EHEC in aller Munde

Von Geozentrale
von Steffen Hirth
Die aktuelle Aufregung um das pathogene Darmbakterium EHEC ist verbunden mit einer hohen medialen Aufmerksamkeit, die vor allem den Appetit auf rohes Gemüse verdirbt. Menschen sind gestorben, Tonnen von Lebensmitteln landen auf dem Müll. Wer hat Schuld? Die genaue Herkunft der Erreger wird gerade eifrig von Wissenschaftler_innen untersucht. Eine ungefähre Antwort darauf, ist erstens leichter und hat zweitens mehr mit Geographie zu tun, als man vielleicht denkt.

Eigentlich sind Escherichia coli (E. coli) ganz normaler Bestandteil einer gesunden Darmflora. Unter bestimmten Umständen können jedoch krankheitsauslösende Stämme dieses Darmbakteriums entstehen: Enterohämorrhagische Escherichia coli - kurz: EHEC. Das Hauptreservoir des Erregers, verrät Wikipedia, bilden Wiederkäuer, vor allem Rinder. Die Übertragung erfolgt auf vielfältige Art und Weise, stets aber durch die (unbeabsichtigte) Aufnahme von Fäkalien.
Abb. 1: Schlagzeile auf tagesschau.de (01.06.2011).
Die Berichterstattung vermittelt im Moment vor allem zwei Botschaften: Wir wissen nicht, wo es herkommt und beim Gemüse Essen bloß vorsichtig sein! Die Reaktionen der Verbraucher_innen reichen von Übersättigung und Gleichgültigkeit - keine Panik, nur ein weiterer Lebensmittelskandal - bis zu ernster Sorge und dem Verzicht auf jegliche Lebensmittel, die in Verdacht sind. Da Gurken im Moment geringe Nachfrage haben, bleiben Gärtner_innen auf ihrer Ernte sitzen, schmeißen Tonnen in den Müll und sind wirtschaftlich von der Existenz bedroht. Ich habe schon Leute witzeln hören: "Jetzt essen wir nur noch Fleisch!", was ein Vegetarierherz in Rage bringen kann. Lustig ist das Thema aber spätestens dann nicht mehr, wenn im Kreis der Bekannten jemand erkrankt ist und in Quarantäne im Krankenhaus liegt.
Die aktuelle Suche nach verantwortlichen Betrieben und die Vorsicht im Haushalt sind natürlich wichtig. Dennoch ist das, worüber Expert_innen im Moment in den Medien sprechen, vor allem die Behandlung von Symptomen, während die Wurzel des Problems nur bis zu ihrem Ansatz erwähnt wird: Irgendwie, wahrscheinlich durch Düngung mit Gülle, sind verseuchte Fäkalien an das betroffene Gemüse gekommen. Dieses Problem ist alles andere als neu!
Abb. 2: Der Autor Michael Pollan: "Wir füttern Mais und Coli-Bakterien bilden sich, dann geschieht eine Mutation: Der Erregerstamm E.Coli 0157H7 entsteht, das Ergebnis der neuen Diät der Rinder und ihrer Haltung in Massenbetrieben." (Quelle: "Food, Inc.")
Allen Trenkle, Ernährungswissenschaftler der Universität Iowa, erklärt in dem Film "Food Inc." wie es zu einer rasanten Vermehrung von E.coli-Bakterien im Darm von Rindern kommt. Im Pansen befinden sich Millionen von Mikroorganismen, die bei der Verdauung helfen und natürlicherweise Grasfresser sind. Da Mais ein besonders billiges Futtermittel ist und Rinder schnell fett macht, bekommen die meisten von ihnen kein frisches Gras zu fressen - entgegen dem Eindruck von grünen Weiden, den die Werbung so gerne vermittelt. Durch das Maisfutter, sagt Trenkle, bilden sich E. coli-Bakterien, die säurebeständig sind - die schädliche Variante.
Der Autor Michael Pollan erläutert: "Die Tiere stehen knöchelhoch im Mist, d.h. hat eine Kuh es, kriegen es die anderen auch. Im Schlachthof ist ihr Fell mit Mist bedeckt. Dort werden 400 Rinder in der Stunde geschlachtet. Wie will man da verhindern, dass der Mist auch auf den geschlachteten Tierkörpern ist? So gelangt der Dung ins Fleisch und damit ist der neue Erreger im Nahrungskreislauf."
Video: Ein Ausschnitt aus dem Film "Food, Inc.". Der Abschnitt zu den E.coli-Bakterien beginnt nach etwa 6min (Quelle: Youtube.com).
Die meisten Masttiere fressen heute nicht mehr Gras, sondern Mais, Soja, Weizen und anderes Getreide, heißt es in "Wege aus der Hungerkrise", eine Publikation, die den Weltagrarbericht 2009 zusammenfasst. Weltweit werden 33% des Ackerlandes für die Produktion von Futterpflanzen aufgewendet (Wege aus der Hungerkrise 2009: 25). Ausschließlich Grünlandwirtschaft zu betreiben, würde den hohen Bedarf an Fleisch- und Milchprodukten in westlichen Industrieländern nicht decken (vgl. Abb. 3).
Abb. 3: Im Durchschnitt essen Deutsche pro Jahr 83 kg Fleisch (Quelle: Wege aus der Hungerkrise 2009: 25).
Die Reduzierung des Verbrauchs tierischer Nahrungsmittel ist der dringendste und effektivste Schritt zur Sicherung der Ernährung, der natürlichen Ressourcen und des Klimas (ebd.). Angesichts der Probleme, die unter dem Globalen Wandel zusammengefasst werden, erscheint die EHEC-Epidemie als nicht mehr als eine kleine Begleiterscheinung. Das Kernproblem ist jedoch das gleiche: Das durchschnittliche Konsumverhalten und der damit verbundene Lebensstandard in den Ländern des Nordens ist nicht nachhaltig.
Die Mehrheit schaut im Supermarkt vor allem auf den Preis. Billige Futterpflanzen decken den hohen Pro-Kopf-Konsum, obwohl die Mägen der Tiere evolutionär nicht dafür ausgelegt sind. Die Entstehung von schädlichen E.coli-Stämmen ist somit einkalkuliertes Risiko, zumindest von Seiten der industriellen Landwirtschaft. In der Presse wird dieses Thema (soweit meine Beobachtungen reichen) kaum angesprochen. Ärgerlich ist, dass die direkte Gefahr nun vor allem von Gemüse ausgeht - zumindest ist, dass die Botschaft, die rüberkommt - obwohl ohne Zweifel die Tierhaltung für den Skandal verantwortlich ist. Es passiert das Gegenteil, von dem was für einen wirklichen Wandel passieren müsste. Die Angst vor Gemüse wird geschürt, obwohl gerade mehr pflanzliche Lebensmittel konsumiert werden müssten, um die Ernährung sicher und nachhaltig zu gestalten. Würden nur so viele tierische Lebensmittel konsumiert, wie in Weidehaltung produziert werden können, wäre das Angebot zwar geringer, der Preis höher, aber die Sicherheit von Tierprodukten wären höher, während die Preise für Gemüse, aufgrund der größeren Anbauflächen (die jetzt für Futtermittel draufgehen), deutlich niedriger sein könnten.
So bekommt der Spruch: "Vegetarier essen meinem Essen das Essen weg!" eine interessante Wendung: Wer viel Fleisch- und Milchprodukte verzehrt, bescheißt mein Gemüse! Nur ein positiver Aspekt bleibt: Die Geographie der Ernährung ist das Salz auf meiner leckeren Gemüsepfanne des Studiums. Dem Bruder meines Freundes wünsche ich Gute Besserung!
Mehr zum Thema:
- Wege aus der Hungerkrise (2009), Internet: http://www.weltagrarbericht.de/downloads/Wege_aus_der_Hungerkrise_2.4MB.pdf
- Film: Food, Inc. - Was essen wir wirklich? (USA, 2008)
- Buch: "Das Dilemma des Allesfressers" von Michael Pollan (FAZ.net, 16.02.2009)