Edvard Munchs Gemälde und Selbstportraits sind weltberühmt. Eine Biografie zeigt die Lebensgeschichte hinter der Leinwand.
Der Schrei ist eine gemalte Autobiografie des norwegischen Künstlers Edvard Munch. Das weltberühmte Gemälde zeigt grelle Farben und schwungvolle Wendungen, skandinavische Fjorde und abendliche Melancholie, panische Angst und tiefe Verzweiflung. Eine neue Biografie stellt den Menschen hinter dem Maler Munch in Worten vor - aber kaum weniger eindringlich.
Die Lebensgeschichte
Edvard Munch wird im Dezember 1863 geboren. Die dunklen Seiten des Lebens lernt er früh kennen. Fünf Jahre ist er alt, als die Mutter stirbt. Ihre Schwester, Tante Karen, kümmert sich um Edvard und dessen Familie. Ihrem Engagement verdankt Edvard den bitter notwendigen Halt in seinem noch jungen Leben. Denn wenig später verliert er auch noch seine geliebte Schwester. Das wird sein späteres künstlerisches Schaffen prägen. Der Vater, ein Mediziner, erkennt wie Tante Karen, was in seinem Jungen steckt und schickt ihn zum Zeichenunterricht - so wie auch Picasso von seinem Vater gefördert wird.
Ganz ähnlich wie der etwas jüngere Picasso nutzt Munch die akademische Ausbildung dazu, sich radikal von Allem abzuwenden, was die klassische Kunstwelt bislang gesehen hat. Seine Motive malt ein braver Maler nicht. Sie so düster und verstörend wie seine eigene Jugend.Das kranke Kind ist eines der ersten Bilder, in denen Munch sein emotionsgeladenes Schaffen kompromisslos ins Werk setzt. Wie der Schrei lässt ihn auch das kranke Kind (seine sterbende Schwester) nicht los - er malt es immer wieder.
Wie sehr Munch, der in seinen ausdrucksstarken Werken allmählich zum Meister des Expressionismus heranreift, Gefangener seiner eigenen Gefühle ist, zeigt sich in seinen Selbstporträts. Im Laufe seines Künstlerlebens haucht er ihnen immer wieder die schwankenden Stimmungen ein, in denen sie entstehen. Die Selbstportäts erlauben ungeschminkte Einblicke in die geschundene Seele eines melacholischen Künstlers. Denn Munch ist psychisch labil. Er durchlebt euphorische wie depressive Phasen, die ihn nicht nur zum Alkohol verleiten, sondern auch psychologische Behandlungen erfordern.
Seiner Kunst schadet das nicht: Selbst in hoffnungsloser Niedergeschlagenheit führt das Genie für Edvard Munch den Pinsel. Die rabiate Zurschaustellung menschlicher Empfindungen stößt seine Zeitgenossen ab - und zieht sie an. Denn irritierende Bilder sind reizvoll und finden immer wieder die nötigen Förderer. Als die Öffentlichkeit entdeckt, das hinter den schrägen Gemälden ein noch schrägerer Typ steckt, da ist der Durchbruch fast ein Selbstläufer. Irgendwann aber wird es selbst dem Fürsprecher der ausdrucksstarken Farben zu bunt. Munch zieht sich zusehends zurück, um in Ruhe zu malen.
Die Rezension
Es ist nicht immer leicht, sich auf innerlich zerrissene Menschen einzulassen. Edvard Munchs Bilder verraten Emotionen, aber nicht deren Ursachen. Diese wertvollen Ergänzen sind Aufgabe des Biografen. Atle Naess hat diese Aufgabe glänzend bewältigt: Er vollzieht Monat für Monat und Jahr für Jahr Munchs seelisches Befinden nach. Das könnte eine Ochsentour sein (für Autor wie Leser) und der voluminöse Umfang des Buches deutet auch darauf hin. Aber weit gefehlt. Munchs Lebensgeschichte ist fundiert recherchiert und ansprechend aufbereitet. Zwar ist diese Biografie kein rasanter Lebensthriller, sondern eher ein Bericht. Die Spannung wird aber hoch gehalten, weil Atle Naess den Zugang zu Munchs Psyche gefunden hat und profund hindurchführt. Dabei verzichtet er dankenswerterweise auf pseudo-psychoanalytische Botschaften und überlässt dem Leser ein eigenes Urteil. Dieses Buch führt zu Munch, ohne ihn in konstruierter Weise zu überführen.