Jetzt doch noch mal was zu EHEC. Noch immer ist nicht ganz klar, was an die aktuelle Epidemie ausgelöst hat. Seit Anfang Mai haben sich in Deutschland ungefähr 1.600 Menschen infiziert, nach aktuellen Verlautbarungen sind 22 Patienten daran gestorben. Das ist natürlich traurig. Aber auf 82 Millionen Einwohner hochgerechnet, erscheint mir das nicht dermaßen dramatisch. Angesichts der Tatsache, dass jeden Monat etwa 200 Menschen bei Verkehrsunfällen sterben, kommt mir das sogar ziemlich wenig vor. Bei der Schweinegrippe, die ja die letzte Sau war, die durchs Seuchendorf getrieben wurde, sind nach Angaben des RKI zwischen März 2009 und Oktober Herbst 2010 in Deutschland 258 Patienten gestorben, bei allerdings auch bei mehr als 226.000 Infektionen. Das nur zur Einordnung.
Natürlich bin ich froh, solange EHEC mich verschont und ich muss gestehen, dass ich, als die entsprechende Warnung vom RKI kam, schweren Herzens eine schöne Salatgurke und eine Packung Tomaten aus Spanien in den Müll geworfen habe.
Nun sollen es die leckeren Sprossen gewesen sein – aber sie haben dort noch keinen fiesen Keim darin gefunden, was mich innerlich frohlocken lässt. Ich mag frischen Blattsalat mit Sprossen, jawohl. Und was ist ein Sommer ohne Gurken und Tomaten! Obwohl ich auch ein Spanferkel nicht von der Bettkante stoßen würde. Und ich verschmähe weder ein Rinderfilet noch eine Lammkeule oder gar einen schönen Wildbraten, wenn sie mir denn über den Weg laufen. Was nicht besonders häufig vorkommt.
Aber zurück zum Thema. Vor einigen Tagen gab es wieder einmal einen dieser verlogenen Artikel im Handelsblatt, in denen über den Hunger in der Welt reichlich Krokodilstränen vergossen werden. Hierzulande landen wie auch an anderer Stellen immer wieder erwähnt wird, Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll, während in anderen Teilen der Welt Millionen Menschen verhungern. Kein Wort über die tatsächlichen Ursachen dieser nun wirklich skandalösen Tatsache. Wenn es tatsächlich nur ein Verteilungsproblem wäre, wie gern getan wird, könnte man dieses mit einfachen Mitteln lösen – beispielsweise, in dem man die Leute in den Ländern, in denen viele MEnschen verhungern, nicht zwingt, Mangos und Schnittblumen für den alternativen Markt am Kollwitzplatz oder sonstwo zu produzieren, sondern sie Dinge anbauen lässt, von denen sie sich ernähren können.
Aber es ist nicht einfach so, dass hier zu viel wächst und wo anders zu wenig. Es wird zwar gern so getan, aber in Afrika, in Asien, in Lateinamerika wachsen die phantastischsten Sachen! Lecker, gesund und nahrhaft! Wenn man sie denn wachsen lässt. Das Problem ist, dass Nahrungsmittel nicht angebaut werden, um die Menschen satt zu machen, am besten mit gesunden Lebensmitteln ohne Dioxin, Salmonellen oder EHEC. Nein, Nahrungsmittel werden für den (Welt-)Markt erzeugt, sie sollen verkauft werden. Und sie werden einzig und allein zu dem Zweck hergestellt, verkauft zu werden. Zum Wahnsinnigwerden ist das. Es geht, wie immer im Kapitalismus, nur ums Geld. Und deshalb ist es eine unerträgliche Heuchelei, wenn immer wieder darüber gejammert wird, dass wo anders die Negerkinder verhungern müssen, weil die verwöhnten Bälger hier ihren Teller nicht leer essen wollen. Oder jetzt nicht essen dürfen, falls es sich um Rohkost handelt, am Ende gar um Bio-Rohkost!
In einigen Kommentaren wird nun auch die Häme über Biokost ausgegossen, als sei es nicht die Pharmaindustrie gewesen, die Antibiotika durch überreichliche Anwendung wirkungslos gemacht hätte, als sei es nicht die industrielle Produktion, die uns Schadstoffe im Essen beschert, weil man das Giftzeug nur gut verdünnt wieder los werden kann. Ja, es ist naiv zu glauben, dass man den Moloch Kapitalismus mit Bioprodukten zu einem guten Moloch machen könnte – aber das ist gar nicht das Thema beim Bio-Bashing. Da wird nur – und das zu recht – die Naivität der Leute gegeißelt, die glauben, dass es eine gute Marktwirtschaft und einen guten Konsum geben könnte, wenn man nur bereit wäre, genug dafür auszugeben. Das ist natürlich Unsinn. Aber wie gesagt, darum geht es leider gar nicht. Bio mag nicht die Lösung sein, aber konventioneller Kapitalismus ist erst recht keine.
Geradezu skurril mutet auch die Idee an, dass „denkende Verpackungen“ dabei helfen sollen, das Welternährungsprogramm zu lösen. Für die Verbraucher hierzulande mag es vielleicht ganz sinnreich sein, wenn ihnen ein Aufkleber auf der Schinkenpackung verrät, wie lange der Schinken schon in der Fleischtheke auf einen Käufer wartet.
Aber das eigentliche Problem wird damit kein bisschen gelöst: Dass die Leute, die hungern, in der Regel nicht deshalb hungern, weil es nicht genug zu essen geben sondern weil sie sich das, was es gibt, nicht kaufen können. Das ist übrigens auch hierzulande inzwischen ein Problem: Wer arm ist, kann sich vielleicht genug zu essen kaufen, dass er nicht hungrig ins Bett muss. Aber genug gesundes Essen für eine ausgewogene Ernährung, die nicht nur schmeckt, sondern auch gesund erhält und nicht einfach satt und fett macht, ist längst nicht mehr drin. Warum sonst sind gerade die armen Leute besonders häufig übergewichtig? Weil sie sich eben nur kalorienreichen Billigscheiß leisten können. Jeden Tag Pellkartoffen und Quark ist halt auch nicht toll, und nicht jeder mag jeden Tag Möhrchen knabbern. Also wird gefressen, was die Industrie an Dreckzeug ausspuckt und als „Lebensmittel“ vertickt.
Ganz nebenbei las ich, dass eine Salatgurke, die unter menschenfreundlichen Bedingungen in Deutschland erzeugt wird, mindestens einen Euro kosten müsste, damit sich der Anbau für die Gemüsebauern lohnt. Das ist auch für mich eine Menge Geld. Dabei gehöre ich noch längst nicht zur Kaste der Ein-Euro-Jobber. Ich hab einen regulären Job, aber eben keinen, der nach Tarif bezahlt wird. Das war zu schön. Nein, ein ganz normales Berliner Akademiker-Arbeitsverhältnis, das damals als Berufsanfänger super war und nun zum Mühlstein um den Hals wird: Wie dann die Gurken zustande kommen, die nach Tausenden Kilometern im Laster für 35 oder 49 Cent im Regal landen, will man sich gar nicht vorstellen. EHEC ist da nur die Spitze des Eisbergs.
Aber anstatt nun einmal ernsthaft darüber nachzudenken, wie man Produktionsbedingungen so gestalten kann, dass kein Dreck ins Essen kommt UND alle Menschen satt werden, wird nur darüber lamentiert, was der aktuelle Image-Schaden die Agrar-Industrie kostet und wer das bezahlen muss. Ach, und die armen Kliniken nicht zu vergessen. Die jammern ja auch, was das alles kostet und wer das bezahlen soll. Dabei ist doch klar: Zahlen werden Steuerzahler, Versicherte und Verbraucher. Wer denn sonst.
Die Verantwortung für die offensichtlichen Missstände bei der Produktion und Verteilung der Lebensmittel wird als schwarzer Peter rumgereicht, denn Schuld muss irgendwer sein – die regulierungswütige EU, die unfähigen Regierungen, die Verbraucherministerin, der Gesundheitsminister (nicht, dass es mir um die leid täte) schwarzen Schafe unter den eigentlich anständigen Landwirten (dito), die profitgierigen Zwischenhändler (dito) und nicht zuletzt die dummen Verbraucher, die einerseits billiges Gemüse wollen und es dann auch noch (dito). Am System kann es nicht liegen. Denn ein anderes ist ja nicht möglich. Ich geh jetzt erstmal aufs Klo.
Kotzen.