Eduard von Keyserling: Schwüle Tage. Erzählungen

Von Buchwolf

Wolfgang Krisai: Schloss Leesdorf, Baden bei Wien. Tuschestift, Buntstift, 2017.

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Schwüle Tage

„Schwüle Tage“ ist die erste Erzählung in dem gleichnamigen Sammelband von längeren Erzählungen Eduard Graf von Keyserlings aus dem Manesse-Verlag.

Die Ich-Erzählung beginnt damit, dass Bill, der Erzähler, mit seinem Vater Gerd im Zug nach Fernow fährt, wo er sich den Sommer über auf das Abitur im zweiten Anlauf vorbereiten soll. Denn beim Haupttermin hat er gerade versagt.

Der Vater ist ein Herr alten Schlags, Gutsbesitzer, wortkarg, streng, immer auf „Tenue“ bedacht. So scheint es zumindest. Im Lauf der Erzählung blättert da allerdings gehörig der Lack ab.

Die Dienerschaft auf Fernow macht sich fast ein wenig lustig über Bills Situation; er befindet sich ja momentan genau zwischen Kind und Erwachsenem, und als „junger Graf“ hat er wohl einst mit den Bediensteten auf bestem Fuß gestanden und war fast ihresgleichen.

In der Nacht hört er vom Park her den melancholischen Gesang einer Bauerntochter, Margusch, der ihr Geliebter davongelaufen ist. Bill setzt sich zu ihr an den Schlossteich und merkt schnell, dass dieses einfache Mädchen einen erstaunlichen Scharfblick auf die Probleme der Herrschaft und der Menschen überhaupt hat.

Der Vater ermahnt am nächsten Morgen den Sohn, sich nicht mit Bauernmädchen einzulassen. Die Warnung ist beileibe nicht unbegründet, denn Bill ist, sobald sich die Gelegenheit ergibt, auf „Weibergeschichten“ aus, ohne allerdings je zum Ziel zu kommen. So etwa stöbert er gemeinsam mit einem Diener nach durchjagter Nacht zwei Mägde auf einem Heuboden auf und hätte am liebsten, dass sie sich ihm augenblicklich hingeben. Nur das Morgengrauen und die Pflicht der Mägde bewahrt diese vor weiteren Annäherungen.

Man hat das Gefühl, es sei für einen jungen baltischen Adeligen selbstverständlich, sich der Mädchen des Dorfs zu bedienen, wenn ihn die Lust anwandelt, und diese Mädchen finden das auch gar nicht unangenehm, sondern ebenfalls selbstverständlich.

Die verwandte Familie Bandag auf dem nahen Gut Warnow wird besucht. Dort gibt es neben einer steinalten Tante vor allem zwei muntere Töchter: Ellita, die ältere, und Gerda, die jüngere. Beide reizen Bills erotische Gelüste. Doch da er sich ungeschickt benimmt, kommt es zu keiner Annäherung, die über ein nächtliches Gespräch im Park hinausginge.

Einmal fühlt er sich ausgeschlossen und bleibt trotzig auf der Veranda, während die Gesellschaft sich drinnen zum Diner versammelt. Und da sieht er in der Nische des Fensters, durch das er hineinschaut, seinen Vater mit Ellita reden – und schlagartig wird ihm klar, dass die beiden ein Verhältnis haben. Doch nun soll Ellita mit dem jungen, geckenhaften Went verheiratet werden.

Ein paar Tage später sieht Bill zu Hause seinen Vater weinen. Er weint um Ellita.

Bei einem weiteren Besuch in Warnow klettert Bill auf einen Baum. Und ausgerechnet unter diesem Baum erscheinen nun Ellita und der Vater zu einem Abschiedsgespräch. Ellita sagt, sie hätte ohne weiteres das Verhältnis noch weitergeführt, aber Gerd habe es ja so wollen, dass sie den jungen Went heiraten solle.

Zu Hause kommt es zu einer Aussprache zwischen Vater und Sohn. Der Vater legt ihm nahe, nach dem Abitur Jurisprudenz zu studieren. Und dann am Haus seines Lebens vernünftig und vor allem stilvoll zu bauen. Man müsse wissen, wann das Haus fertig sei, betont er. Das Gespräch versandet dann aber in Belanglosigkeit.

Schließlich kommt es zur Abfahrt der gesamten Warnower Verwandtschaft. Bill und Gerd finden sich dazu am Bahnhof ein. Als der Zug abgefahren ist, gibt sich der bleiche Vater mit einer kleinen goldenen Spritze eine Injektion. Bill gegenüber sagt er, er brauche das gegen Migräne.

Als Bill wenige Tage später wieder einmal nachts in den Schlosspark geht, um dort Margusch zu treffen, entdecken die beiden den still an einem Baum sitzenden Vater. Als er auf Anreden nicht reagiert, stellen die beiden fest: Er ist tot. Die goldene Spritze liegt neben ihm.

Margusch sagt: „Ach Gottchen! der arme Herr, der hat nu auch nich’ mehr gewollt!“ (S. 84). Dann läuft sie ins Schloss, um Hilfe zu holen.

Der Sohn empfindet keine starke Trauer um den Vater. Der Doktor kommt und deutet dem Sohn an, dass der Vater Morphinist gewesen sei. Da wird Bill klar, was der Vater mit „Man muss wissen, wann das Haus fertig ist“ gemeint hat.

Nun ist er der Herr von Fernow. Dass er unbewusst sogleich beginnt, sein „Lebenshaus“ nach ästhetischen Gesichtspunkten zu bauen, merkt man im im letzten Absatz, wo er endlich ein paar Tränen um den Toten vergießt, vor den Augen des Dieners: „Es war gut, dass er mich weinen sah; denn ein Sohn, der nicht um seinen Vater weinen kann, ist häßlich.“ (S. 91)

An dieser Erzählung beeindruckt wie schon in anderen Werken Keyserlings die sich unvermittelt auftuende Doppelbödigkeit. Der zunächst so solide scheinende Vater wird als Mensch mit einem Doppelleben entlarvt; die scheinbar glückliche Braut Ellita trauert um den Verlust ihres Geliebten, usw. In der schwülen Sommeratmosphäre lässt sich die geheime Seite der Personen jedoch nicht mehr geheim halten, wodurch eben manches ans Licht kommt.

Für Keyserling ungewöhnlich ist die Form der Ich-Erzählung. Sie bietet hier aber die Möglichkeit, den naiven Erzähler erst nach und nach hinter die Geheimnisse seiner Verwandtschaft kommen zu lassen, was für den Leser ebenfalls Spannung erzeugt, nicht nur für den Helden selbst.

Bunte Herzen

Auf dem baltischen Landgut Kadullen nahe bei der russischen Grenze verbringen Graf Hamilkar von Wendl-Dux und seine Familie und Gäste den Sommer. Zu Gast ist ein Universitätsprofessor mit seiner Frau, der sich mit Träumen beschäftigt und mit dem Grafen über hohe Dinge philosophiert. Sonst gibt es noch eine Schar junger Leute, Mädchen wie Burschen, von denen drei in den Mittelpunkt treten: Hamilkars siebzehnjährige Tochter Billy, ihr Cousin Boris von Dangellô (ein Pole, der zu Gast ist) und ihr Cousin Moritz von Hohenlicht (Student). Die junge Französin Marion Bonnechose, Tochter einer Erzieherin und beste Freundin Billys, spielt eine wichtige Nebenrolle. Hamilkar ist Witwer, den Haushalt leitet seine Schwester, Komtesse Betty.

Was in so einer Situation klar ist und was der Graf auch kommen sieht: Unter den jungen Leuten entwickeln sich Beziehungen. Moritz ist still in Billy verliebt, Boris aber sozusagen „laut“, energisch. Mit seinen hohen, unbedingten Ansprüchen, die er auch an Billy stellt, fasziniert er das junge Mädchen. Alle wissen, dass sich hier ein „Roman“ anbahnt. Boris hält nichts von vorsichtigen Tändeleien und geht aufs Ganze: Er hält bei dem Grafen um die Hand von Billy an.

Der Graf weist ihn entschieden ab und fordert ihn auf, noch am Nachmittag abzureisen. Auch ein Gespräch Billys mit dem Vater fruchtet da nichts, denn dieser bleibt hart. Boris ist für ihn ein in seiner Verstiegenheit völlig unbrauchbarer Anwärter. Dieser sieht das nicht ein, reist zwar befehlsgemäß ab, schickt Billy jedoch ein Briefchen mit der Aufforderung, gegen Mitternacht bei einer markanten Linde am Rand des Schlossparks zu sein, damit sie mit ihm durchbrennen könne.

Billy findet sich tatsächlich dort ein, Boris erwartet sie, in der Nähe steht ein Wagen bereit, man fährt einige Stunden durch die verregnete Nacht, bis der Kutscher aufgehalten wird. Die Brücke, über die der Weg führe, sei einsturzgefährdet. Daher wird bei einer von einer jüdischen Familie betriebenen Spelunke Halt gemacht. Ein Freund von Boris, der ihm bei der Organisation der Flucht geholfen hat, findet sich sein und macht auf Billy einen dubiosen Eindruck. Ihre noch während der Kutschfahrt verliebte Stimmung sinkt von Minute zu Minute. Die jungen Männer spielen Karten und trinken Sekt.

Schließlich zieht Billy sich in ein Nebenzimmer zurück, wo sie sich auf ein Bett legt. Angst überkommt sie, es wird ihr klar, dass das Leben mit Boris nicht schön werden würde, sondern das alles irgendwie finster und bedrohlich ist.

Boris erscheint, betrunken, und sagt, das Beste wäre, miteinander Selbstmord zu begehen. Er habe ein Pistole dabei. Da wird Billy endgültig Angst und Bang. Nachdem sich Boris entfernt und in der Gaststube hingelegt hat, sein Freund nach Hause geritten ist und es im Haus still wird, nimmt Billy ihren Mantel und klettert aus dem Fenster. Nach Hause, nichts als nach Hause, ist ihr Wunsch. Wie ferngesteuert läuft sie durch den nächtlichen Regen, stundenlang. Als es endlich dämmert, erreicht sie ein kleines Dorf, wo sie sich beim erstbesten Haus erkundigt, wie weit es noch nach Kadullen sei. Ein alter Mann gibt ihr Auskunft: drei Stunden zu Fuß. Aber er kenne das Gut, verkaufe dort immer seinen Honig, und werde sie mit dem Pferdewagen hinbringen. Seine Tochter solle ihr trockene Kleider geben.

Diese Tochter er- und verkennt Billys Lage und glaubt, ein gefallenes Mädchen vor sich zu haben, dem es gehe, wie ihr selbst, die von einem treulosen Burschen geschwängert wurde. Sie redet wie eine Komplizin mit Billy und schimpft auf die Männer. Billy verteidigt den ihren halbherzig.

Im Schloss, wo Billy einen kurzen Abschiedsbrief hinterlassen hatte, herrscht inzwischen helle Aufregung. Junge Männer sind Billy suchen geritten. Da trifft sie ein, schleicht über die Hintertreppe in ihr Zimmer und will den ganzen Tag in Ruhe gelassen werden. Diese Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer.

Erst am Abend erzählt Billy Marion alles. Was Billy nicht ahnt, ist, dass Boris’ Freund an den Grafen einen Brief geschrieben hat, in dem er mitteilt, Boris habe sich erschossen. Als Billy in der Abenddämmerung mit Moritz, den sie draußen zufällig trifft, redet, erfährt sie von ihm die Todesnachricht und bricht ohnmächtig zusammen.

Nach Wochen ist ihr Nervenzusammenbruch auskuriert und sie kann wieder in den Garten gehen.

Graf Hamilkar hat das alles ziemlich mitgenommen, immer wieder grübelt er über das Schicksal nach. Er fragt sich, ob diese ganze Geschichte, die sein Leben ist, überhaupt einen Sinn hat: „Bin ich eine Zahl in der großen Rechnung, so habe ich zwar einen Sinn, aber das Resultat unter dem Strich braucht mir deshalb noch lange nichts zu bedeuten.“ (S. 229) Über diesen Gedanken sinkt er plötzlich auf seiner Parkbank zur Seite und ist tot. „Drüben aber, unter dem Birnbaum, saß Billy, schaute mit fieberblanken Augen in die Abendsonne und lächelte noch immer ihr erwartungsvolles, verlangendes Lächeln.“ (S. 230) Damit endet die Erzählung.

Die Geschichte der gemeinsamen Flucht ist überaus spannend erzählt, das würde man bei Keyserling gar nicht vermuten. Die Erzählung lebt inhaltlich von dem Kontrast zwischen der „aufrechten“ Haltung Graf Hamilkars, der genau weiß, dass er Billy kurzfristig unglücklich machen muss, um ihr dauerndes Glück zu sichern, und der naiven Romantik Billys. Dass Hamilkars gute Absicht aber von der Verrücktheit des Liebespaars, das die Konventionen bricht und gemeinsam flieht, durchkreuzt wird, verursacht das eigentliche Unglück. Billy realisiert in ihrer Naivität gar nicht, dass sie sich gesellschaftlich unmöglich macht. Dass in der Liebe heutzutage nicht mehr alles so rund läuft, macht schon Billys wesentlich ältere Schwester Lisa deutlich, die als tragische Figur im Schloss herumgeistert, weil sie einen treulosen Griechen geheiratet hat, der sie wieder verlassen hat. Nun ist sie gesellschaftlich im Out und zu nichts mehr zu gebrauchen. Das nächste Opfer absurder Liebesvorstellungen ist nun Billy.

Dem Grafen wird aber bewusst, dass seine Welt der alten adeligen Konventionen auch nicht mehr trägt, daran stirbt er schließlich. Für Billy darf man hoffen: Vielleicht gibt es wirklich einen Weg für sie, auf dem sie glücklich wird.

Keyserling schrieb diese Geschichte 1909, während die folgende aus dem Jahr 1914 stammt.

Nicky

Diese Geschichte zeigt, dass Keyserling sich nicht in den Taumel der Kriegsbegeisterung von 1914 hineinreißen ließ. Er sieht schon 1914, dass der Krieg vor allem eine Sterben, ein sinnloses Sterben der Soldaten ist.

Zunächst scheint noch alles friedlich: Baron Oskar von Reichel schickt seine Frau Nicky wie jedes Jahr von der Stadt (vielleicht darf man sich München vorstellen) in ein Bergdorf auf Sommerfrische. Nicky ist irgendwie unbefriedigt von ihrem vorbildlichen Eheleben, das bisher kinderlos ist. Oskar leitet sie sanft, aber bestimmt, und sie hat keinerlei „eigenes“ Leben.

Auch im Bergdorf kennt sie alle Leute, die wie sie dort jedes Jahr auf Sommerfrische sind.

Dieses Jahr jedoch taucht ein neues Gesicht auf: der brasilianisch-deutsche Pianist Fanoni, berühmt, aber schwindsüchtig. Nicky kommt bei einem längeren Spaziergang zu einer Bank, von der aus sie Fanonis Klavierspiel, das aus dessen nahe gelegenen Häuschen tönt, zuhören kann. Sie ist davon so berührt, dass sie jeden Tag wiederkommt. Das bleibt dem Pianisten nicht verborgen. Bald kommt er aus dem Häuschen und verwickelt Nicky in ein tiefsinniges Gespräch, wie es noch nie jemand mit ihr geführt hat. Sie sieht sich in höhere Sphären gehoben und kann in den nächsten Tagen an nichts anderes mehr denken als an Fanoni.

Kurz darauf treffen sie auf einer Waldlichtung aufeinander und kommen in ein Gespräch, im Laufe dessen Fanoni ein Märchen erzählt: von einer Insel, auf der nur Puppen existierten, die wie Menschen aussehen, aber an einem unangenehmen Schnarren in der Stimme als Puppen zu erkennen sind. Es sind kalte, unangenehme Existenzen.

Sie treffen sich ab nun täglich, einmal gehen sie sogar in einen Nachbarort tanzen, doch das erweist sich als Fehler, da Fanoni einen schrecklichen Hustenanfall erleidet. Nicky fürchtet schon, er werde sterben. Doch er erholt sich wieder, und diese Stunde gemeinsam durchlebter Todesangst bindet die beiden noch mehr aneinander.

Am Wochenende kommt Oskar aus der Stadt und verkündet, die Armee sei in Alarmbereitschaft versetzt, auch er werde einrücken müssen. Er will auch, denn er müsse natürlich sein Vaterland verteidigen. Am nächsten Tag fährt Oskar wieder zurück, und Nicky hat ein schlechtes Gewissen, dass sie während seines Besuches mehr an Fanoni als an ihren Ehemann gedacht habe. Abends trifft sie Fanoni – und es kommt zu einem Kuss.

Wenig später wird der Krieg erklärt, Oskar kommt in Uniform zu Nicky, holt sie in die Stadt, damit sie bei seinem Abrücken ins Feld dabei sein könne. In der Stadt wird Nicky von der allgemeinen Kriegsbegeisterung ergriffen, doch eine Begegnung mit einem Mädchen, das rundheraus fragt, ob die vielen Soldaten alle sterben müssten, bringt einen Riss in die Begeisterung. Als sie dann gleich wieder in die Sommerfrische zurückfährt, sitzt sie mit einem heulenden Mädchen im Abteil, das verzweifelt ist, weil sein erst junges Eheglück vom Krieg zerstört wird.

Ins Dorf zurückgekehrt, bemerkt Nicky eine völlige Veränderung der Stimmung. Auf der abgelegenen Bank trifft sie sich mit Fanoni, der vom Krieg nichts hält. Nicky hingegen spricht zu ihm mit den gängigen Phrasen, und er wirft ihr vor, wie eine Puppe zu sprechen. Fanoni verabschiedet sich enttäuscht und geht. Nicky bleibt weinend zurück. Auf dem Heimweg begegnet ihr die Stallmagd Resei, die ihr prophezeit: „Die Männer sind alle fort; die kommen nicht wieder“ (S. 298).

Während die Geschichte zunächst um die unerfüllte Lebenssituation Nickys kreist, der die geheime Annäherung an Fanoni endlich eine nicht gekannte Würze gibt, wechselt das Thema dann zur Rolle der Frau angesichts des Krieges. Am Schluss steht eine gewisse Stärke und Entschlossenheit der Frauen, die zwar nicht selbst in den Krieg ziehen können, jetzt aber stark bleiben müssen.

Am Südhang

In dieser längsten Erzählung des Bandes steht ein junger Leutnant im Mittelpunkt, Karl Erdmann von West-Wallbaum, der kurz nach der Ernennung zum Leutnant auf das väterliche Landgut kommt, um dort den Sommer zu verbringen. Als „Hypothek“ hat er eine Duellforderung mitgebracht, der er im Lauf der Ferien stattgeben muss. Ein Referendar hat ihn irgendwie beleidigt, jetzt muss das mit der Waffe ausgehandelt werden.

Auf dem Landgut ist im Sommer, wie sich das so gehört, die ganze Familie von West-Wallbaum versammelt, Karls Bruder Otho, seine Schwester Oda samt Verlobtem Graf Ottomar von Lynck, sein jüngerer Bruder Leo, seine Mutter und sein Vater. Weiters gibt es einen Hauslehrer namens Aristides Dorn (der notorische Eiferer, wie sie in Keyserling-Geschichten vorkommen) und, als gesellschaftlichen Mittelpunkt: die geschiedene, aber hocherotische Frau Daniela von Bardow, deren Verwandtschafts- oder Bekanntschaftsverhältnis zur Familie nicht aufgeklärt wird, die aber schon seit Jahren zu den Sommergästen gehört. Alle Männer sind von ihr bezaubert, gegen einige benimmt sie sich kokett (insbesondere gegen Dorn), nur Karl gegenüber bleibt sie kühl schwesterlich, obwohl auch er in sie verliebt ist.

Auch in diesem Sommer ist es so, doch die Tatsache, dass Karl bei dem Duell, das sich ganz gegen seinen Willen herumgesprochen hat, erschossen werden könnte, berührt auch Daniela. Zuerst hält sie Karl auf Distanz. Als dieser jedoch sieht, dass ausgerechnet der Hauslehrer ihn bei Daniela ausstechen könnte (er gibt ihr täglich Griechischstunden), greift er zu einem drastischen Mittel: Er schreibt Daniela einen glühenden Liebesbrief.

Daniela will zwar nach außen hin von diesem Brief nicht Notiz nehmen (gelesen hat sie ihn natürlich trotzdem, gibt ihn aber wieder an den Absender zurück), als jedoch die letzte Nacht, die Karl vor dem Duell im Haus verbringen wird, anbricht, bestellt sie ihn diskret in eine versteckte Ecke des Gartens und gibt sich ihm dort hin. Aristides Dorn belauscht die beiden dabei…

Am nächsten Morgen brechen alle Männer zum Duell auf, das in einem entfernten Wald am übernächsten Morgen stattfinden soll. Unterwegs nehmen sie einen Arzt mit, der so eine Situation noch nie erlebt hat und vor Aufregung ganz gesprächig und philosophisch wird. Zu Gesprächen bieten die Wagenfahrt und der Abend genug Gelegenheit. Sogar vom Tod redet der indiskrete Arzt.

Dann das Duell: beide Kontrahenten verfehlen einander, vermutlich absichtlich, man versöhnt sich, alle, insbesondere der Arzt, sind erleichtert.

Als man am Abend wieder im Schloss ist und alle Frauen höchst erleichtert sind, Karl lebend zurück zu haben, hört man plötzlich vom Garten her einen Schuss. Aristides Dorn hat sich erschossen. Der alte Graf versteht überhaupt nicht, warum.

Daniela ist verstört und reist ab. Für immer. Karl Erdmann, der vielleicht auf eine Fortsetzung der Romanze gehofft hat, versteht, dass dies unter den gegebenen Umständen nicht möglich ist und fährt zu seinem Regiment zurück.

Eduard von Keyserling: Schwüle Tage. Erzählungen. Nachwort von Martin Mosebach. Manesse Bibliothek der Weltliteratur. Manesse-Verlag, Zürich, 2005. 439 Seiten. Darin: 

Schwüle Tage, S. 5 – 91,

Bunte Herzen, S. 92-230,

Nicky, S. 231-299, 

Am Südhang, S. 300-422.

Bild: Wolfgang Krisai: Schloss Leesdorf, Baden bei Wien. Tuschestift, Buntstift, 2017.

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