sie sich ständig hinterfragen, stetig verbessern wollen, eine gewisse dauerhafte Unzufriedenheit mit sich und der eigenen Leistung verspüren … und diese Lücke schließen wollen! In der Sozialpsychologie spricht man in diesem Zusammenhang von kognitiver Dissonanz. Sebi, Frodo oder Lionel (sorry, ich bleib‘ mal bei den aktuellen Ironman-Stars) haben ein Bild von sich. Und auf diesem steht in großen Buchstaben CHAMPION als Label. Und mit dem Selbstbild des Meisters einher gehen bestimmte Erwartungshaltungen an sich selbst, die eigene Lebensführung, das eigene Training, die eigene Ernährung etc. Und natürlich vor allem die Erwartung, ein Rennen zu GEWINNEN. Ein Champion tritt eben nicht an, um Vierter zu werden. Nun tritt eine Lücke zwischen dem eigenen Selbstbild, der Erwartung an die eigene Leistung und die tatsächlich dargebotene Performance auf. Und schon entsteht eine Spannung zwischen Wunsch und Wirklichkeit, die ein Meister als Antrieb nutzt. Im Vergleich dazu tritt überhaupt keine Spannung auf, wenn ich mir sage, dass ich das ja nur zum Spaß mache und Zweitletzter ein sensationell gutes Ergebnis für mich ist. Und so lange mein Umfeld mitspielt und genau so unehrlich mit mir ist, wie ich selbst, passt alles („Wow, super Leistung – nicht Letzter geworden! Spitze!“).

Disclaimer (bevor mich ein paar total wertvolle Menschen, die sich hier irrtümlich hinverirrt haben mit ihren Projektionen konfrontieren): Dieser Blog ist ausschließlich für leistungsorientierte Athleten geschrieben und ausdrücklich nicht für reine Hobby-/Freizeitsportler. Und ja, er beschreibt wie immer lediglich meine Sicht der Welt und man kann selbstverständlich alles ganz anders sehen. Er ist lediglich als konstruktive Inspiration gedacht.
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